Manchen Menschen wird ihr späteres Schicksal, ihr Lebensweg, schon bei der Geburt in die Wiege gelegt. Etwa Kindern von Landwirten, deren Eltern selbständig den Hof betreiben, Söhnen und Töchtern von Handwerksbetrieben, oder aber denjenigen Neugeborenen, die einer alteingesessenen Gastronomiefamilie angehören. Mit einem solchen Menschen haben wir uns kürzlich über sein bisheriges Leben, seine Herkunft und seinen Werdegang angeregt unterhalten. Die Rede ist von Harry Dittmer, Jahrgang 1957, dem Sohn einer hiesigen Familie aus dem Gastronomiegewerbe, die auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Eigentlich ist Harry heute schon im besten Renteneintrittsalter – mit 67 Jahren, doch von Ruhestand ist in seinem Leben noch gar nichts zu erkennen. Dazu allerdings später mehr …

Harry Dittmer – Ein langer Weg vom Neumarkt zum Piratennest

„Dittmers Gasthof“

Harry Dittmer erzählt lebhaft und spannend von den Anfängen seiner Familie im Hotel- und Gaststättengewerbe: „Im äußersten Süden Flensburgs, vor den Toren der Stadt, es hieß sogar „Vor dem Roten Thore“ (am späteren Neumarkt 3) entstand das Haus. Das 1852 erbaute Ursprungsgebäude diente anfänglich einem Grützmüller (seine Mühle stand am Großen Mühlenteich – heute Deutsches Haus) als Wohnhaus. Gute 50 Jahre später, im Jahr 1903, erwarb Ernst-Friedrich Dittmer das Haus und baute es zu „Dittmers Gasthof“ um, in einen der über viele Jahrzehnte bekanntesten und traditionsreichsten Restaurationsbetriebe der Region. Vorher hieß es Reese´s Gasthof und Christophersen Gasthof.

Großen Anteil am Erwerb hatte ein damals stadtbekanntes Original namens „Lena Fisch“. Diese „Lena Fisch“ war eine äußerst strebsame, fleißige und sparsame sogenannte Marktbeschickerin, die den in der Flensburger Förde gefangenen Fisch per Handkarren zu Fuß durch ganz Angeln karrte und dort die Fische gegen Obst und Gemüse eintauschte. Die eingetauschten Waren verkaufte sie anschließend in Flensburg auf dem Markt und bestritt so ihren Lebensunterhalt. Unser Ur-Großvater heiratete eine der drei Töchter und ein Teil der eingebrachten Mitgift floss in den Erwerb des Gasthofs.

Anfänglich fungierte der Gasthof noch als „Utspann“. So nannte man früher einen Gasthof mit Gästezimmern und Restauration, in dem die Bauern, Knechte und Kutscher abstiegen, um etwa ihr Vieh oder andere Güter auf den städtischen Markt zu bringen oder in Flensburg einzukaufen; auf einer Waage wurden anschließend die besagten Güter gewogen. In den Stallungen gab es in der Glanzzeit des Hauses Platz für etwa 100 Pferde.

Nach Ernst-Friedrich Dittmer übernahm Alex Dittmer (unser Großvater) den Gasthof.“

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Der Neubau

So wuchsen die Dittmer-Kinder heran

„Mein Vater kam dann nach dem Zweiten Weltkrieg und der Währungsreform ins Spiel, er übernahm wiederum von seinem Vater den Gasthof im Jahre 1949, nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft. 

Unser Vater Harald Th. Dittmer machte den Gasthof, mit viel Fleiß und Akribie nach und nach zu einer weithin bekannten Adresse“, weiß unser Chronist. Sein Vater war ursprünglich kein gelernter Wirt, sondern hat den Beruf des Maschinenbauers bei Anthon & Söhne gelernt. Um den Betrieb professionell führen zu können, absolvierte er extra eine Ausbildung zum Kellner im Angler Hof (Angelburger Straße), und arbeitete anschließend als ein solcher eine Zeitlang in der Alten Harmonie (Toosbüystraße).

Die Dittmer-Kinder wurden groß am Neumarkt 3, so lautete die Postadresse des Gasthofs. „Eigentlich waren wir ja fünf Kinder, doch meine älteste Schwester starb schon früh an den Folgen eines Unfalls. So wurde ich als Hahn im Korb mit drei Schwestern groß“, schmunzelt Harald, der immer von allen nur „Harry“ genannt wurde.

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Vorm Zuhause

„Wir haben mit den Gästen des Hauses gelebt“, schildert Harald „Harry“ Dittmer ihre gemeinsame Kindheit. „Wir Kinder waren auf unterschiedliche Stockwerke verteilt, teilten mit den Gästen das einzige Etagen-Klo. Die Gästezimmer selbst waren mit je einem Waschbecken ausgestattet. So war es eben damals in den 50er Jahren. Stammgäste spielten mit uns sogar schon mal „Monopoly“, auch saßen wir mit ihnen gemeinsam im Fernsehraum und durften dort mitgucken. So war „Dittmers Gasthof“ für die Gäste praktisch eine Herberge mit Familienanschluss.“ Schon in jungen Jahren halfen die Kinder mit im Betrieb – das war damals selbstverständlich. Die vier Geschwister wurden in den Service eingeführt, kümmerten sich in der Küche um den Abwasch, entsorgten Abfall und Leergut, fegten den Hof – was gerade so anlag. Als sie älter waren, durften sie schon mal mit dem handbetriebenen Aufzug die Speisen und das Geschirr vom Keller rauf in die Gaststube transportieren. „Bei größeren Feiern im Haus halfen wir auch mit beim Bedienen und Abräumen“, weiß Harry zu erzählen.

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Vater und Sohn

Harrys Kindheit, seine Sturm- und Drangzeit

„Die Schulzeit absolvierte ich unauffällig, ich lief da einfach so mit, schaffte problemlos die Grundschule, die Abschlüsse an der Hauptschule und an der Handelsschule. Ich besuchte die damals als „Zollschule“ (die echte Zollschule war dort bis 1956 beheimatet) bekannte Schule auf dem Museumsberg. Auf dem zweiten Bildungsweg machte ich später die Mittlere Reife nach. Da wir ja mitten in der Stadt wohnten und hier zuhause waren, gab es damals nur solche Spielmöglichkeiten, die dafür eigentlich nicht gedacht waren. Wir spielten sogar auf einigen Verkehrs-
inseln am Neumarkt Fußball: Die vorbeifahrenden Autofahrer und Radler riefen schon immer rechtzeitig: „Pass up, mien Jung!“

Gern erinnert sich Harry an die damaligen Winter, als es noch Schnee und Eis gab in Flensburg: „Wir sind dann immer mit großer Begeisterung mit unseren Gleitschuhen die Hügel am und im Lutherpark runtergerast!“, erinnert er sich an manchen Blödsinn mit seinen Spielkameraden. Später als Jugendlicher musste er dann daheim im Gastraum auch schon mal all das probiert haben, was der Getränkeschrank so hergab. „Den ersten Schnaps gab es heimlich hinterm Tresen, die erste Zigarette meines Lebens hab ich klammheimlich in einer Abseite geraucht. Unsere Eltern hatten es nicht immer leicht mit mir und meinen Geschwistern!“

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Die Schweizer Köche können es

Doch insgesamt hatten sie eine schöne Kindheit; die Eltern haben sich in der kargen Freizeit viel Mühe mit ihrem Nachwuchs gegeben. „Unsere Großeltern mütterlicherseits hatten einen Bauernhof in Haurup, dort sind wir in den Schulferien gern rumgestromert und haben tolle Entdeckungen gemacht. Es war für uns gefühlt so wie in der damaligen Kinderserie „Die Kinder von Bullerbü“, lacht Harry. „Mit den Eltern waren wir außerdem häufig auf dem Campingplatz in Steinberghaff – auch stets eine schöne und aufregende Zeit“, erinnert sich Harry gern an manche schöne Woche im Sommer am Ostseestrand.

In der Pubertät wurde aus dem heranwachsenden Jüngling dann bald ein „Protestler“: „Als Jugendliche waren wir so ziemlich gegen alles und gegen jeden. Damals wurde vorm Deutschen Haus eine riesige Protestkundgebung gegen einen geplanten Auftritt von Franz Josef Strauß abgehalten – meine Kumpels und ich natürlich mittendrin. Die 68er und die frühen 70er Jahre lassen grüßen“, so Harry.

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Harry und Alexandrateam

Der Ernst des Lebens

Doch die Eltern fingen den jungen Mann bald wieder ein. „Im Jahre 1976 fing ich eine Ausbildung im damals noch aktiv als Hotel betriebenen „Hotel Europa“ an, mit dem finalen Abschluss zum Hotelkaufmann im Jahre 1978. Erstmals entfernte ich mich anschließend richtig von zu Hause: In der Sommersaison 1978 arbeitete ich als „Chef de Rang“ im Intermar-Hotel in Grömitz. Doch dann rief mich die Bundeswehr zum Wehrdienst! Die Jahre 1979 und 1980 verbrachte ich als Zeitsoldat bei der Truppe, davon war ich jedoch die meiste Zeit heimatnah eingesetzt in Weiche in der damaligen Briesen-Kaserne!“, erinnert sich Harry an seine Pflicht dem Staat gegenüber. „Meine Lehrjahre waren aber noch nicht endgültig abgeschlossen: Von 1981 bis ins Jahr 1983 absolvierte ich erfolgreich eine weitere Ausbildung: eine Kochlehre im Restaurant „Borgerforeningen“ am Holm in Flensburg. Jetzt war ich endlich perfekt vorbereitet für ein erfolgreiches Berufsleben in der Gastro- und Hotelbranche!“

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Der Gipfelstürmer

Die Wanderjahre

Harry entschied sich für seinen Karrierestart in diesem anspruchsvollen Beruf für einen totalen Ortswechsel: Er ging in die Schweiz! Insgesamt fast fünf Jahre sollte sein dortiger Aufenthalt dauern. „In der Sommersaison 1983 startete ich als „Commis Gardemanger“ – Jungkoch mit Spezialität kalte Küche – im Hotel Schweizer Hof in Vulpera.“ Im gleichen Winter wechselte er als „Commis saucier“ nach Arosa. Dort blieb er das gesamte Jahr 1984 und arbeitete sich bis zum „Chef entremetier“ – Koch für Beilagen/Vorspeisen hoch. Es folgten zwei Jahre in St. Moritz, dann kehrte er wieder nach Vulpera zurück – mittlerweile zum „Chef de Cuisine“ aufgerückt. In seiner letzten Saison im wunderschönen Alpenland war er als Allein-Koch im Winter 1987 in Vulpera tätig.

„Die Zeit in der Fremde in der Schweiz war eine tolle Lebenserfahrung für mich, die ich auf keinen Fall missen möchte. Das Arbeiten und Leben in den dortigen internationalen Häusern hat mich viel gelehrt, von Toleranz fremden Menschen und Rassen gegenüber bis hin zur flexiblen und funktionierenden Arbeit in einem tollen Team. Dort waren Aussehen, Rasse, Sprache, Herkunft völlig nebensächlich: Es zählte nur das was Du kannst und wie Du Dich benimmst und in ein Team einfügen kannst“, resümiert Harry seine Schweizer Jahre. „Gerade die letzte Phase als Allein-Koch hat mich stark gefordert: Als Allein-Koch trägst Du sehr viel Verantwortung, musst unheimlich viel bedenken und stets auf Zack sein!“

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Harrys Stand während der Rum Regatta

Zurück in Flensburg

In all den fünf Jahren in der Schweiz hat er die Verbindung nach zuhause gehalten, regelmäßig mit den Eltern telefoniert und den Kontakt zu vielen guten Freunden aufrechterhalten. Im Frühjahr 1988 kehrte Harry in die Heimat zurück. Er bekam schnell eine Anstellung in Flensburg-Weiche im „Kam in“, wo er gleich als Allein-Koch und Ausbilder für den Restaurationsbetrieb tätig war. Seine erste Wohnung in Flensburg außerhalb seines Elternhauses bezog er in der Glücksburger Straße, doch hielt es ihn dort nicht lange, schon bald wechselte er in die Kappelner Straße, später in die Dorotheenstraße, wohnte zwischendurch auch mal in sogenannten WGs. Heute ist er in der Friesischen Straße zuhause.

„Das Wohnen war mir eigentlich nie besonders wichtig, als Single hatte ich mich eh nur um mich selbst zu kümmern. Außerdem war ich in meiner Freizeit sowieso gern auf Achse“, beschreibt Harry seine private Situation damals. „Die Arbeit war mir stets das Wichtigste, im Beruf ging ich total auf.“ So blieb die Zeit im „Kam in“ auch auf knapp zwei Jahre begrenzt. Im Frühjahr 1990 drückte er noch einmal kurz und intensiv die Schulbank: „Ich absolvierte erfolgreich einen dreimonatigen Fortbildungslehrgang mit dem Titel „Küchenmeister im Gastgewerbe“, so unser Protagonist.

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Das Piratennest: Schank- und Aufenthaltsraum

Harrys „Mittelalter“ in seiner Heimatstadt

Gleich nach besagtem Lehrgang trat er eine neue Stelle an, diesmal als Koch im Restaurant „Castillon“, im damaligen Central-Hotel. Dort arbeitete er von Mai bis einschließlich Dezember 1990. Nun bot sich ihm plötzlich die Chance, sich selbständig zu machen. Er ergriff diese Möglichkeit und übernahm das Restaurant im „Hotel am Stadtpark“ in Flensburg, mit Beginn am 01.02.1991. „Das war eine schöne, aber auch intensive und mich fordernde Aufgabe“, erinnert sich Harry an jene Jahre im Nordergraben 70. Diese Zeit fand jedoch ein abruptes Ende im Juni 1997: Nach einem Brandschaden im Hotel waren sowohl der Hotelbetrieb nicht mehr möglich als auch das Restaurant nicht mehr nutzbar. Der Eigentümer gab daraufhin das Restaurant auf und schloss das Hotel. „Was nun?“, fragten sich die betroffenen Mitarbeiter einschließlich Harry Dittmer. „Doch mir bot sich umgehend eine neue Chance auf einen ähnlichen Arbeitsplatz“, so Harry. Er übernahm bereits im Folgemonat Juli 1997 die Restauration im „Relax“, im Sportland in Flensburg in der Raiffeisenstraße. Dort sollte er fortan die nächsten drei Jahre wirken. Im April 2000 gab er dann seine durchaus erfolgreiche Tätigkeit im Sportland auf – seine Rückkehr in den elterlichen Betrieb war beschlossen und stand unmittelbar bevor.

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Zurück zu den Wurzeln

Bereits im Jahre 1998 begannen in Harrys langjährigem Zuhause, in „Dittmers Gasthof“, umfangreiche Umbauarbeiten: Das Haus wurde saniert, modernisiert, auf neuesten Stand gebracht. Auch auf Wunsch seines Vaters übernahm Harry dann im Juli des Jahres 2000 im familiären Hause als Pächter die Restauration im „Restaurant und Bankettbetrieb Dittmers Gasthof“. „Die Arbeit daheim und zusammen mit den Eltern gefiel mir durchaus gut – sie arbeiteten mit mir auf Augenhöhe, ich war nicht mehr nur das Kind“, denkt Harry gern an diese Zeit zurück.

Im Jahr 2006 verkaufte allerdings sein Vater das komplette Anwesen: Er wollte sich nach langen, langen Berufsjahren gemeinsam mit seiner Ehefrau endlich zur Ruhe setzen, den Lebensabend noch genießen. „Das ist ihm damals nicht leicht gefallen, doch die Umstände waren halt so wie sie waren. Ich stand als Nachfolger nicht zur Verfügung, ich hätte eine komplette Übernahme schon finanziell niemals stemmen können“, erinnert sich Harry auch an jene bewegende Zeit.

Harry Dittmer – Ein langer Weg vom Neumarkt zum Piratennest

Lange Zeit stand der Gebäudekomplex leer, schließlich wurde er im Jahre 2022 abgerissen. „Unser betagter Vater, mittlerweile 101 Jahre alt, hat den Abriss teilweise mitverfolgt. Er wollte die Reste seines Gasthofes unbedingt noch einmal sehen“, sagt Harry. „Vater sagte dazu lediglich: „Dann ist das jetzt eben so.“ Das war seine ihm eigene und persönliche Art, damit umzugehen, obwohl man sah, wie nah ihm das gegangen ist.“

Harry jobbte im Winterhalbjahr 2006/2007 im Weihnachtsgeschäft im Restaurant „Bellevue“, musste anschließend aber gesundheitlichen Tribut zahlen für die vielen anstrengenden und fordernden Berufsjahre in diversen Restaurant-Küchen.

„Mein Rücken bereitete mir schon länger immer mal wieder größere Probleme“, erinnert sich Harry an eine nicht so schöne Phase seines Lebens. „Um eine Bandscheiben-Operation kam ich nicht herum. So verbrachte ich die Wintermonate Januar und Februar 2007 fast durchgängig im Krankenhaus und anschließend in der Rehabilitation.“

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Start in die zweite Hälfte seiner Berufsjahre

Gleich nach Abschluss seiner Reha stürzte Harry sich mit neuem Elan wieder in den Beruf. Er trat im Frühjahr 2007 – von März bis Mai – eine Stelle als Koch im benachbarten Dänemark an: im Restaurant „Aphrodite“ im nahe Gravenstein gelegenen Marina Minde. Nach dieser recht kurzen Episode zog es ihn aber wieder nach Flensburg zurück. Ab 2008 arbeitete er als Koch im Restaurant „Roter Hof“ in der Roten Straße 14, praktisch schräg gegenüber von „Dittmers Gasthof“. „Die Arbeit als Koch im „Roten Hof“ war mehr als nur ein Job für mich – sie hat mir sehr viel Freude und Genugtuung bereitet.“

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Harry und das „Piratennest“

Harry hatte mit seiner guten Freundin Sabine Hennig schon seit vielen Jahren regelmäßig einen Verkaufsstand bei der „Rum Regatta“ betrieben, stets auch auf dem Flensburger Weihnachtsmarkt einen Stand betreut.

Eines Tages im Jahre 2016 stolperte Harry beim Blättern in der hiesigen Tageszeitung über einen Artikel zur geplanten Umgestaltung des Harniskais auf dem Flensburger Ostufer.

„Anfangs habe ich die Bedeutung dieses Berichts für meine Ambitionen und Ideen gar nicht erkannt. Erst beim zweiten Lesen stolperte ich über die Idee, die der Umgestaltung zugrunde liegen sollte: Eine gemeinnützige Nutzung eines Teils der Harniskaispitze war dort vorgeschlagen.“ Interessierte Bürger konnten ihre Ideen und Vorschläge bei der Verwaltung einreichen und diese später während einer öffentlichen Veranstaltung im Rathaus – in der Bürgerhalle – vortragen.

„Ich ging schon geraume Zeit mit einer Idee schwanger, die ich gemeinsam mit Sabine Hennig ausformulierte, zu Papier brachte und fristgerecht einreichte.

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Mit Sabine Hennig

Dann kam der Tag der Präsentation des Konzepts in der Bürgerhalle: Im furchterregenden Piratenkostüm, bis an die Zähne bewaffnet – nicht mit Piratenwaffen, sondern mit guten Argumenten, mit Augenklappe und allem was dazu gehört, traten wir vor das geneigte Publikum und trugen unser Konzept vor! Und was soll ich sagen? Wir bekamen letztlich den Zuschlag, unser Konzept eines „Piratennestes“ an der Harniskaispitze umzusetzen.

Das war dann praktisch die Geburtsstunde des „Piratennestes“, denkt Harry gern an den gelungenen Coup im Flensburger Rathaus zurück!

Die Belebung der Harniskaispitze sollte nun fristgerecht im Juli 2017 starten, mit der Gastronomie im neu zu schaffenden „Piratennest“. Das einst dort existierende „Luftschloss“ war geräumt, dessen Bewohner verschwunden. Nun startete ein hochmotiviertes Team das Abenteuer „Piratennest“: Harry Dittmer, seine gute Freundin Sabine Hennig und eine gelernte Bankerin, die seinerzeit noch das Camelot Resort, „Pferdeparadies“ in Handewitt, führte. Außerdem halfen seine Schwester Marlis und viele andere gute Freunde und Bekannte.

Mit einer neuerstandenen Fjordhütte wurde am nördlichen Zipfel der Harniskaispitze das Piratennest eröffnet. Doch vor einem funktionierenden Gastro-Betrieb war erst einmal die dafür nötige Infrastruktur herzustellen. Für Wasser, Strom und sanitäre Anlagen mussten diverse Dutzende Meter an Leitungen neu verlegt werden, eine fünfstellige Summe investierten die künftigen Betreiber dafür. Ein mutiger Schritt angesichts der Tatsache, dass eine gesicherte Nutzung anfangs nur für 2017 und das Folgejahr 2018 verbindlich zugesagt wurden.

Harry Dittmer – Ein langer Weg vom Neumarkt zum Piratennest

Eine Erfolgsgeschichte

„Wir fingen mit einer Bretterbude an“, erzählt Harry. Drum herum auf etwa 500 Quadratmetern sollte ein Außenbereich entstehen, mit Liegestühlen und Strandkörben, natürlich auch mit Tischen, Stühlen und Bänken. „Eine gewisse Verunsicherung bestimmte natürlich auch unsere anstrengende Pionierarbeit in der ersten Zeit: Wie wird das neue „Piratennest“ ankommen, können wir mit einer positiven Resonanz rechnen? Wenn dem so sein sollte, wollten wir im Folgesommer 2018 für die rund 6 Monate in der schönen Jahreszeit den Betrieb offen halten!“

Harry lobt ausdrücklich die gute Zusammenarbeit sowohl mit dem Sanierungsträger als auch mit der Flensburger Stadtverwaltung. „Die haben uns tatsächlich geholfen, wo sie nur konnten“, betont Harry das gute Miteinander mit den städtischen Gremien. „Unser Pachtvertrag war zwar nur befristet, doch bekamen wir die Signale, dass wir im Erfolgsfall mit einer weiteren Verlängerung rechnen dürften.

Doch unsere anfängliche Knochenarbeit und das Ackern in der Vorbereitungszeit sollten sich schon bald auszahlen“, denkt Harry gern an die positive Entwicklung des „Nestes“ zurück.

„Obwohl anfangs manche Pessimisten abrieten, sollten wir schnell in Flensburg bekannt werden, besonders viele Einheimische waren begeistert von unserer neuen Lokalität an einem ganz besonderen Ort an der Flensburger Förde.

Wir erfuhren große Solidarität, das „Piratennest“ entwickelte sich schnell zu einem Treffpunkt für Flensburger und Flensburgerinnen, sowohl für Alt als auch für Jung.“ Schon im Folgejahr 2018 genoss das „Nest“ in Flensburg und Umgebung „Kultstatus“. Man traf sich hier gern auf ein Feierabendbier, mit dem phantastischen Blick auf die Innenförde. Mensch und Hund, Kind und Kegel, jeder und jede waren hier herzlich willkommen, und schon bald machten sich die Betreiber auch Gedanken um die mögliche Nutzung des Nestes als Veranstaltungsort für Kultur und Kleinkunst.

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Das Piratennest erlangt Kultstatus

Nach und nach entstanden ein Volleyballfeld, Spielmöglichkeiten für die Kleinen, es konnte draußen Schach gespielt werden. Bald wurden erste Veranstaltungen hier durchgeführt. Der Musiker-Stammtisch tagte im „Piratennest“, veranstaltete schon bald in dem tollen Ambiente sein Anker­ground-Festival, die Kultur fühlte sich schnell an der Harniskaispitze gut aufgehoben. Doch es fanden auch andere und vielfältige Events hier statt: Tanzwütige tanzten dort Tango, Salsa und Swing, für große und kleine Kinder gastierte ein Puppenspieltheater, für Sportler war das Volleyballfeld ein gern genutzter Anziehungspunkt. Erst kürzlich im August 2024 fand hier ein bemerkenswertes Open Air Event statt: die Aufführung von Mozarts Oper „Die Zauberflöte“.

Doch auch der Alltag in den Sommermonaten übt immer wieder genug Anziehungskraft auf die zahlreichen Gäste aus. „Bei uns im Nest ist eigentlich immer etwas los“, weiß Harry. „Es sei denn, dass wir mal ganz mieses Wetter haben, doch selbst dann findet noch der eine oder andere hierher.“ Die Speisekarte ist übersichtlich, die Lokalität will ja auch nicht unbedingt Gourmet-Freuden erfüllen. Es zählt hier die Geselligkeit, das gelassene Miteinander bei einem Glas Bier, Wein, einem Kaffee und einer Kleinigkeit zum Essen. Dass sich die Gäste wohlfühlen, dafür sogar stets das freundliche Personal. „Das Team besteht in einer Saison aus rund 20 Personen. Überwiegend aus Studenten und Schülern und dem Stammteam, das seit Beginn dabei ist.“

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Ausblick

Für den 67-Jährigen Harry wird dieser „Traumjob“, so hofft er jedenfalls, die letzte Station seines gastronomischen Wirkens und Schaffens sein – obwohl er, wie eingangs erwähnt, schon an der Schwelle zum offiziellen Rentnerdasein steht. „Es ist für mich immer noch der schönste Arbeitsplatz der Welt, und wird es hoffentlich noch ein paar gute Jahre lang so bleiben.“

Das wünscht ihm natürlich auch das Flensburg Journal und bedankt sich bei Harry für ein interessantes und erhellendes Gespräch. „Mach noch lange so weiter, lieber Harry!“

Mit Harry Dittmer sprach Peter Feuerschütz
Fotos: Benjamin Nolte, privat
  

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