Die Wege sind wirklich kurz bei der SG Flensburg-Handewitt. Der Sportliche Leiter Ljubomir Vranjes hat seinen Schreibtisch in der Geschäftsstelle im selben Raum wie Geschäftsführer Holger Glandorf, die beiden sitzen sich sogar gegenüber. „Er ist der Chef und sagt letztendlich: Ja oder nein“, erklärt Ljubomir Vranjes die Hierarchie. „Holger kriegt alles mit, was ich tue, er ist über jeden Schritt informiert.“
Der Geschäftsführer verantwortet den gesamten operativen Bereich, also auch Finanzen und Marketing, wo ihn andere Angestellte unterstützen. Für den sportlichen Bereich setzt er auf Ljubomir Vranjes, der in Absprache mit dem Trainer-Team die Vorbereitung oder die Auswärtstouren plant, sich bei Terminen rund um die Mannschaft einbringt und vor allem auch für die zukünftige Zusammensetzung der Mannschaft verantwortlich ist. Soll der Kader so bleiben, wie er ist? Oder sind personelle Veränderungen ratsam? „An erster Stelle steht die Kontinuität“, erklärt der Fachmann. „Aber es gibt auch Ergebnisse, Leistungen und vielleicht die Erkenntnis, dass es neue Impulse braucht.“
Umfangreiche Kaderplanungen
Zusammen mit Chefcoach Nicolej Krickau und dessen Assistenten Anders Eggert spricht der Sportliche Leiter über Vorschläge, die dann unter Gesichtspunkten wie Verfügbarkeit, Budget oder Integrationspotenzial in einer Liste bewertet werden. Ljubomir Vranjes ist es dann, der Kontakt zu den Beratern sucht und – im nächsten Schritt – mit dem Wunschkandidaten spricht. Dann gibt es entweder einen Korb – oder die Gespräche werden intensiver.
In der Regel ist es so, dass die besten Spieler auch die größten finanziellen Vorstellungen haben. „Wir zahlen aber nicht die höchsten Gehälter“, betont Ljubomir Vranjes. „In der Bundesliga liegen wir vielleicht an vierter, in Europa eher an zehnter Stelle.“ Das erfordert durchaus Kreativität – und vor allem Akribie. So werden nicht nur die Bundesliga und die skandinavischen Ligen aufmerksam beobachtet, sondern auch Frankreich, Spanien, der Balkan und neuerdings Italien. Und innerhalb einer Kooperation mit deutschen, dänischen und schwedischen Partnervereinen ist man nicht nur dabei, die Nachwuchsarbeit auf ein breiteres Fundament zu stellen, sondern auch eine Scouting-Datenbank anzulegen – mit Profilen von erwachsenen und jugendlichen Spielern aus Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen.
Großer Zeitaufwand
Das alles klingt nach viel Arbeit. Aber ohne sie geht es nicht, wie Ljubomir Vranjes immer wieder erwähnt. „In der letzten Saison waren wir Dritter und gewannen einen europäischen Titel, jetzt wollen wir einen Schritt weiter nach vorne kommen“, sagt er. „Dazu muss man die SG leben, da kann man keine halben Sachen machen.“ Da bleibt wenig Raum für Muße, für den Besuch eines Cafés oder einen Spaziergang an der Förde, zumal der 51-Jährige seine Freizeit am liebsten im Kreis der Familie verbringt, etwas kocht oder auch mal ein Gläschen Rotwein trinkt.
Dann sinniert der Schwede bisweilen auch über seine zweite Flensburg-Etappe, die mit seiner Rückkehr als Sportlicher Leiter im Sommer 2023 begann. „Es war durchaus wichtig, dass ich etwas Abstand gewonnen habe, um festzustellen, wie gut es hier ist“, sagt Ljubomir Vranjes im Rückblick. „Elf Jahre sind so eine lange Zeit, die nie wirklich weg ist – und dann sofort wieder da ist.“ 2006 war er als erfahrener Spielmacher zur SG gestoßen, kratzte hauchdünn an der Champions League vorbei, um wenig später seine Karriere aufgrund von Verletzungen zu beenden.
Erfolge und Erfahrungen als Trainer
Der Kapitän wurde zum Team-Manager und übernahm im November 2010 das Traineramt. Es folgte die erfolgreichste Phase seiner Trainer-Karriere. Der kleine Schwede holte mit der SG den Europacup der Pokalsieger (2012), den DHB-Pokal (2015) und sogar die Champions League (2014), nur mit der Meisterschaft wollte es nicht ganz klappen. In der Saison 2016/17 buhlte Veszprém intensiv um Ljubomir Vranjes. Er nahm das gutdotierte Angebot an. Anfang Juni 2017 wurde er in der „Hölle Nord“ verabschiedet. „Es ist gefühlsmäßig eine Mischung aus Traurigkeit und vielen Erinnerungen“, sagte er damals – mit Tränen in den Augen.
In Ungarn kümmerte er sich zunächst in einer Personalunion um das Vereinsteam von Veszprém und um die Nationalmannschaft. Die großen Erwartungen erfüllten sich nicht, nach nur etwas mehr als einem Jahr endete das Magyaren-Engagement. Danach wurde Ljubomir Vranjes Coach von IFK Kristianstad und übernahm die slowenische Nationalmannschaft. Bei der Europameisterschaft 2020 gewann er in seiner Heimatstadt Göteborg gegen Schweden und führte die Balkan-Handballer auf einen sehr respektablen vierten Platz. Bei der EM zwei Jahre später lief es weniger gut. Danach trainierte er die Rhein-Neckar Löwen und zuletzt den französischen Klub USAM Nimes.
Kontakte und Netzwerk
Seine Kontakte, sein Netzwerk und seine Erfahrung im internationalen Handball vergrößerte Ljubomir Vranjes stets, was ihn auch für die SG wieder höchst interessant machte. Als im Frühling 2023 die SG die Stelle eines Sportlichen Leiters ausschrieb, machte der Schwede das Rennen. Nun ist der 51-Jährige wieder voll im SG-Modus. Meistens sitzt er im Büro, er schaut aber auch regelmäßig beim Training vorbei, spricht mit den Spielern, geht häufiger mit auf Auswärtstour und schaut sich jedes Spiel an. „Wir wollen etwas erreichen, wollen in der Bundesliga Erster oder Zweiter werden – und für solche Ziele muss man viel investieren“, betont Ljubomir Vranjes.
Text und Fotos: Jan Kirschner