An einem Hauseingang in Glücksburg hängt ein Briefkasten, der aus mehreren Zeitungsausgaben gebaut zu sein scheint. Hier wohnt ein ehemaliger Chefredakteur, durch dessen Adern vermutlich kein Blut, sondern Texte und Schlagzeilen fließen. Beim Gespräch mit Stephan Richter gehen Kaffee und Tee unter im Stapel von interessanten Publikationen, Dokumenten und Fotos. Und wenn man sich im Sessel zurücklehnt, kommt der Rücken fast in Berührung mit alten Ausgaben vom „Flensburger Tageblatt“, die in mehreren Bänden im Bücherregal lagern. Der Gastgeber zeigt auf ein paar Süßigkeiten: „Das sind Wagner-Pralinen, das Unternehmen gehört einem Schulfreund von mir.“
Kurze Recherche: Der Sitz von „Wagner-Pralinen“ ist in Brunsbüttel. Ja, richtig! Stephan Richter stammt aus Dithmarschen, ist im damaligen Bruns-büttelkoog aufgewachsen. In dieser kleinen Stadt erwachte einst das Interesse am Journalismus. Dort war in den 50er und 60er Jahren ein Lokalreporter oft auf der Straße anzutreffen – stets mit einer Leica vor dem Bauch und am Puls der Menschen. Stephan Richter war beeindruckt und stellte auch mal neugierige Fragen.

Wie ein Berufswunsch wächst

Es war dann ein musikalischer Wunsch, der – eher zufällig – den Weg zum Schreiben beschleunigte. Es war die Zeit, als auch durch Deutschland die „Beatlemania“ schwappte und der Teenager ein Konzert der „Rattles“ in Hamburg besuchte. Danach stand auf der Wunschliste eine eigene E-Gitarre. Doch dafür musste sich Stephan Richter etwas dazu verdienen. Also schnappte er sich nach der Schule das Fahrrad, fuhr direkt zur „Brunsbütteler Zeitung“, die damals als Mittagsausgabe erschien, und verteilte die druckfrischen Exemplare.
Dabei kam der Zeitungsbote immer am Redaktionszimmer vorbei. Eines Tages öffnete sich das Fenster und der bekannte Lokalreporter blickte heraus. „Hättest du nicht Lust, für uns zu schreiben?“, fragte er. „Was interessiert dich denn besonders?“ Stephan Richter dachte an seine Handball-Schulmannschaft, bei der er als Kleinster das Tor hütete und antwortete pfeilschnell: „Sport!“ Nur wenig später tippte er tatsächlich auf der väterlichen Schreibmaschine Berichte vom Jugend-Fußball und unterklassigem Handball. Die Manuskripte, die er selbst zur Zeitung brachte, erschienen oft 1:1. Bald flossen die ersten Zeilenhonorare, und das Musikinstrument konnte gekauft werden.
Als sich die Zeit am Gymnasium in Itzehoe dem Ende näherte, war der Berufswunsch klar: Journalismus. Für ein Volontariat bewarb sich Stephan Richter bei vier Zeitungshäusern in Schleswig-Holstein. Die „Kieler Nachrichten“ und auch die „Lübecker Nachrichten“ sagten ab. Als Lokalmatador hatte der junge Mann bei der „Norddeutschen Zeitung“ in Itzehoe eigentlich schon beide Beine im Verlagshaus. Doch während des Gesprächs bekam er mit, wie ein Redakteur eine Schere auf seinem Schreibtisch vermisste und einen Wutanfall bekam. „Soll ich hier wirklich mein Volontariat machen?“, fragte sich Stephan Richter. Er sagte ab.
Es blieb das „Flensburger Tageblatt“, das damals noch auf das angesehene große „Nordische Format“ setzte. Der Bewerber machte sich mit dem Zug auf die recht weite Reise an die deutsch-dänische Grenze und traf pünktlich in der Nikolaistraße ein. Die Redaktion hatte damals drei Bosse. Georg Becker und Gerhard Bühmann waren auch anwesend, aber ausgerechnet Hans-Wilhelm Pries, der Chefredakteur, der für die Einstellung der Volontäre verantwortlich war, hatte sich spontan frei genommen und das Gespräch mit dem jungen Mann aus Brunsbüttel schlicht vergessen.

Mit Glück und Geschick eingestellt

Der saß nun in der Küche und hörte, wie sich auf dem Flur die beiden Kollegen berieten. „Was nun?“, rätselten sie. „Das ist doch gar nicht unser Aufgabenbereich. Aber er könnte ja schon mal die 100 Fragen zur Allgemeinbildung ausfüllen.“ Doch auch das klappte nicht. Die Bögen befanden sich im Schreibtisch des fehlenden Chefredakteurs – die Schublade war natürlich verschlossen. Es sah ganz so aus, dass sich Stephan Richter unverrichteter Dinge wieder auf den Heimweg machen müsste.
Da intervenierte die Sekretärin: „Wir können den Jungen doch nicht einfach nach Hause schicken!“ Sie telefonierte. Kurz darauf durfte der junge Gast in die oberste Etage und traf dort auf Georg Macknow, den hochangesehenen Verlagschef. Der war schnell überzeugt und stellte – erstmals überhaupt – einen Volontär ein. Das flößte dem Kollegium viel Respekt ein. „Die fassten mich alle mit Samthandschuhen an“, schmunzelt Stephan Richter noch heute. „Alle dachten, dass ich persönlich mit dem Verlagschef bekannt wäre.“ Erst nach einiger Zeit kannten alle die wahren Umstände der Einstellung.
Als Volontär verdiente man beim „Flensburger Tageblatt“ um 1970 herum 350 D-Mark im ersten und 390 D-Mark im zweiten Jahr. Es war eine duale Ausbildung. Stephan Richter musste zur Akademie für Publizistik in Hamburg, wo er viele Jahr später stellvertretender Vorsitzender werden sollte, und trat eine „Ochsentour“ durch den Zeitungsverlag an. Er war nicht nur am Stammsitz in Flensburg, sondern auch in den Außenredaktionen Schleswig, Husum, Niebüll, Kappeln, Sylt und Föhr beruflich unterwegs.

Der Nachwuchsjournalist mausert sich

Als Jungredakteur hatte er dann die ehrenvolle Aufgabe, Max Schmeling zu sprechen, als dieser einmal in Flensburg zu Besuch war. „Ich war nervös, ein solches Interview mit dieser Sport-Legende machen zu dürfen“, erzählt der 72-Jährige. „Ich war aber auch stolz, dass ich diesen Auftrag bekommen hatte, obwohl ich gar nicht als so sportaffin galt.“ Er erinnert sich noch gut, wie der große Box-Star hinter einem Stapel an Biografien saß und diese signierte. Aber ob dieses Treffen in einer Buchhandlung oder in den Redaktionsräumen stattfand – das ist im Laufe von fünf Dekaden verwischt.
Ein anderes Mal hatte der junge Journalist einen Termin in der Flensburger Toosbüy-
straße. Eine Spielhalle hatte gerade einen Automaten bekommen. Das war damals etwas völlig Neues. Stephan Richter ließ sich das Spielgerät erklären und machte seine Notizen, als der Inhaber plötzlich mit einem Batzen Geld wedelte. „Diesen Bestechungsversuch habe ich natürlich nicht angenommen“, betont der Publizist. Er verdiente sich damals etwas hinzu, indem er hin und wieder für die „Deutsche Presse Agentur“ arbeitete. Als Korrespondent verfolgte er einen Prozess am Verwaltungsgericht Schleswig. Eltern eines schwerbehinderten Kindes klagten das Schulrecht ein. Der Text erschien tags darauf sogar auf der ersten Seite namhafter, überregionaler Zeitungen. „Das war für einen Wald- und Wiesenreporter wie mich eine große Geschichte“, erklärt Stephan Richter.

Start in eine bemerkenswerte Karriere

Schon bald stieg er beim „Flensburger Tageblatt“ auf und wurde einer von zwei „Chefs vom Dienst“. Er schrieb nun weniger, organisierte dafür umso mehr. Als größte Herausforderung erwies sich die Schneekatastrophe von 1978/79. Stephan Richter lebte damals in Flensburg und konnte zu Fuß in die Redaktion kommen. Aber viele Mitarbeiter wohnten im Umland, waren eingeschneit. Es gab mehrere Tage nur Notausgaben, obwohl ein Kollege, der im Nebenberuf Landwirt war, sich mit dem Trecker durch die Schneemassen wühlte. Besonders in Erinnerung blieb Stephan Richter der Hilferuf eines Lesers aus Eiderstedt: „Ich brauche etwas zu essen. Brot, Milch oder Käse wären gut – am wichtigsten ist aber eine Flasche Korn.“
Auch ohne Wetterturbulenzen mussten die Journalisten immer wieder improvisieren. Internet und Handy waren in den 80er Jahren noch unbekannt. Und wenn die Fernschreiber ausfielen, trudelten keine Agentur-Meldungen ein, und die Redaktion war von der großen Welt abgeschnitten. Mit Telefonaten nach Hamburg ließ sich so manches in Erfahrung bringen, aber sie waren aufwändig. Abends traf man sich manchmal mit den Kollegen von „Flensborg Avis“ – und die beklagten dieselben Unannehmlichkeiten. Man beschloss, sich gegenseitig zu unterstützen.

Der Alltag im Printbereich in den 70ern und 80ern

Wenn wieder einmal der Fernschreiber streikte, half oft der Anruf im anderen Verlagshaus. Dann stiefelten zwei „Kuriere“ los – einer von der Nikolaistraße und einer vom Nordermarkt. Sie trafen sich irgendwo in der Fußgängerzone, um die Durchschläge zu übergeben. Der Vorgang musste geheim bleiben, die Chefredaktion sollte nichts davon wissen. „Da gab es noch Vorbehalte gegen die Dänen, was ich als junger Mensch überhaupt nicht verstehen konnte“, erzählt Stephan Richter. Umso stolzer ist er, dass 2011 mit „Flensborg Avis“ und zwei anderen Zeitungen eine grenz-
überschreitende Zusammenarbeit aufgebaut werden konnte, die sogar international Würdigung fand.
Neuer Schwung kam in den Verlag, als Klaus May 1983 vom „Stern“ auf den Geschäftsführer-Posten in Flensburg wechselte. „Wir machen eine Zukunftsredaktion“, kündigte er an. Der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag wuchs in Auflage, Ausgaben und Anspruch. Es gab mehr Platz für neue Ideen. Für das 700-jährige Stadtjubiläum Flensburgs wurde eine aufwändige Sonderbeilage produziert. „Die erschien in Farbe“, erzählt Stephan Richter. „Und wir wählten kein Foto für den Titel, sondern beauftragten extra einen Grafiker, der uns eine Hafen-Impression zeichnete.“

Einstieg in den Privat-Rundfunk; Wechsel nach Bonn

In jener Zeit zog die Redaktion in moderne Räume in der neuen Holm-Passage. Es begann die Epoche des privaten Rundfunks. Mehrere Zeitungsverlage in Schleswig-Holstein gründeten 1986 den Sender „Radio Schleswig-Holstein“ (RSH). Programmdirektor Hermann Stümpert, Klaus May und Stephan Richter steckten mehrfach die Köpfe zusammen. Vorgesehen waren im Sender-Profil auch Nachrichten, die auf das nördlichste Bundesland zugeschnitten waren. Dafür sollte Stephan Richter höchstpersönlich sorgen – als politischer Korrespondent in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn. Von den beiden Weggefährten bekam er den Auftrag mit: „Wenn du es schaffst, den Bundeskanzler, den Bundespräsidenten und den Bundesbankpräsidenten zu interviewen, dann hast du erfolgreiche Arbeit abgeliefert.“
Der Privatfunk hatte damals nicht das Renommee und musste sich hinten anstellen, wenn ARD und ZDF antanzten. Dem Novizen aus dem Norden gelang es dennoch, ab und an das RSH-Mikro prominent in die Fernseh-Kameras zu halten. Die Gespräche mit Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundespräsident Richard von Weizsäcker waren schnell abgehakt. Blieb nur noch Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl. Ihm rang Stephan Richter vor einer wichtigen Sitzung fünf Minuten ab. „Wann wird es denn auf dem NDR gesendet?“, fragte der Interviewte. „Das war nicht für den NDR, sondern für RSH“, klärte der Reporter auf. „Was? Für einen Privatsender gebe ich kein Interview.“ Der Mitschnitt wurde folglich nie gesendet. Stattdessen bekam das Nordlicht unter den Bonner Korrespondenten den FDP-Wirtschaftsexperten Otto Graf Lambsdorff ans Mikro. Dieser äußerte sich sehr kritisch über die US-Finanzpolitik. Sogar die „Tagesschau“ zitierte erstmals „RSH“, und der Bundestag debattierte wegen der getroffenen Aussagen.
Stephan Richter hatte das Haus in Freienwill verkauft und war mit seiner Familie nach Bonn gezogen. Er saß täglich im Parlamentsbüro des namhaften Journalisten Rudi Kilgus und bediente seinen „Bauchladen“, zu dem „Osnabrücker Zeitung“, „Mannheimer Morgen“ oder „Mainzer Allgemeine“ gehörten. Es war eine prägende Phase im Leben des Journalisten. Der Europa teilende „Eiserne Vorhang“ wurde lichter, Perestroika und Befreiung wurden zu gängigen Vokabeln.

Als etablierter Journalist mit besten Kontakten

In Schleswig-Holstein sorgte im Herbst 1987 ein Politik-Skandal für Aufruhr. Ministerpräsident Uwe Barschel trat von seinem Amt zurück und wurde wenig später in einem Genfer Hotel tot aufgefunden. Es bebte auch im Bonner Polit-Zirkus. Eines Nachts rief Gerhard Stoltenberg, Bundesfinanzminister und ehemaliger schleswig-holsteinischer Ministerpräsident, bei Stephan Richter an:
Er solle bitte schnell vorbeikommen. Der Minister saß aufgewühlt in seinem Büro. Ein TV-Magazin hatte ihn als „Ziehvater“ seines Kieler Nachfolgers Uwe Barschel bezeichnet. Nun wollte er wissen, wie der Journalist die Lage einschätzen würde. Ein informelles Gespräch, das einen guten Draht unterein-
ander signalisierte. Rund eine Dekade später wirkte Stephan Richter maßgeblich an der Auto-Biografie von Gerhard Stoltenberg („Erinnerungen und Entwicklungen“) mit.
Schon sehr bald ging es auf eine US-Reise. Gerhard Stoltenberg war inzwischen Verteidigungsminister und traf sich mit dem US-Kollegen Dick Cheney im Pentagon. Stephan Richter begleitete diesen Besuch als Journalist.
Überraschend lud der neue US-Präsident George Bush den deutschen Politiker zu einen Gespräch ein – unter Ausschluss der Medien. Gerhard Stoltenberg stellte klar: „Stephan Richter gehört zu meiner Delegation.“ So betrat der Journalist als Privatperson das Weiße Haus und wechselte Shakehands mit dem amerikanischen Staatsoberhaupt.

Rückkehr nach Flensburg

In jenen Tagen liebäugelte der Reporter mit mehreren beruflichen Optionen. Er konnte die Leitung des Journalisten-Büros in Bonn übernehmen, auch „Sat.1“ zeigte Interesse. Eines Tages im August 1989 meldete sich Klaus May: „Du kannst Chefredakteur bei uns werden, müsstest aber schon morgen kommen.“ Stephan Richter packte Zahnbürste und ein paar Dinge mehr ein, reiste in den hohen Norden und nahm sich für einige Monate ein Zimmer im „Hotel am Rathaus“.
Den historischen 9. November 1989 erlebte er in Flensburg, aber mit dem Blick eines Bonner Politik-Korrespondenten. Als am Abend die erste Nachricht einer „sofortigen“ und „unverzüglichen“ Reisefreiheit in der DDR über den Ticker lief, war man in den Redaktionsräumen noch unschlüssig, was von dieser Ankündigung zu halten sei. Zunächst wurde der Andruck der Zeitung verschoben. „Als sich gegen 22 Uhr die Maueröffnung abzeichnete, bauten wir in Windeseile völlig neue Seiten“, erinnert sich Stephan Richter, der selbst einen Leitartikel für die Seite eins verfasste. „Ich war mir im Kommentar sicher, dass der 9. November 1989 der Anfang vom Ende der DDR ist und die Maueröffnung in die Wiedervereinigung münden wird.“

Provinz bedeutet nicht gleich Rückschritt

Er arbeitete wieder in der Provinz. Aber auch dort konnten Nachrichten eine gewisse Tragweite entfalten. Kurz vor Weihnachten 1996 befand sich der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Peer Steinbrück bereits in Urlaubsstimmung, kündigte aber noch eine Stippvisite in der Flensburger Redaktion an. „Dann können wir ja auch ein Interview machen“, dachte sich Stephan Richter und fragte auch nach der damals kriselnden Hamburger Werft Blohm & Voss. „Das Kapitel ist durch“, sagte der Landespolitiker. Eine Aussage, die auf Tonband aufgezeichnet, aber als Text nicht autorisiert – also schriftlich bestätigt – worden war. Das „Flensburger Tageblatt“ hatte dennoch seine Schlagzeile, tags darauf aber auch viel Gegenwind. Viele Medien berichteten von einem Dementi des Politikers, andere bezeichneten ihn als „Förde-Rambo“. „Ich hatte einen Blackout, und habe jetzt jede Menge Ärger“, soll der Wirtschaftsminister zu Stephan Richter gesagt haben. Der Journalist räumte die fehlende Autorisierung ein, rückte inhaltlich aber nicht von der Berichterstattung ab. Das Tonband hat er aufgehoben.
Denkwürdig und kurios war der Arbeitsablauf am 11. September 2001. Am Morgen starrte die gesamte Redaktion ebenso betroffen wie gebannt auf die Fernseh-Bildschirme, auf denen die brennenden Türme des World Trade Centers zu sehen waren. „Sofort beauftragte ich das Sekretariat, alle Termine für den Tag abzusagen, da ich mich ganz der Redaktionsarbeit widmen müsse“, erzählt Stephan Richter. Auf dem Terminplan stand auch ein Vortrag bei der Frauen-Union, die landesweiten Besuch im Flensburger „Handwerkerhaus“ erwartete. Die Vorsitzende zeigte sich verärgert über die Absage des Chefredakteurs. Dieser ließ sich zu einem verkürzten Referat überreden und schaffte so den „Spagat“ zwischen Weltereignis und Lokalkolorit.

Würdigung seiner Lebensleistung

Zu jener Zeit sorgten die „Jahrhundert-Story“ mit ihren umfangreichen Beiträgen zur Landesgeschichte und die Topografie aller 1132 Gemeinden Schleswig-Holsteins für Furore. Zum Abschluss wurden alle Bürgermeister auf Gut Schierensee eingeladen. Mit einem Hubschrauber wurde ein Foto mit dieser riesigen Gruppe aufgenommen. Fast zeitgleich lag eine Millionen-Forderung auf dem Tisch. Ein Fotograf monierte verlorengegangene Negative, argumentierte mit einem „nicht ersetzbaren Verlust“ und rief eine astronomische Summe als Schadensersatz auf. Es ging sogar vor das Gericht, wo eine Richterin die Anklage allerdings niederschlug. Insgesamt hatte Stephan Richter mit den „Jahrhundert-Projekten“ aber deutlich mehr Ehre als Ärger. Er erhielt das Bundesverdienstkreuz am Bande und den Verdienstorden des Landes Schleswig-Holstein.
Damals existierte sogar die Idee für ein „Jahrhundert-Story“-Haus. Jetzt verfolgt der 72-Jährige ein Konzept für eine Ausstellung zu den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges, in denen Flensburg auf der großen Bühne der Weltpolitik erschien. „Was passiert, wenn eine Diktatur zusammenbricht? Was wird aus den Schergen und ihren Netzwerken?“, skizziert Stephan Richter Fragestellungen für eine permanente Ausstellung. „In Danzig dokumentiert ein Museum den Kriegsbeginn, in Flensburg könnte es das Kriegsende sein.“ Er sprach mit dem Historiker Gerhard Paul und dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Wolfgang Börnsen schon im Rathaus vor, erzielte aber noch keinen Durchbruch. In der ersten Dekade dieses Jahrhunderts expandierte der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag immer weiter – bis nach Schwerin. Stephan Richter wurde Sprecher der Chefredakteure, ehe er 2015 aus Altersgründen ausschied. Im offiziellen Ruhestand ist er nicht untätig.

Umtriebig auch im Ruhestand

Der heutige Glücksburger verfasst Kolumnen für einige Zeitungen und Wortbeiträge für NDR-Info. Bisweilen unterstützt er ehemalige Kollegen oder – wie zuletzt den Schauspieler und Moderator Rüdiger Wolff – bei Buchveröffentlichungen. Auch sein ehrenamtliches Engagement in Stiftungen und Vereinen ist noch nicht erloschen. „Ich genieße es, nicht mehr fremdbestimmt zu arbeiten“, sagt Stephan Richter. „Phasenweise hatte ich 60-Stunden-Wochen, in denen mich meine Familie kaum sah.“
Nun kann er sich auch verstärkt einem besonderen Hobby widmen: Er sammelt alte Zeitungen – zurückgehend bis ins 16. Jahrhundert. Der ehemalige Chefredakteur besitzt einen Archiv-Schrank mit etlichen Schubladen und vielen Raritäten. Es finden sich eine Handschrift von 1779, Berliner und Hamburger Ausgaben zu den Zeppelin-Flügen von Hugo Eckener und weitere Veröffentlichungen zu besonderen Ereignissen. Auf Grundlage seiner Sammlung entwarf der Journalist zusammen mit dem Künstler Uwe Appold kurz vor der Corona-Pandemie auch ein Kunst- und Medienprojekt, das „am Artefact Diskussionen über Fake News und Medien-Kompetenz“ aufzog.
Als „überzeugten Lokaljournalisten“ bezeichnet sich Stephan Richter selbst. „Die Demokratie beginnt im Kleinen, Medien müssen die Bürger informieren“, betont er. „Verlage schrauben das Lokalressort aus Kostengründen aber immer weiter zurück.“ Einst hatte er als Chefredakteur noch alle sechs Wochen mit den Herausgebern über mögliche Themen beraten. Inzwischen entstehen im Mediensektor immer mehr Ketten – fast wie im Einzelhandel. „Es geht immer mehr ins Digitale“, beobachtet Stephan Richter. „In der Nische liegt aber weiterhin die Chance für Printprodukte, wenn sie fachlich und optisch attraktiv sind.“ Ein Lokaljournalismus muss „die Menschen in der Nachbarschaft abholen, das Ohr an der Seele der Region“ haben, erklärt er – so ähnlich wie einst in den 60er Jahren der rasende Reporter von Brunsbüttelkoog.

Text: Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, privat

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