Die SG Flensburg-Handewitt hatte Mitte Oktober zu einer außerordentlichen Pressekonferenz im „Turner´s“, der Vereinsgaststätte am Eckener Platz, eingeladen. Die Foto-Blitze zuckten. Maik Machulla hielt ein besonderes Trikot in die Kameras. Es hatte die Nummer 2026. Genau bis zu diesem Jahr hatte der Trainer seinen Vertrag beim Bundesligisten verlängert. Schon jetzt hat der 45-Jährige die Dekade im hohen Norden vollgemacht.
Damit darf man ihn getrost als „Flensburger Kopf“ bezeichnen. Die „Beförderung“ nimmt er auch an. „Die Mentalität und der Charakter der Menschen sagen mir zu“, erklärt Maik Machulla. „Flensburg ist eine sehr schöne Stadt mit einem gemütlichen skandinavischen Einschlag – so richtig hyggelig.“ Am Hafen hat er wohl alle Ecken abgeklopft: die Schiffbrücke mit „Ben´s Fischhütte“, die Hafenspitze, Solitüde, Sonwik. Aber noch nie fand er die Zeit für einen kompletten Spaziergang. Stattdessen kennt der SG-Trainer, der seit einem Vierteljahrhundert ein Gesicht der Handball-Bundesliga ist, eine lustige Anekdote: Ein auswärtiger Trainer-Kollege hatte nach einer Hotel-Übernachtung an der Schiffbrücke seine Spieler aufgefordert, ein Mal „um den See“ zu rennen. Die Spieler schmunzelten und klärten ihren Übungsleiter über die Natur der Flensburger Förde auf.

Co-Trainer und Backup für Thomas Mogensen

Es war 2012, als die Fügungen des Schicksals Maik Machulla in den hohen Norden brachten. Er war damals beim Zweitligisten ASV Hamm als Spielertrainer tätig, aber nicht wirklich zufrieden. „Ich hatte irgendwie das Gefühl“, erinnert er sich, „weder ein guter Spieler noch ein guter Trainer zu sein.“ Der Kontakt zu Ljubomir Vranjes – die beiden hatten vier Jahre in Nordhorn zusammengespielt – war nie abgerissen. Der damalige SG-Coach suchte nach einem Co-Trainer, hatte aber auch in seinem Rückraum-Kader eine Lücke. Eigentlich sollte das große schwedische Talent Jim Gottfridsson kommen, war aber vor 2013 nicht aus Ystad loszueisen. Viktor Szilagyi hätte gern für ein Jahr bleiben dürfen, nahm dann aber ein längerfristiges Angebot eines anderen Klubs an. Maik Machulla sagte zu: „Mit 35 Jahren als Backup zu Thomas Mogensen – das traute ich mir zu.“
Dass er sich schnell eingewöhnte, war wohl keine große Überraschung. „Meine Eltern sagten damals zu mir: Jetzt bist du zurück zu den Wurzeln“, erzählt er mit einem Schmunzeln. Im Januar 1977 wurde er an der Ostsee geboren. In Greifswald, einer Stadt in Vorpommern, die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts dem schwedischen Königreich angehörte. „Wir sind aber schon weggezogen, als ich zwei Jahre alt war“, erinnert sich der Coach. „Wir besuchten häufiger die Oma, von daher kenne ich auch den Bodden, die herrliche Landschaft und die schöne Studentenstadt.“ Die neue Heimat wurde Halle-Neustadt. Dort bot sich die Möglichkeit, eine Neubauwohnung mit Heizung und Warmwasser zu beziehen. Die Chance ergriffen die Machullas, da auch Tochter Anja zur Welt kam.

Seine Leidenschaft war der Sport

Der Sohn besuchte die Nadeschda Krupskaja-Schule. Besonders begabte Schüler lernten schon in der dritten Klasse Russisch. Maik Machulla fing mit der Fremdsprache in der fünften Klasse an. Seine Leidenschaft war der Sport, auch wenn er beim Schwimmen nicht auf den Geschmack kam. „Vielleicht mochte ich das kalte Wasser nicht oder ich war damals Warmduscher“, plaudert er. „Ich weiß nur, dass ich meiner Mutter ständig erzählte, dass das Training wieder ausgefallen sei.“ Sie war Trainerin im Leistungszentrum für Rhythmische Sportgymnastik, und ihr siebenjähriger Junge sollte natürlich Sport treiben. Zufällig hatte eine Kollegin einen Mann, der für Einheit Halle-Neustadt in der DDR-Oberliga Handball spielte. Der Kontakt war schnell hergestellt.
Eine interessante Randbemerkung: Beim Lokalrivalen Dynamo spielte Michael Döring. „Er wird vielleicht anderes behaupten, aber wir gewannen stets Gold, sie Silber“, schmunzelt Maik Machulla. Sie verloren sich aus den Augen, bis sie sich viele Jahre später in Flensburg wiedertrafen und nun zusammen als Chefcoach und Athletik-Trainer für die SG arbeiten. Damals galt der Fokus der eigenen Laufbahn. Maik Machulla spielte bereits im zentralen Rückraum und feierte mit Einheit Erfolge: 1987 Bronze in der Altersklasse zehn, 1990 in der Altersklasse 13 sogar Silber. „Diese Medaillen habe ich noch“, verrät er. „Sie sind ganz schön schwer, weil aus Stahl produziert.“

Der Traum vom SC Magdeburg

Als Neuntklässler träumte Maik Machulla vom SC Magdeburg. In seinem Kinderzimmer hingen große Bilder über dem Bett. Von den Olympiasiegern des Jahres 1980, von den Triumphen des SCM. Die Strukturen waren aber noch so, dass ein Talent nicht so einfach wechseln konnte. Man wurde delegiert. Eine wichtige Voraussetzung war eine medizinische Untersuchung. Der Arzt äußerte sich äußerst skeptisch: „Der Rücken ist nicht für den Leistungssport geeignet, es sind langfristige Schäden zu erwarten.“ Ironie des Schicksals: Der Rücken machte nie Probleme, sondern später das Knie.
Wie dem auch sei: Der direkte Weg nach Madeburg war versperrt. Stattdessen besuchte Maik Machulla in Halle-Neustadt eine Sportschule. „Der Schwerpunkt lag nicht unbedingt auf Handball, sondern eher auf Boxen, Ringen und Leichtathletik“, erzählt er. „Aber ich konnte immerhin morgens trainieren, weil mein Vereins-
trainer auch an der Schule angestellt war.“ 1993 klappte es dann doch mit dem Wechsel: Magdeburgs langjähriger Jugendtrainer Harry Jahns lotste ihn zum SCM. Mit B-Jugend und A-Jugend gewann Maik Machulla die deutsche Meisterschaft. Bei den Bundesliga-Spielen saß er auf der Treppe der legendären Hermann-Gieseler-Halle. Ein Hexenkassel! „Wir hatten einen großen Respekt vor Spielern der ersten Mannschaft“, erinnert sich der heutige Trainer. „Und wenn ein Nachwuchshandballer mal nicht grüßte, dann gab es schon mal eine Beschwerde an den zuständigen Jugendtrainer.“ Die DDR war untergegangen, ihr Sportsystem wirkte aber noch nach.
Der junge Handballer lebte in Magdeburg im Internat und absolvierte eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker. Diese durfte er auf vier Jahre strecken, weil morgens immer trainiert werden musste. Der Arbeitgeber war ein Sponsor mit Bus- und Lkw-Werkstatt. Doch plötzlich stellte dieser die Unterstützung für den SCM ein. Es fand sich ein Autohaus in Köthen als neue Lehrstätte. Und da Maik Machulla nun ein Zweitspielrecht beim Zweitligisten Dessau hatte und er in Magdeburg wohnen blieb, war das Talent viel unterwegs.

Als Spieler beim Titelhamster SC Magdeburg

Beim SCM herrschte große Euphorie. Eine neue Halle sowie Spieler wie Stefan Kretzschmar, Oleg Kuleschow, Olafur Stefansson oder Gueric Kervadec machten den Klub zum Titelhamster. Maik Machulla gehörte ab der Serie 1997/98 zum Profi-Kader und wurde infolge einer Verletzungswelle sehr schnell auf das Spielfeld befördert – als Linksaußen. Sehr bald meldete sich Bundestrainer Heiner Brand. Bis 2000 bestritt der Newcomer zwölf Länderspiele. Doch dann ging es nicht weiter. „Markus Baur und Daniel Stephan waren damals gesetzt, das konnte ich nachvollziehen“, blickt Maik Machulla zurück. „2008 hoffte ich noch einmal auf die Olympischen Spiele. Ich hatte mit Nordhorn gerade den Europapokal gewonnen. Als dann aber ein gewisser Oliver Köhrmann vom Absteiger Wilhelmshaven nominiert wurde, war mir klar, dass ich mich mit der Nationalmannschaft nicht mehr beschäftigen musste.“
In Magdeburg kam es in der Erfolgszeit zur persönlichen Zäsur. Maik Machulla bekam immer mehr Verantwortung übertragen und stand mit 24 Jahren beim entscheidenden Spiel um die deutsche Meisterschaft als Spielmacher in der Startaufstellung. Ausgerechnet gegen die SG Flensburg-Handewitt. Es lief zunächst gar nicht gut. „Ich sehe immer noch Jan Fegter als Spitze der 5:1-Abwehr vor mir und wie er mir zwei Mal den Ball klaute“, erinnert sich der 44-Jährige. „Nach zehn Minuten war für mich das Spiel vorbei.“ Der SCM schaffte die Wende, und Maik Machulla feierte mit an jenem 20. Mai 2001, als an der Elbe die große Meister-Sause stieg.

Von Magdeburg nach Hameln und Nordhorn

In der kommenden Saison schnupperte er erstmals in die europäische Champions League, insgesamt reduzierten sich aber seine Einsatzzeiten. Er wechselte nach Weihnachten zur SG Hameln, um Spielpraxis zu sammeln. „Im Sommer sehen wir weiter“, hatte ihm der damalige Magdeburger Coach Alfred Gislason mit auf den Weg gegeben. Maik Machulla wurde zwar zur nächsten Titelparty eingeladen, es wurde aber ein Abschied auf Dauer.
Bei den „Rattenfängern von Hameln“ ging es auch nicht weiter. Sie meldeten Konkurs an. Es meldete sich ein anderer Erstligist aus Niedersachsen: die HSG Nordhorn. Trainer war Kent-Harry Andersson, Ljubomir Vranjes und Holger Glandorf wurden zu treuen Weggefährten. Alles Namen, die später einmal für große SG-Geschichte stehen sollten. Und Maik Machulla entdeckte den „kreativen und schnellen Handball mit starken Kreisläufern“ für sich. In der Grafschaft Bentheim erlebte er einen großen Zusammenhalt, aber auch finanzielle Sorgen. Nach der Insolvenz im Jahr 2009 sorgte er als Spielertrainer dafür, dass Nordhorn zumindest auf der Zweitliga-Karte verharrte. „Wir haben uns da unglaublich wohl gefühlt“, erzählt er. „Meine beiden Kinder sind dort geboren.“
Es folgten zwei Jahre in Hamm. Das erste endete mit dem sportlichen Abstieg aus der Bundesliga, das zweite mit einem Spielertrainer-Job in nicht ausgereiften Strukturen. Dann klopfte Ljubomir Vranjes an und lotste seinen alten Kompagnon zur SG. In Flensburg kam der Routinier eher selten zum Einsatz und musste sich sogar vom Kollegen Anders Eggert als „Pokal-Maik“ belächeln lassen, weil er fast alle seine Tore bei einem Pokal-Spiel in Ferndorf erzielt hatte.
Mit diesem Scherz hatte Maik Machulla aber keine Probleme, da sich seine Karriere längst in eine neue Richtung bewegte. Ljubomir Vranjes brauchte einen Co-Trainer – und sein Neuzugang hatte ja einen Trainerschein. Prompt fing Maik Machulla damit an, Statistik zu führen und den Chefcoach bei der Spielanalytik zu unterstützen.
Offiziell hatte Maik Machulla bis 2014 noch einen Spieler-Vertrag, aber seine Rolle war nach wenigen Monaten eine andere. Und auch seine Denke. „Was trainiert er da? Warum wählt er diese Taktik?“, hatte er sich schon in den Magdeburger Zeiten unter Alfred Gislason gefragt. Aber jetzt kam es zu anderen Schlussfolgerungen. „Als Spieler sah man häufig nur sich selbst und nicht das große Ganze“, erkannte Maik Machulla.

Vom Assistenten zum Boss

Er der Assistent, Ljubomir Vranjes der Boss – so war es bis 2017. Nach dem Geschmack des kleinen Schweden wäre es so in Veszprém weitergegangen. „Er hätte es gerne gesehen, dass wir zusammen weitermachen“, erklärt Maik Machulla. „Für mich war das aber keine Option, da ich dann immer abhängig von einem Cheftrainer gewesen wäre.“ So hatte er ein paar ungewisse Wochen, denn die SG hatte zunächst einen anderen Wunschkandidaten, beförderte dann aber doch den bisherigen Co-Trainer. Maik Machulla: „Es war eine mutige Entscheidung.“ Sie wurde belohnt: 2018 und 2019 wanderte die Meisterschale nach Flensburg.

Maik – der Überzeugungstäter

Der 45-Jährige ist ein Überzeugungstäter, der eigentlich immer an Handball denkt. Auch im Januar, dem Monat ohne Spielbetrieb im Vereinshandball, fällt die Zeit für Entspannung nur kurz aus. Es geht dann um Strukturen im Trainingskonzept, um den Austausch mit Medical-Team und Athletiktrainer oder um die strukturelle Ausrichtung: Welche Spieler passen für die Zukunft? Bei einer Europameisterschaft sitzt der Trainer regelmäßig vor dem Fernseher. Zwar ohne Stift und Block, aber doch aufmerksam. Manchmal ist er dann erstaunt über die taktischen Kniffe der Kollegen: „Das hätte ich jetzt anders gemacht.“

Das Abschalten fällt ihm schwer …

Der Januar hat aber doch einen anderen Takt. Es sind keine Spiele vorzubereiten, der Druck ist geringer. „Man überlegt sich auch ein paar Dinge, mit denen man zukünftig die Jungs kitzeln und auch überraschen kann“, verrät Maik Machulla. Es gibt auch etwas Zeit für Muße – und für die beiden Kinder. Dann geht es auch mal nach Föhr. Die eigene Prominenz ist zu spüren, wenn Menschen spontan positives Feedback geben und Anerkennung zollen. Lob ist etwas Schönes, aber gleichzeitig wird Maik Machulla bewusst: Um richtig abzuschalten, braucht es eigentlich eine Auslandsreise. Früher hat er gerne gelesen. „Jetzt habe ich immer das Gefühl, ich müsste etwas anderes machen“, sagt er. Er kommt nur schwer zur Ruhe. Gerne würde sich der Handball-Experte mit Wein noch besser auskennen: Anbaugebiete und Rebsorten bei Rotwein aus Spanien oder Frankreich. „Weißwein muss nur kühl sein, denn den trinkt man doch nur im Sommer“, schmunzelt Maik Machulla. Gerne erinnert er sich an frühere Weinproben zum Abschluss eines Trainingslagers oder das Fachsimpeln mit Mannschaftskameraden, die ein paar Spanien-Importe präsentierten. In Flensburg darf es natürlich auch mal ein Bier sein – wenn es der stress-
treibende Trainer-Job zulässt.

Text und Fotos: Jan Kirschner

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