Welche Aufgaben hat eigentlich die Arbeitsagentur? …
Die Arbeitsagentur erfüllt für Bürger und Unternehmen umfassende Aufgaben rund um den Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Die wichtigsten Aufgaben sind die Vermittlung von Lehrstellen und Jobs, die Berufsberatung und die Förderung der Berufsausbildung.
Die Agentur für Arbeit – korrekt heißt sie Bundesagentur für Arbeit – bringen viele Menschen zuerst in Zusammenhang mit den Schlagworten Arbeitslosengeld, Arbeitslosigkeit, Hartz 4 oder dem immer noch weit verbreiteten Begriff „Arbeitsamt“.
Wieso die Agentur für Arbeit viel mehr als das ist und wie sie mit ihren zahlreichen Förder- und Beratungsprogrammen die Menschen für den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt der Zukunft bereits seit Jahren fit macht und weiterhin fit machen möchte, hat dem Flensburg Journal Hans-Martin Rump in einem sehr interessanten Gespräch nahegebracht.
Die hiesige Agentur für Arbeit gehört – wie zwölf andere gleichartige Einrichtungen – zur Regionaldirektion Nord, mit Sitz in Kiel. Zum Agenturbezirk Flensburg wiederum gehören neben der Stadt Flensburg die Landkreise Schleswig-Flensburg sowie Nordfriesland. Die Hauptagentur Flensburg ist in der Waldstraße 2 im Stadtteil Duburg zuhause, daneben gibt es noch in sechs weiteren Städten des Agenturbezirks örtliche Einrichtungen.
Hans-Martin Rump ist Vorsitzender der Geschäftsführung und Leiter der Agentur für Arbeit Flensburg.
FLJ: Welche Einflüsse hat die bald seit 2 Jahren andauernde Corona-Pandemie mit ihren bekannten Einschränkungen auf die Flensburger Agentur für Arbeit genommen?
HMR: Ich glaube, um das Ausmaß der Auswirkungen der Pandemie auf unsere Agentur einordnen zu können, müssen wir auf den ersten Lockdown im März/April 2020 zurückblicken. Drei wesentliche Aspekte möchte ich dazu benennen. Corona hat dazu geführt, dass normale saisonale Entwicklungen durchbrochen wurden. Wir konnten uns stets darauf verlassen, dass im Frühjahr die Arbeitslosigkeit sinkt. 2020 wurden wir mit einer deutlich steigenden Arbeitslosigkeit konfrontiert.
Gleichzeitig haben Betriebe das Instrument Kurzarbeit intensiv in Anspruch genommen. Hier mussten wir quasi von Null auf Hundert hochfahren. Um das in Zahlen auszudrücken: Unmittelbar vor der Pandemie wurde nur in Einzelfällen in unserer Region kurzgearbeitet. Schon im April 2020 haben 32.300 Menschen Kurzarbeitergeld bezogen.
Daneben spielte der Gesundheitsschutz von Mitarbeitern und Kunden eine zentrale Rolle. Wir haben für den laufenden Publikumsverkehr geschlossen, um Ansteckungen zu vermeiden, und wollten trotzdem in dieser für unsere Arbeitgeber- und Arbeitnehmerkunden schwierigen Zeiten erreichbar sein.
FLJ: Wie sind Sie mit diesen Herausforderungen umgegangen?
HMR: Wir haben das geschafft, indem wir klar gesagt haben: „Die Leistung muss stehen“. Heißt, Menschen die sich arbeitslos melden mussten, sollten schnell und zuverlässig ihr Arbeitslosengeld ausgezahlt bekommen und für Arbeitgeber, die Kurzarbeit in Anspruch nehmen mussten, wollten wir sicherstellen, dass Kurzarbeitergeld zügig und verlässlich ausgezahlt wird. Dies hat sich als wirkungsvolle Prävention vor Arbeitslosigkeit herausgestellt. Menschen mussten nicht entlassen werden und durch die schnelle Auszahlung von Kurzarbeitergeld an die Betriebe konnten wir gewährleisten, dass die Vorverauslagung von Gehaltszahlungen nicht zu Liquiditätsengpässen geführt hat.
Dass wir gleichzeitig für unsere Kunden erreichbar waren, haben wir durch Schaltung einer regionalen Telefonhotline erreicht. Wer uns nicht direkt erreicht hat, hat zügig einen Rückruf bekommen, soweit auf den Anrufbeantworter gesprochen wurde. Beratungen wurden im wesentlich telefonisch durchgeführt, aber auch Videoberatungen konnten wir anbieten. Und wichtig: Wir hatten nie ganz für persönliche Anliegen geschlossen. In wirklich dringenden Einzelfällen waren wir auch persönlich ansprechbar. Natürlich unter Beachtung aller Hygiene- und Gesundheitsschutzmaßnahmen.
Das alles war nur machbar, weil sich die Kolleginnen und Kollegen schnell und flexibel auf veränderte Aufgabenstellungen eingelassen haben, um unseren Kunden zur Seite zu stehen. Ich möchte mich dafür auch an dieser Stelle nochmals herzlich bedanken. Das war eine tolle Leistung und Zusammenhalt!
FLJ: Wie ging es weiter?
Die Coronazeit hat sich ja als wellenartige Bewegung von Lockerungen und Lockdowns dargestellt. Entsprechend haben sich die Arbeitslosenzahlen und die Kurzarbeiterzahlen entwickelt. Mit Lockerungen ging eine stete Abnahme der Arbeitslosenzahlen einher. Auch die Zahlen der Kurzarbeiter haben sich in diesen Phasen deutlich reduziert. Mit neuerlichen Lockdowns stiegen beide Zahlen wieder. Den bisherigen Höchststand der Arbeitslosigkeit während der Pandemie hatten wir dann in der Lockdownphase zum Jahreswechsel 2020 zu 2021. Konkret im Februar letzten Jahres. Mit den Lockerungen im Frühjahr sank die Arbeitslosigkeit dann wieder. Im Dezember 2021 lag sie dann auf dem Niveau wie vor der Pandemie. Die durchgängig hohe Nachfrage nach Arbeitskräften hat hier sehr geholfen.
In allen Phasen haben wir unsere Dienstleistungen angepasst, um entsprechend der Kontaktmöglichkeiten für unsere Kunden da zu sein.
FLJ: Sie bezeichnen Ihre Klientel, die Nutzer der Agentur für Arbeit, als Kunden?
HMR: Ja, für uns sind unsere Besucher und Nutzer unserer Angebote keine Bittsteller, sondern wir betrachten sie als unsere Kunden, denen wir in den eingangs beschriebenen Kompetenzbereichen ein zielgerichtetes und passendes Angebot machen. Wir sehen uns als Dienstleister, die mit ihren Kunden stets auf „Augenhöhe“ in Kontakt treten und Hilfe zur Selbsthilfe anbieten.
FLJ: Wie hat sich die Situation auf Arbeitsroutinen ausgewirkt?
HMR: Dadurch, dass wir viel personelle Kapazität in die Gewährung von Kurzarbeitergeld gesteckt haben, haben wir uns in der Beratung konzentrieren müssen. Uns war wichtig, jedem Kunden möglichst zügig ein Erstgespräch unterbreiten zu können.
Je länger Arbeitslosigkeit dauert, desto größer wird das Risiko, keine neue Beschäftigung zu finden. Es war uns deshalb daneben wichtig, Kunden spätestens nach rund sechsmonatiger Arbeitslosigkeit ein Unterstützungsangebot zukommen zu lassen.
Kontakte haben sich in der Regel auf telefonischem Weg realisieren lassen. Solche Angebote konnten aber beispielsweise auch digital unterbreitet werden.
Was uns sehr geholfen hat, ist die Tatsache, dass sich Menschen auch über ein Onlinetool arbeitslos melden konnten. Seit Anfang des Jahres gibt es diese Möglichkeit dauerhaft.
Für persönliche Kontaktformen haben unsere Kollegen kreative Wege gefunden. Um einer Ansteckungsgefahr in geschlossenen Räumen zu entgehen, wurde beispielsweise im Rahmen von Spaziergängen beraten. Immer vorausgesetzt, die Kunden sind einverstanden.
FLJ: Welche Arbeitsabläufe im Bereich der Digitalisierung wurden in Ihrem Hause vorangebracht?
HMR: Die Pandemie hat tatsächlich die technische Weiterentwicklung unserer Arbeitsplätze beschleunigt. Die Videoberatung oder die Möglichkeit, sich digital arbeitslos zu melden habe ich bereits erwähnt. Darüber hinaus ist es möglich, Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld 24/7 online zu beantragen. Über eine mobile App können beispielsweise Infos über den Bearbeitungsstand von Arbeitslosengeld bezogen oder Dokumente hochgeladen werden. Auch Termine können online vereinbart werden.
Was viele gar nicht wissen, unsere Akten werden schon seit einiger Zeit elektronisch geführt. Aus meiner Sicht eine ganz zentrale Voraussetzung dafür, dass wir in der Krise so flexibel und schnell reagieren konnten.
FLJ: Wie hat sich für Sie die Situation auf dem Ausbildungsmarkt dargestellt?
HMR: Wir haben auch in der Berufsberatung die bereits erwähnten technischen und digitalen Hilfsmittel gut nutzen können. Dennoch stellt sich die Situation auf dem Ausbildungsmarkt schwierig dar. Vielfach waren größere Veranstaltungen, die zur Information und Orientierung von Jugendlichen beitragen, nicht möglich. Dazu gehören zum Beispiel Messen oder Bewerbernächte. Auch Berufsorientierungsveranstaltungen in unserem Berufsinformationszentrum konnten nicht durchgeführt werden. Ein weiterer wichtiger Baustein, die Praktika in den Betrieben, ließen sich häufig nicht realisieren. Wenn man weiß, dass es über 350 Ausbildungsberufe gibt, kann man sich vorstellen, welche Lücke diese fehlenden Informations- und Orientierungsmöglichkeiten hinterlassen. Die Kolleginnen und Kollegen der Berufsberatung haben versucht, überall wo es möglich war, ihre Dienstleistung in den Schulen anzubieten. Es wurden viele kreative Möglichkeiten unterbreitet, mit Jugendlichen in Kontakt zu kommen oder zu bleiben. Das hat auch wirklich gut geklappt. Mir ist auch wichtig zu erwähnen, dass es ein enges Zusammenwirken mit allen Akteuren auf dem Ausbildungsmarkt wie IHK und HWK, den Berufsschulen und innerhalb der verschiedenen Jugendberufsagenturen im Agenturbezirk gegeben hat. Trotzdem ist festzustellen, dass sich die Zahl der jungen Menschen, die sich für eine Ausbildung interessieren, zurückgegangen ist.
FLJ: Was hat Corona mit dem Arbeitsmarkt gemacht?
HMR: Die Arbeitslosenzahlen bewegen sich, wie eingangs beschrieben, wieder auf dem Niveau wie vor der Pandemie. Es ist aber festzustellen, dass es einigen Kundinnen und Kunden gerade während der Erholungsphase nach dem ersten Lockdown nicht gelungen ist, wieder im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Als Folge ist zu erkennen, dass sich Langzeitarbeitslosigkeit erhöht hat. Es ist eine wichtige Aufgabe, dieser Verfestigungstendenz entgegenzuwirken.
FLJ: Hat Corona die Nachfrage nach Arbeit negativ beeinflusst?
HMR: Ein positiver Aspekt ist die Tatsache, dass die Nachfrage nach Arbeitskräften trotz der Pandemie eben nicht nachgelassen hat. Bezogen auf den Bezirk der Arbeitsagentur Flensburg ist sogar eine stetige Steigerung erkennbar: Die Nachfrage nach Arbeit ist im Vergleich zum letzten Vorkrisenmonat und gemessen an der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um immerhin 2,1 Prozent gestiegen. Ein anderer Indikator dafür ist, dass uns im Jahr 2021 14,0 Prozent mehr offene Stellen zugegangen sind als im Vorjahr. Aber es gibt eine Kehrseite dieser Medaille. Viele Betriebe suchen händeringend nach Arbeitskräften. Und ich sage bewusst Arbeitskräfte, weil eben nicht nur Fachkräfte gesucht werden.
FLJ: Die Agentur für Arbeit bietet auch für Beschäftigte diverse Maßnahmen an. Wie ist auf diesen Feldern die aktuelle Situation?
HMR: Trotz Corona konnten wir für nahezu die gleiche Anzahl Menschen Unterstützung wie Weiterbildungen, Unterstützung bei der Arbeitssuche oder Coachings realisieren. Allein mit diesen beiden Instrumenten aus unserem Unterstützungskatalog haben wir in 2021 rund 1.900 Menschen unterstützt. Wichtig, auch aktuell stehen uns ausreichend Mittel zur Verfügung, um unseren Kunden die benötigte Hilfe anzubieten.
Was noch zu wenig bekannt ist, die Weiterbildung und Fortbildung von Beschäftigten ist ein Feld, das wir weiterhin intensiv bearbeiten und vorantreiben. 2021 konnten wir rund 140 Beschäftigten bei ihrer beruflichen Qualifizierung unter die Arme greifen. In Zeiten des schnellen Wandels auf dem Arbeitsmarkt soll das Menschen unterstützen, dauerhaft in Beschäftigung zu bleiben. Deshalb wollen wir diese Zahl steigern. Zu diesem Thema und auch einigen anderen Besonderheiten in unserem Hause werden wir Sie gern in weiteren Gesprächen informieren.
Das Flensburg Journal bedankt sich für ein aufschlussreiches und intensives Gespräch!
flj