„Nun szollen wir ssehn und kriegen einen guten Schnack über mein Daszein!“ – Nee, so wurde ich nicht begrüßt, als ich bei ihr daheim an der Tür klingelte. Wir waren verabredet mit Ruth Rolke, vielen Einheimischen und Urlaubern eher bekannt als ein ganz spezielles Flensburger Original: die Petuh-Tante Emmi Hansen. An einem sonnigen und hellen Spätherbsttag im November, einem eher untypischen Wetter hier unmittelbar an der Ostseeküste, starteten wir nach der üblichen hiesigen Begrüßung – Moin/Moin – mit einem kleinen Ausflug an den Strand Solitüde, in ihrer näheren Nachbarschaft. So begann unser aufschlussreiches Gespräch, wieder zurück im heimischen Wohnzimmer gab es dazu die typische Tasse Kaffee und ein leckeres Stück Kuchen. Sie habe ja so viel zu erzählen, sagte sie eingangs – und das sollte sich im Gesprächsverlauf immer mehr bewahrheiten.
Eine behütete Kindheit in Bad Segeberg
Sie ist keine geborene Flensburgerin – wie vielleicht einige wegen ihrer hiesigen und vielfältigen Aktivitäten vermuten könnten. „Ich bin in einem behüteten und sehr lieben Elternhaus auf die Welt gekommen und dort als Einzelkind groß geworden. In unmittelbarer Nähe des bekannten Segeberger Kalkberges besaßen meine Eltern ein kleines und älteres Häuschen, mit einem angehängten riesigen Garten, der terrassenförmig auf mehreren Ebenen angelegt war. Meine Eltern hielten dort diverse Kleintiere in Volieren und kleinen Ställen, mehrere Vogelarten sowie viele Hühner, mein Vater züchtete zudem Tauben und auch Kaninchen. Unsere tägliche Ernährung stammte hauptsächlich aus eigenen Gartenprodukten; ich muss noch ganz häufig an den täglichen Salat erinnern, der stets mit Eigelb angemacht wurde“, kann Ruth sich an eine schöne und sorglose Kindheit erinnern. Das Mädchen wuchs heran, durchlief problemlos die Schule. Sie war schon immer sehr wissbegierig, interessierte sich bereits als Schülerin für den Journalismus, arbeitete begeistert bei der Schülerzeitung mit und hätte sehr gern eine entsprechende Berufsausbildung durchlaufen. Doch eine solche Lehre war seinerzeit in Bad Segeberg leider für sie nicht möglich.
„Lehrjahre sind kein Zuckerschlecken“
Ruths Eltern planten ursprünglich, sie beim größten Bad Segeberger Möbelhaus eine kaufmännische Lehre absolvieren zu lassen. Doch das war überhaupt nicht in Ruths Sinne! „Ich wollte auf gar keinen Fall irgendwo im Büro arbeiten“, weiß sie zu erzählen. Sie konnte ihre Eltern schließlich davon überzeugen, sie eine Lehre als Dekorateurin (Schaufenstergestalterin) machen zu lassen. „Ich fing im Unternehmen „Kaufhalle“ hier im Ort eine entsprechende Ausbildung an – so konnte ich jedenfalls etwas Kreatives machen.“ Ruth blieb diesem Unternehmen auch nach erfolgreich beendeter Lehrzeit erhalten: „Ich wechselte in die große weite Welt nach Köln. Die „Kaufhalle AG“ war eine Warenhauskette im Kaufhof-Konzern. Der Sitz der Gesellschaft war seit jeher in Köln. Immerhin ein ganzes Jahr lang war ich dort tätig. Dort in Köln wurden die Muster-Schaufenster, gewissermaßen die Prototypen, für sämtliche Kaufhalle-Filialen kreiert und dekoriert. Die waren anschließend bindend für den gesamten deutschen Raum in allen Kaufhalle-Filialen. Daran war ich in jener Zeit beteiligt. Doch es war für mich als „halbes Landei“ keine leichte Zeit in jener Großstadt. Dazu kam erschwerend: Das Gehalt war niedrig, die dortigen Lebenshaltungskosten dagegen hoch. Geblieben ist aus jenem Jahr in Köln allerdings mein Faible für den Karneval“, schmunzelt Ruth dazu.
Sie zog wieder zurück in den Norden, diesmal jedoch nicht ins beschauliche Bad Segeberg, sondern in die nächstgrößere Stadt, die Hansestadt Lübeck. Sie fand dort eine Anstellung bei einem örtlichen Herrenausstatter namens Kamerhuis. „Es herrschte im Betrieb zwar ein strenges Regiment, doch ich habe auch eine Menge in dem Geschäft gelernt. Ich wurde nicht nur in meinem speziellen Metier, sondern auch im Verkauf eingesetzt.“ Doch insgesamt war die Zeit in Lübeck für sie eine prägende Zeit; hier lernte sie im Winter 1975 schließlich ihren späteren Ehemann Herbert kennen.
„Schon bald war uns beiden klar, dass wir füreinander geschaffen waren. Mit leichtem Nachdruck bekam ich ihn bald dazu, mir einen Antrag zu machen“, lachte Ruth Rolke. „Natürlich wollte ich! Wir heirateten gut ein Jahr später im Mai 1976 in Lübeck im Kloster zum Heiligen Geist, feierten in historischem Ambiente eine rauschende Hochzeit, mit vielen Freunden und Verwandten. Nun hieß ich nicht mehr Schmahlfeldt, sondern Rolke!“
Ihr Herbert war gelernter Optiker, sogar inzwischen Optikermeister, arbeitete aber noch als Angestellter in einem Lübecker Betrieb. „Ich fand, dass wir uns als nun frisch getrautes Ehepaar doch irgendwo in der näheren Umgebung als Optiker selbständig machen könnten. So studierten wir alle möglichen Angebote aus nah und fern auf der Suche nach einem geeigneten und zu uns passenden Ladenlokal.“
Flensburg kommt ins Spiel
„Eines Tages stießen wir auf ein ansprechendes Inserat. Im Flensburger Stadtteil Mürwik gab es ein neues Ärztehaus, in jenem Gebäudekomplex war die Anmietung eines Ladenlokals für ein Optikergeschäft vorgesehen. Wir bewarben uns auf das Inserat, fuhren zu einem vereinbarten Vorstellungsgespräch in das für uns damals noch völlig unbekannte Flensburg. Wir waren zwar nicht die einzigen Interessenten, doch wir bekamen letztlich den Zuschlag, setzten uns gegen die Konkurrenz durch.“ So eröffneten die Rolkes im Jahr 1977 in Flensburg im bis dato noch einzigen Ärztehaus der Stadt im hohen Norden ihr eigenes Optikergeschäft: in der Mürwiker Straße 162!
„Das war eine durchaus aufregende und fordernde Zeit, doch wir waren jung, ich war 23 Jahre alt, dynamisch, und hatten ein klares Ziel vor Augen. Anfangs pendelten wir noch regelmäßig mit unserem alten Renault ständig zwischen Lübeck und Flensburg, bis schließlich der Laden eingerichtet war und eröffnet werden konnte. Uns war natürlich klar, dass wir nun auch Flensburger werden wollten! So sahen wir uns hier oben nach einem geeigneten Baugrundstück um, das möglichst nicht allzu weit weg von unserem Geschäft liegen sollte.“
Die Rolkes werden Flensburger
Sie wurden schließlich fündig, in der Solitüder Straße, unweit des gleichnamigen städtischen Strandabschnitts. „Wir haben anfangs gar nicht realisiert, in welcher tollen Wohnlage wir künftig zuhause sein würden.“ Gemeinsam mit dem einheimischen Architekten Sönnichsen bauten sie ihr Eigenheim, gleichzeitig brachten sie ihr eigenes Optiker-Geschäft zum Laufen.
Ihr Ehemann Herbert weihte seine Angetraute nach und nach in die Geheimnisse der Augenoptik ein, daneben wechselte sie regelmäßig die Dekoration in der Auslage, erledigte außerdem die anfallenden monatlichen Abrechnungen. „Unser damaliges Hauptwerkzeug für die Bewältigung des leidigen Bürokratismus hieß bei uns „Gabriele“, eine extra von uns angeschaffte neue Schreibmaschine. Was war das damals bloß umständlich – im Vergleich zu heute“, erinnert sich Ruth mit leichtem Grausen an die „Schreiberei“. Im folgenden Jahr 1978 wurde Ruth „immer mehr“ – Familiennachwuchs kündigte sich an. Praktisch bis zur Geburt des Sohnes Torsten half sie noch mit im Geschäft aus, nun hatte sie als junge Mutter eine zusätzliche Aufgabe, die sie natürlich mit Freude auf sich nahm! Alsbald war dann auch das eigene Haus hochgezogen, wurde wohnlich eingerichtet, schließlich zog die junge Familie Rolke freudestrahlend in die eigenen vier Wände ein!
Neue Anschrift „Solitüder Straße“
Nun konnte Ruth wirbeln: Neben der gelegentlichen Hilfe im Geschäft standen nun der neue Haushalt, der dazugehörige Garten und natürlich das eigene Kind auf dem Plan. Bald hieß es sogar: Kinder – neben einem Pflegekind kam im Jahr 1982 als zweites eigenes Kind die Tochter Annika zur Welt. Schon damals kannte Ruth niemals Langeweile; sie hatte immer „was um die Ohren“. Beide Kinder kamen in die Schule. Bald sollten erste ehrenamtliche Tätigkeiten dazukommen. Als die Tochter auf die IGS in die Elbestraße wechselte, gehörte Ruth zu denjenigen Müttern, die regelmäßig mittags in der Schulkantine beim täglichen Mittagessen für die Schüler und Schülerinnen aushalfen und den Abwasch per Hand machten. „Ich kannte bald alle damaligen 125 IGS-Schüler“, erinnert sie sich an ihre Tätigkeit dort. Bei dem einen Ehrenamt sollte es jedoch nicht bleiben. „Als unsere Annika in den Frühkonfirmanden-Unterricht kam, übernahm ich gern eine solche Frühkonfirmandengruppe bei uns zu Hause, hatte mit den Jungs und Mädchen eine Menge unternommen, viele gute Gespräche geführt und selbst auch viel dabei für mich mitgenommen. So bin ich seinerzeit auch eng mit der Christus-Kirche in Mürwik in Berührung gekommen.“
Bald entdeckte Ruth ein ganz neues Tätigkeitsfeld für sich: Reiki. (Reiki ist eine spezielle Form des Handauflegens am bekleideten Körper. Das Ziel dabei: Blockaden zu lösen und Selbstheilungskräfte zu aktivieren.)
„Ich habe eine recht intensive Reiki-Ausbildung auf Sylt durchlaufen, mich damals sehr für Esoterik interessiert und habe mich entsprechend dafür begeistern lassen.“ Später hat sie selbst einige Jahre lang Reiki praktiziert.
„So etwa um 1994 herum – genau weiß ich es nicht mehr – begann ich mich für Sterbe- und Trauerbegleitung zu interessieren. Eine dafür erforderliche Schulung und Ausbildung habe ich absolviert, bevor ich selbst im Flensburger Hospiz als eine solche kompetente Begleiterin gearbeitet habe. Einige Jahre lang habe ich das ziemlich intensiv betrieben, habe viel mit Sterbenden gearbeitet und mich dabei selbst nicht gerade geschont – wie ich nach rund vier Jahren an mir feststellen musste. Die Sterbebegleitung ist eine intensive und fordernde Tätigkeit, die einen nicht kalt lässt.“ Bedingt auch durch ihr eigenes Wesen, ihre empathische Art, begleitete sie der dort kennengelernte Kummer bis ins eigene Private. Ruth gab deshalb schweren Herzens diese Tätigkeit auf. Sie nahm sogar eine entsprechende psychologische Nachbearbeitung durch das Hospiz in Anspruch.
Ruth weitet ihre ehrenamtliche Tätigkeit aus
Ziemlich bald nach dem Jahrtausendwechsel nahm Ruth an einer Ausbildung/Schulung für eine künftige Stadtführer-Tätigkeit in Flensburg teil. Die Ausbildung, vorgenommen durch die hiesige Tourismusagentur TAFF, dauerte immerhin ein ganzes Jahr lang, war sehr fundiert und äußerst lehrreich für die Teilnehmer. Ruth kniete sich in der ihr eigenen Art intensiv in das Thema rein, sog das erlernte Wissen auf und vertiefte es entsprechend. „Seit nun ziemlich genau 20 Jahren bin ich als selbstständige Stadtführerin in und für Flensburg aktiv. Meine mehr als zwei Dutzend Kolleginnen und Kollegen sind allesamt wie auch ich als Freiberufler für die TAFF im Einsatz“, weiß sie zu berichten. Bald kam sie total „auf den Geschmack“, entwickelte mit großer Unterstützung durch Günter Kruse (stadtbekannt vom „Krusehof“ in der Roten Straße – oft auch als „Vater der Roten Straße“ tituliert) eine eigene „Rote-Straße-Führung“. „Diese ganz spezielle Führung habe ich mit Freude für immerhin 13 Jahre lang gemacht, stets im Wechsel mit dem leider schon verstorbenen Dieter Hankel“, denkt sie gern an jene Zeiten zurück.
Im Jahre 2012 wurde ihre Tätigkeit in der Roten Straße gewissermaßen bundesweit publiziert. Die Bundesbahn produzierte damals jeweils monatlich ein hauseigenes Magazin DB Mobil – Auflage von immerhin 6 Millionen Exemplaren, das landesweit in allen Zügen regelmäßig ausgelegt wurde. Mitte 2012 erschien in jenem Magazin ein ganzseitiger Artikel mit der Überschrift „Warum gehen die Flensburger zum Lachen in den Hinterhof, Frau Rolke?“
Neben den nun regelmäßig von ihr durchgeführten Stadtführungen hat Ruth sich im Naturwissenschaftlichen Museum engagiert, unter Mithilfe und Unterstützung des damaligen Leiters Dr. Werner Barkemeyer. Sie machte Führungen durchs Museum, hielt Vorträge über Rabenvögel, Fruchtfliegen und anderes heimisches Getier, gab kleine Seminare mit Verkostung über Kräuter, aber auch Kakao, Schokolade, und und und … Bald wurde sogar das Städtische Museum in Person seines Leiters Dr. Ulrich Schulte-Wülwer auf sie aufmerksam. Dr. Schulte-Wülwer gewann Ruth schließlich auch für diverse Führungen und Vorträge in „seinem“ Haus, dem Städtischen Museum.
Stadtführungen in Flensburg – die sind „ihr eigenes Ding“!
Die von Ruth Rolke beackerte breite Ehrenamtspalette war umfangreich – doch sie achtete stets darauf, dass sie jeweils nur ein Ehrenamt zur gleichen Zeit ausübte. Spätestens ab 2008 konzentrierte Ruth sich auf die städtischen Führungen. Im gleichen Jahr 2008 kam sie erstmalig mit „Petuh“ in Kontakt. Schon bald faszinierte sie diese sehr spezielle Sprache und Mundart so sehr, dass sie im Eigenstudium anfing, sich die „Petuh“-Sprache anzueignen. Auch noch im selben Jahr bot ein runder Familiengeburtstag für sie die perfekte Bühne, erstmalig in der Öffentlichkeit „Petuh“ zu „schnacken“. Das klappte bestens, sie wurde dafür von allen Zuhörern gefeiert und gelobt – ihrem ganz eigenen Petuh zu lauschen war also keine „Szünde!“ (schön mit scharfem „s“ gesprochen). „Was’n Aggewars“ denkt sie auch seitdem nicht mehr, wenn sie als Petuh-Tante Emmi Hansen unterwegs ist und diese spezielle Sprache zum Besten gibt – diese Mischung aus Dänisch, Deutsch, Plattdeutsch und Sønderjysk (Plattdänisch).
Ab 2011 hat Ruth zusätzlich noch „Hugo Eckener“ gemacht: Sie hat eine spezielle Stadtführung ausschließlich zu dem Thema des berühmten Sohnes der Stadt ausgearbeitet, übrigens erarbeitet mit großer Hilfe und Unterstützung von einigen Nachfahren des berühmten Flensburger Luftfahrtpioniers. Diese Führung bezog sich hauptsächlich auf den Bereich zwischen dem Nordermarkt und dem Nordertor – auch die Norderstraße. „Ich schlüpfte speziell für die Eckener-Führung in die Rolle der Ehefrau von Hugo Eckener, ich wurde zu Johanna Eckener. Als Johanna Eckener klagte ich den Zuhörern mein – von mir ausgedachtes – Leid, dass ich zum Beispiel nie im Zeppelin mitfliegen durfte, weil die raren Sitzplätze an Bord des Luftschiffs ausschließlich für zahlende Kundschaft vorbehalten waren. Ich trug in der Rolle der Frau Eckener auch schon ein Kostüm aus der damaligen Epoche.“
Ruth Rolke möchte einmal grundsätzlich klarstellen: „Meine Führungen, Auftritte und die dazugehörigen Vorträge haben immer einen durchaus ernsthaften und geschichtlichen Hintergrund. Ganz wichtig: Es soll nicht verstanden werden als ein reiner „Klamauk-Auftritt“. Ich trage ganz bewusst die Kleidung der damaligen Zeit und Epoche, um einen möglichst authentischen Eindruck zu vermitteln. Meine Führungen sollten deshalb stets eine Mischung aus Wissenswertem und Lustigem rüberbringen.“
Ruth Rolke wird zu Emmi Hansen
Zurück zu Petuh: „Zu meinen Auftritten als Petuh-Tante Emmi Hansen gehört selbstverständlich die entsprechende Aufmachung – das erste Kleid habe ich 2013 bei der Glücksburger Schneiderin Frau Günther anfertigen lassen, ein zweites kam 2021 dazu. So verfüge ich seitdem über je eine Sommer- und eine Wintergarderobe.“ Entsprechend gekleidet kennen sie schon viele Teilnehmer ihrer Führungen wie „Frau Hansen und die Flensburger Weihnachtswelt“ oder „Mit Fru Hansen auf Altstadttour“ aus den letzten Jahren: Wie erwähnt, hat sie jeweils eine Sommer- und eine Winterausstattung – wie einst eben auch die Petuh-Tanten sich kleidungsmäßig den Jahreszeiten anpassten. Kostüm bzw. längerer Rock, Woll- oder auch Stoffmantel (einen hellen und einen dunklen), Pumps, eine kleinere Handtasche und Häkelhandschuhe: Das alles gehörte schon vor über 100 Jahren stets dazu, je nach Wetterlage auch schon mal ein zeitgemäßer Regenschirm, der Parapluie.
Ein ganz wichtiges, weil unverzichtbares Utensil ist allerdings bisher noch unerwähnt geblieben: eine Papiertüte. Papiertüte?
„Diese Tüte ist deshalb so wichtig, weil sich in ihr ein spezielles Erkennungsmerkmal verbirgt“, schmunzelt Ruth Rolke. „In dieser Tüte befindet sich gewissermaßen die „obere“ Emmi Hansen, ihre unverkennbare Kopfbedeckung. Mich gibt es bei diesen Auftritten nämlich immer gleich in zweifacher Ausführung: Mit Hut oder ohne Hut“, klärt uns die Stadtführerin über das Geheimnis der Tüte auf. Und Ruth Rolke weiter:
„Wenn ich dann den Hut aus besagter Tüte hole und aufsetze, bin ich nämlich Emmi Hansen“, sagt sie. Mit Hut ist sie urplötzlich eine energische ältere Dame aus der Kaiserzeit, die gern schnackt und palavert, Döntjes erzählt und auch ein bisschen „schludert“, also tratscht – und zwar auf Petuh. So wechselt die Führung immer mal wieder zwischen Flensburger Stadtgeschichte mit Ruth Rolke und Flensburger Stadtgeschichten mit Emmi Hansen.
Petuh und die Petuh-Tanten hat es tatsächlich gegeben: Hauptsächlich in den wechselvollen Jahren der deutsch-dänischen Geschichte, insbesondere etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, dann bis zur Volksabstimmung im Landesteil Schleswig, die am 10. Februar und 14. März 1920 in Folge des Versailler Vertrags stattfand und zu den noch heute gültigen Landesgrenzen zwischen Dänemark und Deutschland führten. Petuh hat nicht nur ganz eigene Wortschöpfungen, sondern auch eine erst einmal befremdlich anmutende Satzstellung.
„Die Bezeichnung „Petuh“ ist eine Abkürzung, kommt ursprünglich aus dem Französischen, von „carte partout“ (partout = immer), frei übersetzt etwa Dauerkarte bzw. Monatskarte oder Jahreskarte“, weiß Ruth Rolke.
Carte partout: So hieß noch in der Kaiserzeit die Jahreskarte für die Salondampfer auf der Ostsee. Dort an Bord verbrachten die Damen der Mittelschicht ganz gern mal einen Teil ihrer Freizeit, „ein kleines Vergnügen“ mit ihren Freundinnen. Ein bisschen dieser längst vergangenen Atmosphäre kann man in Flensburg heute noch auf der „Alexandra“ schnuppern, dem letzten seegehenden Passagierdampfschiff Deutschlands.
Während der Führung ist die Petuh-Tante stets guter Laune, plaudert lebhaft. Dann „schludert“ Emmi Hansen über Flensburger Originale, und trotz der ungewohnten Satzstellung und einiger fremd klingender Worte versteht man – nun ja – fast alles, was sie so von sich gibt. Beispiel gefällig? Wenn etwa sich jemand auf „ihrem“ Platz an Bord niederlässt: „Beste, das is` mein Platz, Sie sitzen auf!“ oder „Deern, flütt mal‘ büschen auf Bank lang.“ Oder: „Neulich kriegte ich mein chuter Stube zu schick. Auf letzten Drücker war ich cheschnüffelt über Teppich, was in mein Flur liegt und hatte mich so chestoßen an meine Leichdörner (Hühneraugen), dass mein Mann sagte: Emmi, du kommst noch zu liegen unter Doktors inne Dickenissenanstalt.“
Noch einen: „Wie kann ich ssitzen bei aussem Licht und szue Rollos und nähen abbe Knöpfe an?“, fragte die „Domestiken“ (das Dienstmädchen der wohlhabenden Bürger).
Emmi Hansen wird bundesweit bekannt
Ruth Rolkes Stadtführungen, insbesondere die als Emmi Hansen, sprachen sich bald herum, die Öffentlichkeit wurde aufmerksam, Zeitungen, Funk und Fernsehen klopften an und berichteten über dieses besondere Flensburger Original und seine Führungen. Sogar die Universität Passau (!) kam auf sie zu, ob sie ihr eventuell eine Übersetzung „Hochdeutsch – Petuh“ zur Verfügung stellen könnte. Überhaupt waren sämtliche Reaktionen auf die Führungen positiv, nach und nach trat sie auch nach Anfrage bei diversen privaten Veranstaltungen, Firmenjubiläen, Betriebsfeiern auf, war als Petuh-Tante Emmi Hansen sehr gefragt – und das nicht nur in Flensburg, sondern im gesamten nördlichen Schleswig-Holstein.
Ihr schauspielerisches Talent und ihr künstlerisches Schaffen beschränkte Ruth Rolke aber nicht nur auf ihre Paraderolle „Emmi Hansen“. Sie entwickelte – aber nur für den privaten Bereich – weitere Charaktere, wie etwa „die weltbekannte Astrologin „Madame Cucu“ – die natürlich aus Paris stammte …
Ruth Rolke in der Gegenwart
Auch für Ruth alias Emmi Hansen ist die Zeit nicht stehengeblieben. „Unser Optiker-Geschäft haben wir bereits vor rund 8 Jahren aus Altersgründen geschlossen und aufgegeben. Immerhin fast 30 Jahre lang waren wir am ursprünglichen Standort in der Mürwiker Straße 162 vertreten, wechselten dann in Richtung Stadion ins Einkaufszentrum Mürwiker Straße 89, für noch zehn weitere Jahre.
Es war insgesamt eine schöne Zeit, doch unser Vertrag dort lief im Jahr 2016 aus, mein Mann hatte mittlerweile längst das Rentenalter erreicht. Also haben wir das Kapitel abgeschlossen, und genießen seitdem die dadurch gewonnene zusätzliche Freizeit.“
Doch sie schränkt im gleichen Atemzug ein: „Ich habe auch heute noch rund 160 Auftritte pro Jahr; wir sind deshalb stets rechtzeitig mit unserer Urlaubsplanung unterwegs, damit ich auf entsprechende Anfragen gleich eine passende und verbindliche Antwort („geht“, oder „geht nicht“) geben kann.“ Einmal pro Jahr geht es in einen längeren Urlaub, und mindestens einmal pro Jahr wird die Familie der Tochter im fernen München besucht.
Die Rolkes pflegen regelmäßig zahlreiche langjährige Freundschaften, reisen für ihr Leben gern, sind außerdem noch im Tanzkreis anzutreffen. „Im eigentlichen Tanzkreis sind wir selbst nicht mehr aktiv, aber wir nutzen gern den regelmäßigen Stammtisch, der sich daraus entwickelt hat.“ Die eigene Familie kommt ebenfalls zu ihrem Recht: „Zu den erwachsenen Kindern und Schwiegerkindern haben wir regelmäßig Kontakt: Das eine Enkelkind sehen wir meistens einmal pro Woche, das andere lebt in München.“ Aber sie betont auch: „Nach wie vor habe ich Lust auf die Menschen, mache gerne die mir liebgewonnenen Führungen. Emmi Hansen ist ja nun einmal längst ein Teil meines Lebens geworden!“ Das Flensburg Journal ist sich sehr sicher: Wir werden Ruth und/oder Emmi noch häufig „in Flensburg unterwegs“ und in Aktion erleben können!
Tipp
Wer noch zusätzliche Informationen über eine Führung mit der Petuh-Tante „Emmi Hansen“ erfahren möchte: Schauen Sie doch einfach auf die Webseite der Tourismus Agentur TAFF. Infos und Buchungen für Stadtführungen und auch für Auftritte bei Festen oder Geburtstagen können übrigens auch direkt bei Ruth Rolke gebucht werden:
E-Mail: ruthrolke@kabelmail.de
Mit Ruth Rolke und Emmi Hansen sprach Peter Feuerschütz
Fotos: Benjamin Nolte, privat