In der Campushalle geht es um Bundesliga-Punkte. Unter den Fans der SG Flensburg-Handewitt herrscht ausgelassene Stimmung. Sie feiern ein Tor von Lukas Jörgensen, einem der fünf Neuzugänge. Der Jubel mischt sich mit dem Karnevals-Klassiker „Humba Täterä“, der immer dann ertönt, wenn der dänische Kreisläufer trifft. Manch einer fragt sich: Warum werden die Tore eines Dänen mit deutscher Faschingsmucke garniert? Das entschied sich im Sommer und ist eine putzige Anekdote.
Während der Vorbereitung wurden die Lieder der Neuzugänge ausgesucht. Lukas Jörgensen war noch etwas ahnungslos und fragte: „Was nehmen denn die anderen so?“ Da bekam er zu hören: „Also dein Landsmann Simon Hald hatte ein knallrotes Gummiboot, das wäre jetzt ja frei.“ Der neue Kreisläufer schmunzelte: „Das kann ich ja nicht nehmen, aber ich mache mir Gedanken.“ Das war keine Floskel der Verlegenheit, denn ein paar Tage später formulierte der dänische Neuzugang seinen Wunsch: „Humba Täterä“. Die Erklärung von Lukas Jörgensen: „Dieses Lied verbinde ich mit Spaß und einer guten Zeit.“ Er erzählt von Familienurlauben seiner Kindheit nach Deutschland oder Österreich. Und so ist der Karneval nun auch in Flensburgs Handball-Tempel allgegenwärtig.
Von Seeland nach Fünen
Lukas Jörgensen stammt von Seeland, kurz vor den Toren der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Als Kind spielte er zunächst Fußball, mit Handball hatte seine Familie eher wenig zu tun. Dann kam der Tag, als die Mutter eines Elfjährigen bei einer Verlosung in einem Sportgeschäft ein Trikot mit der Originalunterschrift von Mikkel Hansen gewann. Der Elfjährige war Lukas Jörgensen. Er erinnert sich sehr gut an den Dress vom damaligen Top-Klub AG Kopenhagen. Er war blau, hatte keine Ärmel und trug den Namen von Top-Star Mikkel Hansen. „Dann sah ich ihn und die dänische Nationalmannschaft im Fernsehen und wollte auch Handball spielen“, erzählt der 24-Jährige heute. „Zu meinem ersten Training in Roskilde trug ich das Trikot von Mikkel Hansen und fühlte mich sehr stark.“
Ein paar Jahre später wechselte Lukas Jörgensen auf das Handball-Internat von GOG auf Fünen, an eine Profi-Karriere dachte er aber nicht. „Ich wollte hauptsächlich viel Handball spielen und mein liebstes Hobby mit Freunden betreiben“, erzählt er. Immerhin: Mit 20 Jahren bekam er einen Profi-Vertrag, trat aber auf der Stelle. Bei GOG war Lukas Jörgensen nicht erste Wahl, an der Zwischenstation Aarhus bremsten ihn die Corona-Pandemie und ein Konkurs aus.
Blitz-Karriere im Nationalteam
In der Spielzeit 2022/23 sollte sich alles ändern. Bei GOG hatte sich der Schwede Oscar Bergendahl in die Bundesliga verabschiedet, und Anders Zachariassen verletzte sich schwer. Am Kreis war plötzlich die Bahn frei für Lukas Jörgensen, der einen enormen Sprung in der Leistung vollzog. Er wurde immer häufiger darauf angesprochen, ob er denn im Januar mit zur Weltmeisterschaft fahren würde. Lukas Jörgensen tippte sich an den Kopf. „Ich habe doch noch nie für die dänische Nationalmannschaft gespielt.“ Dann rief Nationalcoach Nikolaj Jacobsen tatsächlich an. Als Debütant ging es direkt zur Weltmeisterschaft nach Schweden. „Beim ersten Meeting war ich total nervös“, erzählt der Rechtshänder. „Plötzlich saßen Mikkel Hansen und Niklas Landin direkt neben mir, die beiden Stars meiner Kindheit.“
Drei Wochen später waren die Dänen zum dritten Mal in Folge Weltmeister. Mittendrin Lukas Jörgensen, dessen Kurswert auf dem Transfermarkt enorm in die Höhe schoss. Viele Bundesliga-Klubs wurden auf ihn aufmerksam, die SG hatte sich aber rechtzeitig um das Talent gekümmert. Schon im November hatten sich beide Seiten ausgetauscht. Nur der Zeitpunkt des Wechsels war zunächst noch offen. Erst 2024 oder doch schon 2023? Es wurde der frühere Termin. Im März präsentierte die SG dann den Transfer. Es war ein echter Coup, da im selben Atemzug auch Simon Pytlick als Neuzugang vorgestellt wurde. „Wir beide haben nicht nur einen guten Draht auf dem Handballfeld, sondern auch abseits davon“, verrät Lukas Jörgensen. „Gemeinsam haben wir schon viel erlebt.“
Schöne Atmosphäre in Flensburg
In Flensburg ist der junge Däne gut angekommen. Das gilt nicht nur für die Halle, sondern auch für die Stadt. Gerne geht er am Hafen entlang oder durch die Fußgängerzone und setzt sich in eines der vielen Cafés. „Die Atmosphäre ist sehr freundlich“, sagt er. „Man meint immer zu hören: Schön, dass du hier lebst!“ Besonders angetan ist er von der Roten Straße. Gerne lädt der Handball-Profi seine beiden älteren Brüder in die Fördestadt ein. Seine beiden Eltern kommen fast zu jedem Heimspiel von Seeland und übernachten dann in Flensburg. Gemeinsam mit ihrem jüngsten Sohn frühstücken sie am nächsten Vormittag.
Im Sommer schätzt Lukas Jörgensen den Golf als Ausgleichssport. „Das ist die perfekte Abwechslung zum Handball“, erklärt er. „Statt einer lauten Halle hat man eine entspannte Atmosphäre an der freien Luft.“ Jetzt, im Winter, rückt die Play-Station in den Vordergrund. Außerdem gibt es viel Sport im TV. „Ich verfolge gerne die Spiele von Handballern, mit denen ich befreundet bin“, erzählt Lukas Jörgensen. Am wichtigsten sind aber die eigenen Auftritte. Und wenn er wieder ein Tor wirft, dann ist „Flensburger Karneval“.
Text und Fotos: Jan Kirschner