Im Hochfeld, dort wo Flensburg in die Feldmark übergeht, da wohnt Volker Masuhr. Das fast schon ländliche Flair betont eine Amsel, die fleißig für den Nestbau sammelt. Der Hausherr wälzt Fotoalben und saust durch einen Vortrag über den Jakobsweg. Die rund 800 Kilometer durch Nordspanien hat er im letzten Jahr gemeistert. „Man ist nur mit sich, reflektiert viel und beschäftigt sich mit einigen Fragen, die das Leben aufgeworfen hat“, erzählt er. Die Ergebnisse erscheinen in Kürze in einem Buch. Für das Flensburg Journal gibt es schon jetzt einen persönlichen Streifzug durch die letzten 70 Jahre. Der Pädagoge gewährt spannende Einblicke in Beruf, Handball und Kultur.

Volker Masuhr – Handballer, Pädagoge, Jakobsweg-Bezwinger
Beim Durchstöbern von Erinnerungen

Volker Masuhr lebte fast immer in Flensburg. Die ersten kleinkindlichen Erinnerungen sind allerdings mit der Landeshauptstadt Kiel verbunden. Ein sportliches Talent bekam er mit in die Wiege gelegt: Seine inzwischen 99-jährige Mutter war eine sehr gute Leichtathletin. Der Vater kletterte die Leiter einer Polizei-Karriere hoch. Er sollte später Polizeidirektor werden und zog 1960 mit seiner Familie nach Flensburg. Der neue Lebensmittelpunkt war der Ochsenmarkt, der wie ein Stadtrand-Kleinod wirkte. Die Westliche Höhe war damals eine riesige Ansammlung von Kleingärten.

Volker Masuhr – Handballer, Pädagoge, Jakobsweg-Bezwinger
Mit 5 Jahren im Geburtsort Kiel

Lieber Sport statt Schule

Die Sportbegeisterung erwachte vor dem Interesse am ABC. „Ich war schnell beim Kinderturnen des Flensburger TB“, erinnert sich Volker Masuhr. „Der Ballsport war aber mehr meine Sache. Als Straßensportler spielten wir auf die Garagentore – entweder Hand- oder Fußball.“ Er besuchte zunächst vier Jahre die St. Nikolaischule, deren Gebäude heute zum Museumsberg gehört. Dann wurde der Flensburger Junge ein Sextaner am Alten Gymnasium. Sport war das Lieblingsfach, Kunst war auch gut. Die Hauptfächer waren weniger interessant, sodass Volker Masuhr zwei Ehrenrunden einlegen musste. „Es sollte bis zur Oberstufe dauern, dass ich die Freude am Lernen entdeckte“, gibt er zu. „Lange brachte mir Schule gar keinen Spaß.“ Er war wohl auch ein Wildfang. In seinem Buch wird auch eine Passage auftauchen, die erzählt, wie er einmal von seinem eigenen Vater auf dem Polizeirevier verhört wurde.

Volker Masuhr – Handballer, Pädagoge, Jakobsweg-Bezwinger
Saxofon in Schweden 2004

Der Sport erreichte immer den persönlichen Spitzenplatz – ganz besonders galt es für den Handball. Die kleine Duburghalle war damals das Eldorado der Ballwerfer. Die Infrastruktur war bescheiden: Einen Schwingboden gab es nicht. Der Untergrund war hart, und nach einem Sturz hatte sich Volker Masuhr einmal den Arm gebrochen. Populär war damals der Feldhandball, und zwar am Schützenhof unter freiem Himmel. „Ich hatte allerdings keinen harten Schlagwurf und war auch etwas schlaksig“, verrät der ehemalige Leistungssportler. „So stand ich schnell im Tor. Da merkte ich dann, dass ich gute Reflexe hatte, aus denen man noch mehr machen konnte.“ Mit 14 Jahren war der Flensburger erstmals in der Landesauswahl. Er durfte auch zur „Norddeutschen“ und sogar zu einer DHB-Sichtung, bei der sogar der spätere Weltmeister-Trainer Vlado Stenzel vorbeischaute.

Abitur und Pädagogik

Handball war ein wichtiger Teil im Leben, damals aber kein Profi-Sport. 1976 schaffte Volker Masuhr das Abitur – mit einem denkwürdigen Finale. „Der Direktor hatte sich darüber mokiert, dass wir mit langen Haaren und zerschlissenen Jeans zur mündlichen Prüfung erschienen waren“, erzählt er. „Ein Freund und ich haben es ihm dann gezeigt. Für die Entlassungen liehen wir uns zwei Fracks für 50 Mark aus.“ Diese Begebenheit war noch Jahre später Gesprächsstoff in den Gängen des Alten Gymnasiums. Volker Masuhr selbst begann mit einem Studium an der Pädagogischen Hochschule. „Ich kann es besser, sagte ich damals“, verrät der 70-Jährige mit einem Schmunzeln. „Ich wollte Freude am Lernen vermitteln und etwas Wichtiges tun.“ Die Medizin galt zunächst auch als Option, der Numerus Clausus stellte allerdings eine unüberwindliche Hürde dar. Sein Fach war natürlich Sport. Mit den PH-Handballern schaffte er es sogar zu den Hochschul-Meisterschaften in Köln, wo die Gastgeber mit den späteren Weltmeistern Joachim Deckarm und Claus Fey noch stärker waren.

TSB, SG, Altjührden und die Bundesliga

Volker Masuhr fasste im Regionalliga-Team vom TSB Flensburg rasch Fuß, wechselte aber schon zur Serie 1977 zur SG Weiche-Handewitt. Dort war er einer von drei starken Torhütern und verzeichnete relativ wenig Spielanteile. Ende 1978 machte ihm ein Klub ein für damalige Verhältnisse unglaubliches Angebot: 10.000 D-Mark für vier Monate. Absender der Offerte war der niedersächsische Ligakontrahent SG VTB/Altjührden. Volker Masuhr musste nicht am Jadebusen wohnen und trainieren, sondern nur zu den Spielen dorthin fahren. Das Probe-Training war allerdings knifflig. „Ich musste mit einem Kasten über dem Kopf laufen, bekam dann unendlich viele Würfe ins Tor und sackte schließlich völlig kaputt ins Hotelbett“, erinnert sich der frühere Handball-Torwart.

Im Sommer 1979 kehrte er zurück zum TSB Flensburg. Acht Jahre zuvor hatte er als jugendlicher Fan den Bundesliga-Aufstieg seines Stammvereins miterlebt. Nun lockte erneut das Handball-Oberhaus. Volker Masuhr hat das Mannschaftsfoto von damals vor sich und rattert die Namen seiner damaligen Mannschaftskameraden runter. Die Heimspiele fanden in der KGS Adelby statt, wo sogar ein Sieg im Landesderby gegen den THW Kiel glückte. „Ich hielt zwei Siebenmeter“, betont der 70-Jährige mit einem stolzen Lächeln. Der TSB stieg dennoch am Ende der Saison wieder ab. Volker Masuhr blieb seinem Verein nun treu, wenngleich es oft viel Disziplin erforderte, Training, Spiele und Studium unter einen Hut zu kriegen. „Vor dem Staatsexamen hatte ich mich bei den Auswärtsfahrten vorne zum Busfahrer gesetzt“, erinnert er sich. „Ich habe für die Prüfung gelernt, während die anderen feierten oder Karten spielten.“

Vom Lehrer zum Schulleiter

1986 war endgültig Schluss mit dem aktiven Handball. „Man hörte damals früher auf als heutzutage“, erklärt Volker Masuhr. „Mit Beruf und Familie stellten drei wöchentliche Trainingseinheiten und die Spiele am Wochenende einen sehr großen Zeitaufwand dar.“ Er hatte inzwischen seine erste Frau kennengelernt, und in kurzer Reihenfolge kamen die Söhne Finn, Mats und Bent zur Welt. Der junge Familienvater trat seine erste Stelle bei der Pestalozzi-Schule in der Waitzstraße an. 1987 entdeckte Volker Masuhr eine Stellenausschreibung: Die Paulus-Paulsen-Schule, eine kleine Sonderschule, suchte einen neuen Schulleiter. Das klang interessant. Es folgten ein Lehrgang, eine Bewerbung und ein Gespräch. Mit 32 Jahren hatte ein junger Pädagoge eine neue Funktion in einem alten Kollegium.

Die kleine Sonderschule gedieh. Allmählich wurden weitere Standorte im Flensburger Stadtgebiet übernommen, sodass langfristig ein Förderzentrum entstand. Ab 2006 leitete Volker Masuhr mit der Waldschule zusätzlich eine alteingesessene Grundschule. Zuletzt hatte er zusammengenommen 120 Kollegen. „Wenn etwas lief, habe ich immer etwas Neues angefangen“, erzählt er. „Ich habe einen hohen Leistungsanspruch an mich und auch an andere. Ich setzte mir immer wieder neue Ziele.“

Die Strukturen waren nach der Jahrtausendwende ganz andere als in den 1980er Jahren, der persönlichen Pionierzeit. Mit der Inklusion wurden die Förderschüler der Paulus-Paulsen-Schule auf diverse Schulstandorte in Flensburg verteilt. Volker Masuhr hatte ein zentrales Büro – in der Waldschule. Diese Bildungsstätte wuchs kontinuierlich, verzeichnete fast eine Verdopplung der Schülerzahl und entwickelte sich zu einer vierzügigen Grundschule mit annähernd 400 Kindern. Das Schulkonzept gewann sogar mehrere Bundespreise. An einer Feierstunde in Berlin nahm sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel teil.

Volker Masuhr – Handballer, Pädagoge, Jakobsweg-Bezwinger

Handball mit anderen Perspektiven

Dem Handball blieb Volker Masuhr stets ein treuer Weggefährte. Er hat immer noch eine Dauerkarte im Block J. „Man fühlt sich als ein Teil der SG“, sagt der Handball-Veteran. Er hat mit dem Fahrrad nur fünf Minuten bis zur „Hölle Nord“ zu fahren, analysiert die Spiele eifrig und diskutiert gerne die Personalentscheidungen der SG. Nach seiner aktiven Sportlerkarriere gehörte er dem Vorstand vom TSB Flensburg als Leiter der Handball-Jugendabteilung an und wurde somit zum unmittelbaren Zeitzeugen der Gründung der SG Flensburg-Handewitt. Volker Masuhr trainierte seine Söhne, etliche Jugend-Mannschaften und sogar SG-Legende Jacob Heinl. Die Wochenenden waren oftmals verplant – und einmal sogar der Vormittag an Heiligabend. „Da konnten die Eltern ihre Kinder in der Duburghalle abgeben und in Ruhe die letzten Vorbereitungen für Weihnachten treffen“, verrät der leidenschaftliche Handballer. „Denn wir trainierten.“

Volker Masuhr – Handballer, Pädagoge, Jakobsweg-Bezwinger

Mit Hobbys in den Ruhestand

Volker Masuhr blieb drei Jahre länger im Schuldienst als er musste. „Die Schulaufsicht hat dem zugestimmt“, sagt er. „Ich hatte ein sehr gutes Kollegium und bin keinen Tag ungern zur Schule gegangen. Es war wie im Sport: Die besten Leistungen im Team erreicht man, wenn man es schafft,  alle Charaktere zu integrieren.“ Einst hatte er selbst Deutsch, Kunst und Sport unterrichtet. Zuletzt hatte er noch einige Schwimmkurse und war nur außerhalb des Klassenzimmers am Puls. Schließlich war vor den Sommerferien 2024 der rote Teppich ausgerollt: der Abschied – aber nicht komplett von der Pädagogik. Seit 2018 ist Volker Masuhr in die Beratung und in Schulentwicklungswerkstätten der Robert-Bosch-Stiftung involviert – bundesweit, aber auch regional.

Volker Masuhr – Handballer, Pädagoge, Jakobsweg-Bezwinger

Außer Handball trieb der Flensburger etliche andere Sportarten: Aikido, Tennis, Fußball und aktuell Schwimmen – weil es so gut für die Gelenke ist. Der 70-Jährige, der seit vier Jahren mit seiner zweiten Frau und deren Tochter am Stadtrand lebt, hat auch eine künstlerische Tendenz: Malerei, Fotografie und Musik. Er spielt mehrere Musikinstrumente und trommelt in der Percussion-Band „Policia Do Samba“. Die wöchentlichen Proben bereiten zehn bis 15 Auftritte im Jahr vor – von der Kieler Woche bis zur „Hölle Nord“.

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Impressionen vom Jakobsweg

Der Jakobsweg

Von Langeweile ist keine Spur. Dennoch war Volker Masuhr vor dem beruflichen Ruhestand etwas in Sorge: „Wie schaffe ich den Absprung? Was kommt dann?“ Womöglich könnte er in ein mentales Loch fallen, wenn niemand ihn mehr nach etwas fragen würde oder Rat bräuchte. Da erinnerte er sich an einen älteren Vorschlag eines Freundes: der Jakobsweg. Dort könnte man zu sich finden, Gedanken sammeln und Ideen einfangen. Volker Masuhr war nie wirklich gewandert, probierte es aber vor zwei Jahren einmal aus und marschierte über Sterup und Kappeln nach Eckernförde: 72 Kilometer in drei Tagen. „Ich kam an meine Grenzen“, erzählt er. „Der erste Tag war schwer, am zweiten machten sich die Knie bemerkbar, und am dritten schmerzten sie.“ Der ehemalige Leistungssportler wollte nicht so schnell aufgeben, aber auch die folgenden Wanderungen endeten mit brennenden Füßen oder Blasen an den Zehen. „Der Arzt meinte, ich sollte es mir mit dem Jakobsweg gut überlegen“, verrät er. „Ich buchte aber dennoch einen Flug und die ersten drei Übernachtungen, um mir ein Ziel zu setzen. Und siehe da: kurz vor dem Start waren alle Beschwerden weg.“

Volker Masuhr – Handballer, Pädagoge, Jakobsweg-Bezwinger

Am 20. August des letzten Jahres startete er in Saint-Jean-Pied-de-Port, direkt an der französisch-spanischen Grenze, das Unternehmen „Jakobsweg“. Der Flensburger durchquerte die Pyrenäen und nebelgefüllte Täler. Er meisterte steinige Wege und auch den Asphalt einer Großstadt wie Pamplona. „Die ersten Tage waren es 22 oder 17 Kilometer“, berichtet Volker Masuhr. „Ich wollte es langsam angehen. Aber es ging hoch und runter – und mein Puls ebenso.“

Der Rucksack wog nur 6,5 Kilogramm, der Wanderer hatte sich auf das Nötigste beschränkt, um die Komfortzone zu verlassen. Bei den Übernachtungen traf man immer dieselben Gesichter, es entstanden Freundschaften. Man half sich gegenseitig mit Tipps für die richtige Behandlung von Blasen. Volker Masuhr tapte sich die Füße wie einst beim Handball die Hände. Er sollte die 800 Kilometer in fünf Wochen bewältigen. Er fand seinen Rhythmus, am Ende wurde es aber wühlig. Die letzten 100 Kilometer vor Santiago de Compostela waren Gott und die Welt unterwegs.

Volker Masuhr – Handballer, Pädagoge, Jakobsweg-Bezwinger
Zusammen mit Mutter Ortrud (99 Jahre) 2025

Das Nordlicht machte sich in den fünf Wochen viele Gedanken über das Leben und brachte auch eine konkrete Idee mit: ein Buch. Die Erlebnisse, Geistesblitze und Rückblicke schrieb Volker Masuhr die nächsten Monate nieder – bis zu sieben Stunden täglich. Der Ihleo Verlag aus Husum legte das Werk auf und wird es vertreiben. Der Autor hielt einen ersten Vortrag im Wohnzimmer. Inzwischen sind weitere Lesungen terminiert. Keine Frage: Die 70 ist für Volker Masuhr kein Ruhepolster. „Ich fühle mich nicht so alt, wie ich wirklich bin – mein Arzt behauptet, ich befinde mich im Körper eines 50-Jährigen“, bestätigt er. Man darf gespannt sein, was als nächstes kommt…

Text: Jan Kirschner 
Fotos: Jan Kirschner, privat

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