Jeder Deutschlehrer würde bei diesem Satz seines Schülers die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Wenn er dann noch auf die Kritik an diesem grammatikalisch verqueren Satz die Antwort bekäme, „Da kann ich nichts für“, würde sein Glaube an das von Martin Luther geschaffene Hochdeutsch für immer erschüttert. Dabei hätte der Reformator für den Schüler vermutlich mehr Verständnis aufgebracht als der vom Glauben an die deutsche Sprache abgefallene Pädagoge. Mundart und Dialekte waren die Regel und nicht die Ausnahme im deutschen Sprachraum. Nur mit den Flensburgern und ihrer Sprache konnte der Religions- und Sprachreformator nichts anfangen. Nach einem überlieferten Zitat von 1531 soll er gesagt haben: „Ich nehme keine Bibelübersetzer aus Flensburg.“ So ist es sowohl verwunderlich als auch erfreulich, dass die regionalen Eigenheiten durch die Sprachreform des Bibelübersetzers nicht völlig glattgebügelt wurden, sondern, wenn auch oft im Stillen, weiterleben.
Petuh lebt
Was Hilke Rudolph allerdings auf der Bühne, im Club und auf dem Familienfest sprachlich zelebriert, verlangt auch von dem Sprachwissenschaftler einiges ab. „Petuh“, so wie Renate Delfs oder in der Vergangenheit Gerti Molzen und die vielen unbekannten „Petuh-Tanten“ es pflegten, ist kein Dialekt, nicht einmal eine Minderheitensprache, sondern eine für die Flensburger Region einmalige, vom Platt unabhängige „Kunstsprache“, die sich gegen sprachgeschichtliche Analyse wehrt. Versuche, das Kauderwelsch aus Niederdeutsch (Plattdüütsch), Dänisch (Riksdansk und Sydslesvigdansk) und Sönderjysk (Plattdänisch) zu analysieren, gibt es viele, doch will es „partout“ nicht gelingen, die letzten Geheimnisse der Entstehungsgeschichte dieser Sprachmischung zu enträtseln.
„Is dat Szünde!“, würden die Damen aus der besseren Gesellschaft sagen, die um die Jahrhundertwende, die vorvorige versteht sich, auf den Salondampfern die Gäste mit ihrem Schnack unterhielten und sich selbst bei einem Likörchen, Kaffee und Kuchen die Zeit vertrieben. Diese Frauen, meist gehobener Stellung und fortgeschrittenen Alters, pflegten zur Erbauung ihrer Zuhörer eine Sprache, die allerdings nicht nur zu Wasser, sondern auch durchaus zu Lande in jener Zeit gepflegt wurde. Eine geschichtliche Erklärung versucht, den Zusammenhang mit den wechselnden Herrschaftsbedingungen im Grenzgebiet und den damit verbundenen sprachlichen Einflüssen herzustellen. Sicher ist, dass die verquere Grammatik und die züngelnde Sprache, „Szünde statt Sünde“, im Volk verankert waren. Die Dokumente sind rar, denn schreiben wollte das Petuh selten jemand. So wirken auch die Versuche der lautschriftlichen Wiedergabe oft etwas hölzern und weitab von dem lebendigen Witz des Gesprochenen.
Keine Tanten-Sprache
Dabei wird vergessen, dass neben den deutsch-dänischen Sprachwurzeln noch ein Schuss Französisch den Schnack belebt. Das fängt beim Begriff Petuh an.
Auch der ist eine verballhornte Version des französischen „pour tout“. So wurden die Dauer-Karten genannt, mit denen die Teilnehmer der späteren Butterfahrten sich einen Platz auf der „Alexandra“ oder einer ihrer Schwesterschiffe sicherten. „Carte pour tout“, eine Karte für alles. In jener Zeit durchaus üblich, Alltagsgegenstände mit französischen Vokabeln darzustellen.
Vom „Chaiselongue“, dem verlängerten Sofa, über die „Barriere“, der Bahnschranke, bis zum „Portemonnaie“, parlierte man französisch statt zu schnacken oder, wie heute üblich, zu „talken“.
Alles hat seine Zeit, auch sprachliche Sonderheiten. So vergaßen die meisten ihr Alltags-Petuh und nur Künstler und Sprachforscher bemühten sich, diese Einmaligkeit am Leben zu halten.
Reden, aber nicht von sich reden machen
Hilke Rudolph ist eine von ihnen. Eigentlich Pädagogin, hat sie sich ganz der Flensburger Grenzsprache verschrieben. Ihre Auftritte bei den Neujahrsempfängen der Stadt sind legendär. Dort kolportiert sie die Wege und Abwege von Politik und Verwaltung. Neben diesen „einmaligen“ Auftritten taucht sie als kopftuchbewehrte Putzfrau bei Familien- und Firmenfesten auf und steht auf der Niederdeutschen Bühne ihre Frau. Wer sie in diesen Rollen erlebt hat, wird sie auf der Straße kaum wiedererkennen. Flott gekleidet und ebenso leger in Sprache und Bewegung erinnert nichts an die sprachakrobatischen Auftritte. Die Bühne lockte sie schon früh. Auftritte im Kühlhaus in den 90ern und mit der Theatergruppe „Frauenbühne“ schafften ihr die Möglichkeit zum Rollenwechsel, dem Verkleiden und dem Ausleben einer anderen, dem Alltag entrückten Hilke Rudolph. Über das andere, ihr Alltagsleben, spricht sie nicht so gerne, geht lieber ein auf ihr geliebtes Petuh-Spiel. Als Kind sei sie schüchtern gewesen, sagt sie. Das hat sie als erwachsene Frau und letztlich durch die Bühnenerfahrung ablegen können. „Die Bühne ist mein Element“, sagt sie und beweist im Gespräch, dass sie in der Lage ist, ihre Zuschauer und -hörer zu begeistern.
Sie kann aber auch anecken und einstecken. Als sie einst die Planung der Südermarktpassage kritisierte, bekam sie keine Anfragen für Auftritte mehr. Die Passage kam und sie wieder ins Geschäft.
Die Vergangenheit wiederbelebt
Seit drei Jahren führt sie die Tradition der Petuh-Tanten aus der Vergangenheit fort und unterhält die Gäste auf dem Salondampfer „Alexandra“ mit einzigartigem Schnack. Auch wenn die Besucher nicht jedes Wort verstehen, kommt die ungewöhnliche Mischung aus Hochdeutsch, Platt und Dänisch an.
Und wenn die sich bedanken, sagt sie nicht „gern geschehen“, sondern „Da nicht für“ und hat die Lacher auf ihrer Seite. An Land wird sie gerne gebucht, um als Putzfrau, nicht zuletzt mit einer türkisch-kurdischen Kollegin, die Gäste von Privat- und Firmenfeiern zu unterhalten. Bekannter noch wurde sie durch ihre Stadtführungen als „Frau Christiansen“.
Gerne würde sie ein Frauenthema auf die Bühne bringen, ist jedoch zur Zeit mit einem männlichen Partner auf Tour.
Vorbilder dagegen sind vorwiegend weiblich: Die langjährige Sprach- und Bühnenpartnerin Renate Delfs und vor allem Gerti Molzen.
Die 1906 geborene Schauspielerin, Kabarettistin, Sängerin, Buchautorin und Texterin hat durch ihre Buchveröffentlichung das Petuh über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt gemacht.
Gefragt, welche Arbeit sie in Zukunft noch reizen könnte, antwortet Hilke Rudolph in Anlehnung an das große Vorbild: „So eine kritische Kolumne in einem Magazin könnte mich noch reizen.“
Und das mit einer Botschaft an die Flensburger: „Die soll’n mal zusehen und lernen da ’n büschen von.“
Bericht: Dieter Wilhelmy, Fotos: Benjamin Nolte