Ungemütlich und regnerisch zeigt sich das Wetter an diesem Tag. Bei der kühlen Witterung entfaltet sich das Thema „Heizen“ fast automatisch zu einem Gespräch. In diesem Haus in Harrislee herrscht aber eine angenehme Temperatur – zumindest für einen Mann im Pullover. Zudem erzeugen die Fotos an der Wand mit Segel-Regatta und Sizilien-Motiven gefühlt noch ein paar Grad mehr. Und dann gewährt der Gesprächspartner einige spannende Einblicke. Ulrich Scholl hat mit seinen 71 Jahren definitiv viel erlebt und wirkte an vielen interessanten Projekten mit. Nun befindet er sich im aktiven Ruhestand. Nicht von ungefähr prangt der Firmenname „US Consult e. K.“
weiterhin am Briefkasten.
Konzeption und Beratung sind sein Metier – auch für Veranstaltungen aus dem Ehrenamt heraus. „Der eine hat die Idee, ein anderer verfeinert sie, wiederum ein anderer nimmt die Umsetzung in die Hand und ein weiterer bringt das nötige Geld ein“, erklärt Ulrich Scholl einen grundsätzlichen Mechanismus, der ihm in den letzten Dekaden immer wieder begegnete. „Oft hatte jemand anderes die Inspiration, und ich war dann der Projektleiter.“
Flensburger Marathon „YOU!MM“
Ein gutes Beispiel für diese Aussage ist sicherlich das Lauf-Event „YOU!MM“, das immer wieder mit den Namen von Ulrich Scholl in Verbindung gebracht wird. Es war kurz nach der Jahrtausendwende, also auf dem Höhepunkt der Marathon-Bewegung, als Gernot Thomsen die Idee hatte, seine Laufbegeisterung mit einem Marketing-Ansatz „Flensburg läuft ohne Grenzen“ zu verknüpfen. Ulrich Scholl war damals aktives Mitglied im Förderverein „Flensburg Regional-Marketing“ und arbeitete ein Konzept aus, das zum grenzüberschreitenden Sport-
event und dem gesellschaftlichen Kontext der Minderheiten-Thematik passte. Designer Rainer Prüß schuf die Wortbildmarke „YOU!MM“ und entwickelte das Logo.
Im Spätsommer 2004 feierte der Flensburger Marathon seine Premiere. Er richtete sich nicht nur an ambitionierte Läufer, sondern auch an Kinder und Inliner. Die 42 Kilometer lange Hauptstrecke erfasste reizvolle Stellen im Stadtgebiet, berührte das Umland und wagte auch einen attraktiven Abstecher ins nahe Dänemark. Kurzum: „YOU!MM“ wurde ein voller Erfolg, die Vorbereitungen hatten einen fruchtbaren Boden gefunden. „Wenn man den Zufall als prägendes Element heraushalten will, muss man alles minutiös planen und klare Ansagen formulieren“, umreißt Ulrich Scholl rückblickend das Erfolgsrezept. „Und wenn man eine Großveranstaltung mit vielen Helfern organisiert, gibt es nur zwei Dinge, die stören können: Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit.“ Was natürlich auch half war ein großes Netzwerk, über das Ulrich Scholl als langjähriger Vorsitzender des Kreissportverbandes Flensburg verfügte. Eine große Quelle, um eine Helfer-Schar mit etwa 600 Mitwirkenden zusammenzutrommeln.
Der Marathon war mit dem attraktiven Streckenprofil nicht nur ein sportliches Highlight, sondern auch bestes Stadtmarketing und hervorragende Tourismus-Kampagne – ausgezeichnet sogar mit dem Award „Stadtmarketingpreis des Landes Schleswig-Holstein“. „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“, erklärt Ulrich Scholl. „Wir wollten einen wichtigen Impuls europaweit setzen, nicht nur im Umkreis von Flensburg sollte man uns wahrnehmen.“ 2007 organisierte man im Vorfeld des sportlichen Ereignisses – in Kooperation mit dem Generalsekretariat der europäischen Minderheiten (FUEN) – sogar einen Workshop mit zehn Journalisten aus acht europäischen Ländern. Und die griffen in der Grenzregion mit den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen diverse Minderheiten-Thematiken auf. Nach fünf Auflagen des aufwändigen „YOU!MM“ ließ der Marathon-Hype nach, die Sponsoren-Einnahmen reduzierten sich – und die Veranstaltung wurde eingestellt.
Jugend in Bad Schwartau, Studium in Hamburg
Der Marathon ist aber nur eine Episode aus dem interessanten Leben von Ulrich Scholl, der bis auf eine kurze Phase nie direkt in Flensburg gewohnt hat, aber gewiss ein Gesicht der Fördestadt ist. Er war in verschiedenen Vereinen, Verbänden und Unternehmen tätig. Privat lebt er seit 1984 in Harrislee, unmittelbar vor den Toren der Fördestadt. Aufgewachsen ist er allerdings ab 1951 im Südosten des nördlichsten Bundeslandes, und zwar in der Marmeladenstadt Bad Schwartau. Dort brachte ihn der neun Jahre ältere Bruder zum Tennis. Früh war die Sportaffinität erwacht.
Nach einem beruflichen Einstieg beim Bundesgrenzschutz und einer naturwissenschaftlichen Schnupperphase mit Chemie und Geophysik studierte Ulrich Scholl in Hamburg Betriebswirtschaftslehre – an der altehrwürdigen Universität.
Dabei lernte er oftmals Dinge, die er zehn bis 15 Jahre später wieder auf dem Tisch hatte und sich dann schnell einen Zugriff verschaffen konnte. Das Studium finanzierte er sich als Tennislehrer. Bald fokussierte er sich auf das Freizeit-Management und agierte als Geschäftsführer eines Sport- und Freizeitcenters im südholsteinischen Reinbek. Inzwischen hatte Ulrich Scholl eine Familie. Bereits mit 20 Jahren hatte er seine Hannelore geheiratet. Die beiden Söhne wurden 1979 und 1982 geboren.
Die „Westerallee Sport- und Betriebs GmbH & Co. KG“
1982 war dann auch das Jahr, das den frischgebackenen Diplomkaufmann nach Flensburg brachte. Damals betrieben Unternehmen ihre Personal-Akquise noch hauptsächlich über die Zeitung. Ulrich Scholl entdeckte eines Tages eine Annonce der „Westerallee Sport- und Betriebs GmbH & Co. KG“, die einen kaufmännischen Leiter suchte. Das „Sportland“ mit seinen zwei großen Hallen war damals in Flensburg das Nonplusultra.
Allein bei den neun Indoor-Tennisfeldern sprang jedem Sport-Enthusiasten das Herz höher. Dazu gesellten sich Squash-Courts, Kegel- und Bowling-Bahnen sowie Schwimmbad plus Sauna-Landschaft (Aktivarium) mit familiärer Atmosphäre. Der Stelleninteressent konnte ein BWL-Studium sowie eine Lizenz für die Organisationsleitung im Sportsektor vorweisen. „Das Gesamtpaket passte“, erinnert sich Ulrich Scholl. „Es dauerte nur eine Woche, da hatte ich die Zusage.“
Kurz darauf folgte der Umzug nach Flensburg, das er bis dahin nur von der Durchreise nach Dänemark kannte. „Als junger Mensch hatte ich gar nicht daran gedacht, dass es eine Entscheidung auf Dauer für den Norden sein könnte“, erzählt der 71-Jährige.
„Ich dachte, da gehe ich für fünf Jahre hin und dann kommt etwas anderes.“ Es kam zwar bereits nach zwei Jahren etwas anderes, aber diese Änderung war betriebsintern. Der bisherige Geschäftsführer konzentrierte sich wieder schwerpunktmäßig auf den Immobiliensektor und Ulrich Scholl wurde zum alleinigen Geschäftsführer bestellt.
Wachstum mit dem Tennisboom
Das Fundament der Sportstätte war der Tennissport. In den 80er Jahren lösten Weltstars wie Boris Becker und Steffi Graf einen Boom aus, der auch Flensburg erfasste. Schnell entstand eine große Gruppe, die nicht nur ein oder zwei Mal die Woche ein Feld mieten wollte, sondern sich ein Vereinsleben wünschte: Der „Sportland TC“ wurde gegründet. Für die Freiluft-Saison wurden zunächst an der „Pott-Villa“ in der Marienhölzung zwei Außenplätze angemietet, dann wurde direkt am „Sportland“ eine Außenlage mit vier Tennis-Feldern gebaut.
Das Netzwerk reichte auch zu den überregionalen Tennisverbänden. Die Konsequenz: Von 1991 bis 1997 wurde im „Sportland“ ein internationales Damen-Turnier um Weltranglistenpunkte ausgerichtet.
Die Organisation übernahm Ulrich Scholl zusammen mit dem schleswig-holsteinischen Tennisverband. Als Finanzier wurde die Sparkasse Schleswig-Flensburg ins Boot geholt. Dem Vorstandsvorsitzenden wurden Sponsoring-Modelle zwischen 10.000 und 25.000 D-Mark offeriert. „Kurze Zeit später ließ er nicht anrufen, sondern rief selbst an“, erinnert sich Ulrich Scholl, als ob es heute wäre. Und die Botschaft? „Wir nehmen natürlich das große Paket.“
Der Geschäftsführer hatte damals eine Idealvorstellung von einem Sportpark im Einkaufszentrum. Die sah so aus: Ein Kunde sollte mit Einkaufszettel und Autoschlüssel an der Rezeption erscheinen, dann Sport treiben, etwas essen und entspannen, ehe er nach zwei Stunden ein frisch gereinigtes Auto mit einem gut gefüllten Kofferraum vorfinden würde. Diese Vision stellte Ulrich Scholl auch dem Geschäftsführer des nahen „Citti-Parks“ vor. Der winkte ab: „Bei diesem Konzept fehlen uns die Impulskäufe.“ Shopping-Effekte, mit denen der Einzelhandel hohe Renditen erzielt, würden ausbleiben. Aber auch so war das „Sportland“ ein regionaler Trendsetter. Als Mitte der 80er Jahre die Aerobic-Welle von den USA über den Atlantik schwappte, wollten einige Flensburger Pionierinnen im „Sportland“ Kurse anbieten.
Doch der Rahmen sprengte alle Erwartungen. Plötzlich waren es 500 Menschen, vorwiegend Frauen, die sich in einer fast zu kleinen Halle drängten und ihre Übungen zur Musik absolvierten. Zum Magneten, gerade in den Abendstunden, wurde die hausinterne Gastronomie.
Erwin Pophal, der Flensburger „Box-Papst“, stieg als Pächter ein. Angeblich erzielte die Flensburger Brauerei damals mit dem Ausschank im „Sportland“ den drittgrößten Absatz in der Fördestadt.
Als der Tennis-Boom allmählich abflaute, häuften sich außersportliche Veranstaltungen.
Messen für Verbraucher und Ökologie gehörten nun ebenfalls zur Angebotspalette wie Schulpartys und Hochzeitsfeiern.
Es war allerdings kein einfacher Akt, sich mit der Stadt angesichts des zu erwartenden Verkehrsaufkommens auf eine temporäre Einbahnstraße zu einigen. Noch schwieriger waren allerdings die Verhandlungen, ein Schild mit dem Hinweis „Zum Sportland“ an der Bundesstraßen-Kreuzung zu montieren. „Wir machen doch keine Werbung für ein Unternehmen“, hieß es zunächst. Dann überwogen die Argumente der Verkehrsführung. Und ein kleines Bonbon: Die Busse der Linie 10 hatten lange Zeit „Sportland“ als Ziel an der Frontscheibe stehen.
Hamburg, Ole von Beust, eine Einladung zum YOU!MM 2007
Beratung und Projekte mit „US Consult“
1997 war klar, dass Veränderungen und Investitionen vorgenommen werden mussten, um das „Sportland“ als Veranstaltungszentrum auszubauen und zu etablieren. Die Gesellschafter konnten sich damals aber nicht einigen. Ulrich Scholl war sich sicher: „Ich will kein Verwalter einer Immobilie sein, sondern etwas gestalten.“ Plötzlich war Schluss mit dem „Sportland“, stattdessen wurde ab sofort mit der eigenen Firma „US Consult“ – der Name basiert auf den eigenen Initialen – beraten, Ideen weiterentwickelt und umgesetzt.
Mit Erlaubnis der Gesellschafter vom „Sportland“ hatte Ulrich Scholl schon vor seinem Ausscheiden einige andere Projekte begleitet. Ende 1996 meldete sich der Marketingchef der Flensburger Brauerei. Er wollte mit einer Veranstaltung die Jugend ansprechen. Stark in Mode war damals das Inline-Skating. Schnell stand ein Konzept für „FLICS“, für den „Flensburger-Pilsener Inline-Contest“. Ulrich Scholl holte zusammen mit Andreas Berndt eine Hamburger Fachagentur mit ins Boot. Schließlich thronten Rampen und andere Hindernisse auf dem Parkplatz in der Friesischen Lücke und boten die Plattform für deutsche Meisterschaft im Speed-Skating oder einen Worldcup in der Half Pipe. „Nach zwei Auflagen gab es innerhalb der Brauerei Veränderungen, und es wurde kein Budget mehr zu Verfügung gestellt“, erinnert sich Ulrich Scholl. „FLICS behielt dennoch einen guten Klang in der Inliner-Szene.“
Ehrenamt in den Sportverbänden
Bei sportlichen Veranstaltungen half stets der kurze Draht zu den Sportvereinen in der Stadt. Ulrich Scholl war fast 15 Jahre als Vorsitzender des Sportverbandes Flensburg aktiv und eine Dekade lang Vize-Präsident im Landessportverband – bis kurz nach der Jahrtausendwende. Mit den Vertretern der Stadt saß er oft am Tisch. So wurde 1991 eine „Flensburger Sport-Charta“ verfasst, in der die Grundzüge der Kooperation zwischen Stadtverwaltung, Politik und Sport festgehalten wurden.
Als einer der Hauptakteure des Marathons „YOU!MM“ (2004 bis 2008) wurde Ulrich Scholl für drei Jahre als Vorsitzender des Fördervereins „Flensburg Regional-Marketing“ gewählt. In dieser Rolle stieß er eine Dauerausstellung im Nordertor an: zu Ehren des Luftschiffpioniers Hugo Eckener. Der gebürtige Flensburger war zu Beginn der 1930er Jahre einer der bekanntesten Menschen der Welt. „So ein Goldstück müssen wir doch präsentieren“, dachte sich Ulrich Scholl damals. Er würde es als angemessenen Schritt bewerten, ein wissenschaftliches Institut der Innnovationen nach dem berühmten Sohn Flensburgs zu benennen. Er selbst trat 2010 als unabhängiger Kandidat für die Wahl zum Oberbürgermeister Flensburgs an.
Lehraufträge an der Hochschule
Bis zum letzten Jahr hatte Ulrich Scholl an der Hochschule Flensburg Lehraufträge inne. In seinen Seminaren ging es um Organisationsentwicklung, Kommunikation- und Methoden-Kompetenz. Wie sind Gespräche und Konferenzen zu führen? Wie ist das Knowhow der eigenen Personalausstattung am besten nutzbar? Später entdeckte die Hochschule den Bedarf, ihre BWL-Studenten auch mit einem Verhandlungs-Management auszustatten. „Meine eigenen Erfahrungen verband ich mit Quellen der Theorie“, erzählt der ehemalige Dozent, der unter anderem nach Zürich reiste, um sich in einem Workshop zum Thema „Verhandlungsgeschick in Sondersituationen“ zu informieren.
Das geliebte Tennis hat Ulrich Scholl inzwischen aufgegeben. „Mit 40 oder 45 Jahren hatte ich gemerkt, dass man diesen Sport so intensiv nicht auf Dauer betreiben kann. Ich spielte bald nur noch sporadisch, dann gar nicht mehr.“ Bis zur Landesliga hatte er es geschafft. Nun stehen die Reisen und Fahrradtouren ganz oben auf der gemeinsamen Agenda mit seiner Frau. Die Familien der Söhne leben inzwischen in München und Berlin. Oft geht es auch ins Ausland. Die Exkursionen bringen somit zahlreiche Erlebnisse. Angesichts der Erzählungen fragt manch einer im Freundeskreis: „Wart ihr im Urlaub oder auf der Flucht?“
Wie so viele Menschen beschäftigt der Krieg in der Ukraine auch Ulrich Scholl. Er war wiederholt an einem Info-Stand auf dem Harrisleer Wochenmarkt zu sehen. Die zentrale Frage: Wie kann man Ukrainern helfen, die gerade in Deutschland angekommen sind? Aber es sind auch potenzielle, seit Jahren denkbare Hacker-Angriffe, die wahrscheinlicher geworden sind. Deshalb beschäftigt sich Ulrich Scholl mit Krisen-Vorsorge und Blackout. Er betreibt eigene Recherchen und versucht, Impulse auf kommunaler Ebene zu setzen. Getreu dem Motto von John F. Kennedy: „Frag nicht, was dein Land für dich tut, sondern was du für dein Land tun kannst“. Man sollte auf vieles vorbereitet sein, findet Ulrich Scholl: „Es ist so wie mit der Feuerversicherung. Man hat sie, aber man hofft, sie nie zu brauchen.“ Den Zufall hat er bei seinen Projekten noch nie als Partner gern gesehen.
Text: Jan Kirschner
Fotos: privat