Manch einer mag denken, dass Bent Larsen im Flensburger Rathaus sitzt und im Bürgerbüro die Neubürger begrüßt. Das liegt an einem kurzen Image-Film, den der Verein „Flensburg liebt dich“ 2016 in Auftrag gab und der anschließend viral ging. Der Internet-Hit läuft unter dem Motto „In Flensburg wird geprömpelt“ und zeigt einige Zugezogene, wie sie im Einwohnermeldeamt von einem freundlichen Herrn mit einer überraschenden Übung konfrontiert werden. Sie sollen „prömpeln“, also mit einem Finger-Schnippchen an einer Flasche „Flens“ den Bügelverschluss so nach oben wirbeln, dass er schließt.
Am Ende löst sich die Aktion als „Versteckte Kamera“ auf. Was aber nicht erzählt wird: Auch die vermeintlichen Neubürger sind nicht echt. Es handelte sich ausnahmslos um einige Darsteller der Niederdeutschen Bühne. Und der angebliche Sachbearbeiter im Bürgerbüro ist ein bekanntes Gesicht dieses Flensburger Theaters. Eben Bent Larsen. „Ich hatte mir diesen Image-Film in seiner Endfassung noch gar nicht angesehen, da wurde ich schon beim Spaziergang am Hafen angesprochen“, erzählt er. Das „Prömpeln“ erreichte siebenstellige Aufrufzahlen und wurde in der Filmfest-Metropole Cannes mit einem „Goldenen Delfin“ ausgezeichnet.
Jugend in Mürwik und auf der Westlichen Höhe
Der Hauptakteur ist ein richtiger „Flensburger Kopf“, ein gebürtiger noch dazu. Bent Larsen erblickte 1963 in der „Diako“ das Licht der Welt. Seine Eltern wohnten damals in der Norderstraße, hatten als junges Ehepaar gerade ihre erste gemeinsame Wohnung eingerichtet. Die zweite befand sich in Mürwik in der Eiderstraße, wo ihr kleiner Sohn den Kindergarten besuchte. 1969 folgte ein zweiter Junge, und zwar Jan. Da baute die Familie bereits ihr Eigenheim auf der Westlichen Höhe. Die vierköpfige Familie bezog das Erdgeschoss. Im ersten Stockwerk lebten die Großeltern. Idyllisch, ruhig und viel Platz – der Flensburger Stadtrand war definitiv ein Reich für Kinder, die hier viele Spielkameraden trafen. Längst ist die Siedlung in die Jahre gekommen. Die Dreikäsehochs der 70er Jahre stehen kurz vor dem beruflichen Ruhestand, die einstigen Bauherren sind oftmals schon verstorben. So auch die Eltern von Bent Larsen, der jetzt wieder im Haus seiner Kindheit und Jugend wohnt – zusammen mit seiner Frau Maja. Als kleiner Wirbelwind war er von hier in die Emil-Nolde-Straße gegangen, wo er vier Jahre lang die Falkenbergschule besuchte. Er tobte in der Marienhölzung und „watschelte“ am See, bis sich die sportliche Mission des Vaters durchsetzte. Der war Handball-Trainer. Der Sport für Kindheit und Jugend war vorgezeichnet. Bent Larsen warf den Ball zunächst im legendären Trikot vom FTB, der bald darauf in den neuen TSB Flensburg aufging. Mit 16 Jahren verschob sich der sportliche Schwerpunkt. Eine neue Liebe sozusagen. „Da ist etwas Fatales passiert“, schmunzelt der 59-Jährige. „Ich machte bei der Tanzschule Neben in der Schlossstraße einen Anfängerkurs – und da war es um mich geschehen.“ Standard, Latein oder Turniertanz – Bent Larsen hatte eine neue Passion entdeckt. Er trat in den Flensburger Tanzklub ein, tanzte dann bei Wolfgang Waibl, der zunächst seine Schule in der Angelburger Straße und später am Deutschen Haus sowie in der Schlossstraße organisierte.
Ein tanzender Polizist
Der junge Tanz-Enthusiast wirkte bei vielen Veranstaltungen mit – und bei verrückten Ideen. Einmal war Bent Larsen sogar der „Tanzende Polizist“ auf dem Südermarkt. Wie das? Inzwischen hatte Bent Larsen die Schulzeit beendet. Er hatte die „Vierte Realschule“ besucht, die aufgrund einer angespannten Raumsituation zweigeteilt war. Auf drei Jahre an der Marienkirche folgten drei weitere in der Schlossstraße. Die Lehrer wechselten in den Pausen zwischen den Standorten. Demonstrationen für ein einziges Schulgebäude gehörten fast schon zum Alltag.
Sport, Erdkunde und Deutsch waren die favorisierten Fächer von Bent Larsen, der sich dann berufen fühlte, sich in Eutin und Kiel insgesamt vier Jahre lang zum Polizisten ausbilden zu lassen. Nun konnte er sich eine erste eigene Wohnung in der Friesischen Straße leisten. Von dort waren es nur wenige Schritte zum Südermarkt, wo er einmal in Uniform, mit seiner ersten Tanzpartnerin Angelica Pazo-Peetz, vor vielen Zuschauern Rock´n´Roll tanzte und Begeisterungsstürme auslöste.
Bankausbildung statt Beamtentum
Für viele Zeitgenossen mag ein sicherer Beamten-Status reizvoll sein. Bent Larsen war aber erst 21 Jahre alt und wollte in seiner jugendlichen Unbekümmertheit einfach etwas anderes machen. Sein Vater fiel vom Glauben ab, als sein Filius plötzlich wieder die Schulbank drückte und zwei Jahre die Höhere Handelsschule besuchte. Bent Larsen schaffte die Fachhochschulreife und hatte ein BWL-Studium im Blick. Dann entschied er sich aber für eine Bankausbildung, klapperte insgesamt neun Jahre bei diversen Banken ab, ehe er sich als Versicherungsfachmann selbstständig machte. In Leck hatte er eine Agentur und in Handewitt ein Haus. Später wechselte er das Versicherungsunternehmen, ehe er der Branche den Rücken zukehrte. Seit Sommer 2021 ist der Flensburger für die Nord-Ostsee-Sparkasse in der Walzenmühle als Finanzberater tätig. „Es ist kurios“, erzählt er. „Wir sind in der Filiale nur zu fünft, aber mit zwei Kolleginnen war ich zeitgleich zur Berufsschule – also vor rund 35 Jahren.“
Flying Saucers und Boogie-Woogie
Der Berufsweg sei an dieser Stelle nur kurz skizziert, denn bekannt ist Bent Larsen in Flensburg – und darüber hinaus – durch seine Hobbys. Seine Leidenschaft für das Tanzen blieb eine Konstante. Mit den legendären „Flying Saucers“ inszenierte er Rock`n Roll und den von ihm besonders geschätzten Boogie-Woogie. Die Flensburger Gruppe ging auf Tournee, trat in Stuttgart, München und Frankreich auf, wurde deutscher Meister und sogar Vize-Weltmeister. Dieser größte Erfolg glückte nicht in der weiten Welt, sondern 1996 in der heimischen Fördestadt.
Bald danach kam es zum Bruch. Einige Mitglieder verließen die „Flying Saucers“ – auch Bent Larsen. Die neue Formation hieß „Boogie Burger in der Dance Connection Flensburg“. Diesen Verein gründete Bent Larsen 1996 und war über 20 Jahre der erste Vorsitzende. Das Emblem prägte ein Hamburger mit Augen. Ein Höhepunkt war der Auftritt im süddeutschen Dingolfing anlässlich der deutschen Meisterschaft in der Quartett-Formation, also mit vier Paaren. Bent Larsen und seine Truppe gewannen mit der von ihm choreographierten Formation den Titel. Bent Larsen entwarf weitere Choreographien und war im Nebenjob als Tanzlehrer bei Wolfgang Waibl tätig. Mit ihm zog er bereits 1989 an den neuen Standort in der Raiffeisenstraße und unterrichtete Standard, Latein, Boogie und Rock´n´Roll. Keine Hexenkunst, wie der 59-Jährige betont: „Ich habe jahrelang getanzt, viel gelernt und mir etliches abgeschaut – da genügte eine kurze Übungsleiter-Ausbildung.“
Tanz- und Mode-Happening
Zum Highlight jeden Jahres avancierte ein Tanz- und Mode-Happening, das immer weiter wuchs und in den 90er Jahren mehrfach das Deutsche Haus füllte. Monatelange Vorbereitungen mündeten in ein umfangreiches Abendprogramm. Sportkleidung, Brautmoden, Alltagsstyle, Dessous oder Brillen wurden nicht nur auf dem Catwalk präsentiert, sondern als Tanz-Event auch auf der Bühne. Jede Tanzgruppe – von den Kindern bis zu den Erwachsenen – brachte sich ein. Es entstanden Kostüme mit Glanz. Und die Musical-AG übte Sequenzen aus der „West Side Story“, aus „Cats“, aus „Hair“ oder aus der „Rocky Horror Picture Show“ ein. Standard- und Lateinformationen standen ebenso auf dem Programm wie komödiantische Einlagen. „Da musste man dabei gewesen sein“, sagten sich vor allem die Frauen. Die Musical-AG wurde auch für Betriebsfeiern und Geburtstage gebucht. Ähnlich gefragt war das Duo „Raphael und Dolores“. Bent Larsen übernahm den weiblichen Part, verkleidete sich als Frau und alberte mit seinem Kumpel Lars Matthiesen zu umgedichteten Hits. „Ein Tanzpaar für alle Fälle“, nannten sich die beiden. „Wir waren an den Wochenenden ständig unterwegs und mussten gar keine Werbung machen“, erinnert sich Bent Larsen. „Die Mund-zu-Mund-Propaganda genügte.“ Ebenso oft war er mit der Gruppe „Show & Co.“ und dem legendären „Baby-Sitter-Boogie“ in ganz Schleswig-Holstein auf Tour.
Debüt an der Niederdeutschen Bühne
Auch für das darstellende Spiel hatte er ein Faible, träumte bisweilen vom Theater. 2005 suchte die Niederdeutsche Bühne plötzlich Laienschauspieler für das Stück „Barfoot bet an´n Hals“. Dabei handelte es sich um die plattdeutsche Version der Erfolgskomödie „Ladies Night“, die viele Tanzeinlagen der „Chippendales“ vorsah. „Das kommt doch wie gerufen“, dachte sich Bent Larsen. „Tanzen kann ich, und Plattdeutsch bringe ich mir bei.“ Der Theater-Novize war dabei und ging zunächst von sechs Aufführungen aus. Was er nicht ahnen konnte: Es wurden sechs Jahre. „Barfoot bet an´n Hals“ wurde zum größten Kracher der Niederdeutschen Bühne in Flensburg überhaupt. Die Statistik zählt 112 Aufführungen mit über 54.000 Zuschauern. Bent Larsen gehört seitdem fest zum Ensemble und wirkte bislang an 27 verschiedenen Stücken in über 700 Vorstellungen mit. Einmal glänzte er sogar bei einem Solo-Projekt: „Alleen in de Sauna“. Die „vierte Wand“ bildete das Publikum, vor dem der Protagonist über Frauen, Probleme und die Befindlichkeiten des männlichen Körpers sinnierte. „Jeder im Publikum erkannte sich an einer Stelle selbst“, erzählt der Schauspieler.
Die Wochen vor einer Premiere
Es ist ein zeitintensives Hobby. Profis sind lediglich die Regisseure, die vom Landestheater, vom Hamburger Ohnsorg-Theater oder vom Staatstheater Mecklenburg kommen. Bent Larsen hingegen freut sich am wachsenden Erfahrungsschatz. „Bei jedem Stück kann ich etwas lernen, man nimmt immer etwas mit“, erzählt er. Besonders aufwändig sind die sieben bis acht Wochen vor einer Premiere. Fünf Mal die Woche geht es ab 18.30 Uhr bis in den Abend auf die Probenbühne der NDB im Stadttheater. Zunächst werden einzelne Szenen geprobt, dann die Texte immer besser einstudiert und schließlich vollständige Durchläufe umgesetzt. Die letzten Tage wechseln die Darsteller auf die große Bühne. Mit der Generalprobe kommt das Lampenfieber. Die Hilfe der Souffleuse musste Bent Larsen bereits in Anspruch nehmen. „Auch wenn man auf der Bühne souverän agiert, ist die Präsenz der Souffleuse wichtig, da sie Sicherheit gibt“, betont er. Im Frühling pausierte der leidenschaftliche Laienschauspieler. „Veer Mannslüüd in`n Nevel“ war ausgelaufen. In Kürze wird Bent Larsen aber wieder in einen neuen Zyklus einsteigen. Im September soll eine Zwei-Personen-Komödie ihre Premiere haben.
Sport und Rollenspiele
Nach wie vor ist der Flensburger an einer Tanz-Formation beteiligt und frönt dem Boogie. Vier Paare treffen sich regelmäßig in einer Turnhalle des TSB Flensburg. „Wir lieben das Tanzen, die Bewegung und den Sport“, erzählen sie. „Boogie ist im Gegensatz zu Rock´n Roll noch gut bis ins hohe Alter möglich.“ Sie üben eine Show ein, die am 17. und 18. Juni beim „Lauf ins Leben“ auf dem TSB-Sportplatz aufgeführt wird. 25 Jahre lang spielte Bent Larsen Squash – bis die Möglichkeiten im „Sportland“ und im „Sum Sum“ verschwanden. 2016 brachte ihn sein Schwager auf eine ganz neue Idee: Live-Action-Role-Playing, kurz LARP. Es ist so etwas wie eine Mischung aus Rollenspiel und Improvisationstheater und umfasst viele Charaktere. Die Flensburger Teilnehmer fanden sich gemeinsam im Clan „Wolfsbrut“ wieder und besuchen immer Anfang August ein großes Event auf dem Rittergut Brokeloh bei Hannover. Dort kommen 9000 Teilnehmer aus ganz Europa zusammen. „Man kauft sich ein Ticket wie für ein Festival“, erklärt Bent Larsen. „Und dann spielen wir einen Mix aus Herr der Ringe und Wikinger. Es ist nicht authentisch, es ist Fantasy mit Orks, Elben und wilden Kriegern.“
Eine knappe Woche schlüpft man in ein ganz anderes Leben. Außer Dusche und Toilette fehlt die Moderne. Stattdessen toben große Kämpfe mit Waffen aus Polsterstoff. Kochen am offenen Feuer, mittelalterlicher Singsang und bunte Gewandungen prägen die Tage. Inzwischen ist LARP sogar zum generationsübergreifenden Familien-Spaß geworden. Auch Sohn Tjark sowie Bruder Jan und dessen Sprössling Kjell kommen mit nach Niedersachsen. Wesentlich dichter dran ist Wallsbüll. Dort ist Bent Larsen häufiger über das Wochenende in einer Anlage, die einem Dorf im Mittelalter nachgebaut wurde und sich an historische Richtigkeit orientiert. Der 59-Jährige sitzt in „Valsgaard“ gerne am Lagerfeuer, übernachtet im Langhaus oder handelt auf einem mittelalterlichen Markt. Auch seine „ewige“ Vatertags-Truppe hat er schon mal für ein langes Wochenende nach Valsgaard entführt.
Familie und Küche
Gesellig geht es auch im Eigenheim auf der Westlichen Höhe zu. Majas Tochter Linda mit Ehemann und drei kleinen Kindern sind oft zu Besuch. Hündin Emma holt sich gerne Streicheleinheiten ab. Natürlich schauen auch Tjark und Kira, die Zwillinge aus erster Ehe mit Cathy (eine Boogie-Tänzerin) oft vorbei. Interessant: Kira tanzte von klein auf und stand später mit ihrem Vater sogar gelegentlich zusammen auf der Bühne. 2015 hatte sie ein Austauschjahr in Irland, das durch einen Urlaub der ganzen Familie auf der grünen Insel unterbrochen wurde.
Die Küche ist oft das Reich von Bent Larsen. Der Hobbykoch kocht leckere Gerichte nach Rezept oder kreiert Eigenes. Der wichtigste Mensch im Leben ist natürlich Ehefrau Maja, die er 2015 heiratete. Einst war das Paar Nachbar und Nachbarin in Handewitt. Es funkte vor 20 Jahren bei der 600-Jahr-Feier von Ellund. Mit seiner neuen Liebe zog Bent Larsen zunächst nach Engelsby – und schließlich in das Elternhaus auf der Westlichen Höhe. Dort kommt er nach den Aufführungen an der Niederdeutschen Bühne zur Ruhe und fährt erst einmal die Anspannung herunter – etwas zappen an der Fernbedienung des TV-Geräts kann Wunder bewirken.
Text: Jan Kirschner,
Fotos: Jan Kirschner, Sönke Pencik, privat