Die „Alexandra“ tutet die Melodie des Meeres. Der Salondampfer legt im Flensburger Hafen ab und fährt auf die Förde hinaus. Die „Hölle Nord“ hat die Technik von 1908 gechartert, um einen schönen Tag zu verleben. Der Mieter ist einer von vier Fan-Clubs der SG Flensburg-Handewitt. 95 Mitglieder sind an Bord, lassen sich Bier zapfen oder decken sich mit Kaffee und Kuchen ein. Die nachgeholte Feier zum 25-jährigen Jubiläum beginnt.
In einer älteren Jubiläumsschrift lässt sich nachlesen, wie einst „zehn Leute im Alter von 25 bis 35 Jahren“ im Januar 1995 die zweite Supporter-Vereinigung nach den „Wikingern“ aus der Taufe hoben. Differenzen und unterschiedliche Wünsche hatten zu einer Abspaltung geführt. Die Novizen waren mit großem Enthusiasmus dabei: Sie besuchten Zeltlager, gestalteten große Banner mit der Hand und malten sich gerne die SG-Farben ins Gesicht.

Längst gehört ein Festausschuss zum guten Ton. Niemand amtierte so lang wie Claudia Marzi, Imke Blossei und Ralf Dieterich. Das Trio, das nun viel Applaus bekam, hatte schon für den 20. Juni 2020 die „Alexandra“ gebucht. Der Corona-Lockdown machte dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Auch der zweite Anlauf ein Jahr später hatte aufgrund einiger unklarer Hygiene-Bestimmungen und der maximal zulässigen Personenzahl keine Chance. Nun geht es endlich los: Ochseninseln und Schausende geraten bald ins Blickfeld. „So viel Glück mit dem Wetter hätten wir vor zwei Jahren nicht gehabt“, lächeln viele der 95 gutgelaunten Mitreisenden.

Rund 300 Mitglieder zählt die „Hölle Nord“ insgesamt. Einige waren schon in der Frühphase dabei. Damals betrat die SG erstmals die europäische Bühne, für die Fans ergaben sich ganz neue Reiseziele. So stieg Ende März 1996 das Halbfinale im EHF-Cup beim spanischen Vertreter BM Granollers. Die Fans verbanden das Ereignis mit einem einwöchigen Urlaub in Lloret de Mar. Sonne pur. „Bei uns ist Winter“, staunte die eintreffende Mannschaft, legte einen Kaltstart hin und schied aus. Es folgten viele Auswärtstouren quer durch Europa, bis die Corona-Pandemie auch die Fan-Szene ausbremste. Im Mai war immerhin wieder eine größere Fahrt zum SG-Spiel in Hannover möglich.
Die Stimmung an Bord der „Alexandra“ ist gut. Als es vor der Marineschule wie aus Kübeln schüttet, werten einige diese Erfrischung als himmlischen Gruß für den Hochzeitstag von „Präsi“ Karsten Hogrefe. Er erinnert sich an seine persönlichen Anfänge. Als er seine jetzige Frau Nicole kennenlernte, nahm sie ihn mit in die Campushalle – wie die Flens-Arena damals noch hieß. In der Meister-Saison 2003/4 hatte Karsten Hogrefe seine erste Dauerkarte. „Über Nicole habe ich Kontakt zu weiteren SG-Fans bekommen“, erzählt er. „Wegen der Auswärtsfahrten war es naheliegend, in den Fan-Club einzutreten.“ 2008 wurde er Schriftführer, ein Jahr später Vorsitzender. „Mir bringt es Spaß“, sagt er. Als Organisations-Chef mailt und telefoniert er viel. Für die Auswärtsfahrten ordert er den Bus und die Tickets.
Andere Mitstreiter sind kürzer dabei. Sebastian Nissen besuchte die Flens-Arena nur gelegentlich, bis ihn das Feuer packte. Inzwischen ist er seit über zwei Jahren zweiter Vorsitzender. Ralf Dieterich ist erst vor fünf Jahren nach Flensburg gezogen. Er stammt aus Stendal in Sachsen-Anhalt und ging eher mal zum SC Magdeburg. Dann entdeckte er die SG für sich, erlebte gleich zwei Meisterschaften, trat dem Fan-Club „Hölle Nord“ bei und landete im Festausschuss.

Nach einem zweieinhalbstündigen Törn ist die „Alexandra“ zurück im Flensburger Hafen. Eine Stunde ist noch Zeit. Das an der Fassade des Dampfers befestigte Banner „25 Jahre Hölle Nord“ wird abgenommen. Eine leichte Aufgabe für die vereinseigene Choreo-AG. Vor dem jüngsten Landesderby hat sie eine blau-weiß-rote Choreografie entrollt und mit dem Slogan „Großes aus kleinen Ursprüngen“ die gesamte Nordtribüne eingespannt. Zuvor werkelten die Enthusiasten vier Wochenenden lang an dieser Überraschung, die vor allem dem legendären Siebenmeter-Schützen Hampus Wanne huldigte.
Claudia Marzi vom Festausschuss greift zum Mikrofon. Auf dem „Platz an der Sonne“ warte ein Bus, kündigt sie an. Eine „Sonderfahrt“ bringt die 95 Fans zur nächsten Station der Feier. Einige stimmen die Wende-Hymne „Wind Of Change“ an, die sie während der Tour nach Hannover einstudiert haben. Andere denken zurück an den 9. Juni 2019, an den Tag der dritten deutschen Meisterschaft der SG. Ein Sonderzug beförderte die „Schlachtenbummler“ nach Düsseldorf, wo nicht weniger als neun Shuttle-Busse zur Arena verkehrten. „Vom Nordkap bis Gibraltar“, skandierten die Fans und brachten die Fahrzeuge ins Wippen.

Dieses Mal erzeugt die Begeisterung keine Schwingungen auf der Fahrbahn. Der Busfahrer reagiert aber auf die Forderungen nach einem „Kreisverkehr“ und schiebt eine Extra-Runde ein, ehe er an der „Oase“ von Mürwik hält. In einem großen Saal feiert die „Hölle Nord“ weiter. Die Flensburger Band „Die Andersons“ tritt mit ihrem Comedy-Folk-Rock zwei Mal auf. „Wir kommen gerade aus Kiel“, scherzen sie und ernten ein kleines Pfeifkonzert. Dann wird über Flensburg geschwärmt – und alles ist wieder im Lot. Die Lose einer Tombola fanden reißenden Absatz. Erst weit nach Mitternacht findet das Jubiläumsfest seinen Abschluss.

Text und Fotos: Jan Kirschner

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