Stillstand ist Rückgang. Das ist ein ehernes Gesetz in der Wirtschaft. Wenn Flensburg in der Zukunft so gut aufgestellt sein will, wie dies zur Zeit noch der Fall ist, bedarf es nach Meinung von Arbeitgeberverband-Geschäftsführer Dr. Fabian Geyer großer Anstrengungen weit über das Gewohnte hinaus. Ja, Flensburg geht es wirtschaftlich im Allgemeinen gut. Im „Allgemeinen“, weil es immer wieder Bedrohungen gibt, die den Wohlstand gefährden können, siehe Werft. Sie ist ein Beispiel für unternehmerische Risiken. Der eigenen Stärke stehen immer auch Risiken entgegen, die schwer zu beeinflussen sind, die Lage der Kunden, der Finanzmärkte und des wirtschaftlichen Umfeldes, etwa Handelshindernisse, wie sie zur Zeit von Amerika und China ausgehen. Die Kunst ist es, die eigenen Kräfte zu stärken, Chancen zu nutzen und die Risiken möglichst zu umgehen.
Darum ging es im Wesentlichen bei unserem Gespräch mit dem Vertreter der Wirtschaft.
„Sieht man die Zahlen“, so Dr. Geyer, „geht es der Wirtschaft gut. Wir haben in den letzten zehn Jahren viel investiert, getrieben auch durch billiges Geld, aber auch als Folge eines Investitionsstaus aus der Vergangenheit.“
Die Wirtschaft, allen voran die Flensburger, hat ihre Stärken genutzt und ist geschickt mit den Stolperfallen umgegangen, weil man auf die letzte Finanzkrise, besser noch die Zeit danach, gut vorbereitet war. Ein wesentliches Plus war eine stabile Mitarbeiterschaft bei vielen mittelständischen Betrieben, die trotz Auftragsschwankungen gehalten werden konnte. Für Dr. Geyer ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor auch für die Zukunft. Wer seine Mitarbeiter nach Tagesbedarf wechselt, verschenkt die Erfahrung langjährig Beschäftigter.
Geld war und ist billig, Kreditzinsen sind niedrig. Das hilft den Firmen, in neue Anlagen und Projekte zu investieren. Auch die Stadt profitiert davon, kann jetzt Schulen und Kindertagesstätten bauen oder renovieren, die teils zu verfallen drohten. Angetrieben durch eine hohe Konsumbereitschaft, haben sowohl Handel als auch Handwerk profitiert. Besonders in der Baubranche herrschte und herrscht Hochkonjunktur, was es den Unternehmen möglich macht, gute Preise zu verlangen.
Das jedoch, mahnt der Arbeitgebervertreter, ist nicht genug, kann die Zukunft nicht sichern. Ein Ausruhen auf dem Erreichten, ein „Weiter so“, kann tödlich sein. Die Konkurrenz schläft nicht. Teils sicher geglaubte Pfründe, Beispiel Schiffsbau, sind bereits verlorengegangen. Kein Containerschiff wird mehr in Deutschland gebaut. Die früher belächelten Asiaten („die kopieren doch nur“) haben nach einer Lernphase das Heft übernommen, bauen nicht nur billiger nach, sondern sind kreativ geworden: Beispiel Autoindustrie. Auf chinesischen, japanischen und koreanischen Straßen fahren längst Massen von Elektroautos und Bussen. Die Chinesen haben sich mit den entsprechenden Exportländern die Lieferung von Rohstoffen für den Batteriebau gesichert. Die Europäer müssen (noch) zu deren Bedingungen zukaufen, hinken beim Bau eigener Anlagen hinterher.
Noch profitiert auch Flensburg von einer hohen Nachfrage nach Konsumgütern, dank der skandinavischen Nachbarn mehr als im übrigen Bundesgebiet. Noch, denn die ersten Wolken am bisher blauen Himmel zeichnen sich ab. Die Konjunkturprognosen wurden nach unten korrigiert. Wenn diese veröffentlicht werden, ist das mehr als nur eine Feststellung, es ist auch ein Signal, vorsichtiger mit dem vorhandenen Geld umzugehen, den Kaufrausch zu bremsen und in der Industrie Investitionen in die Zukunft vorsichtiger zu tätigen. Hinzu kommt, dass aufgrund langjähriger Investitionen der Bedarf sinkt. Auch auf dem Arbeitsmarkt kann das durchschlagen und damit die Zahlungskraft der Bürger mindern.
Ein drittes „Noch“ von Dr. Geyer. Noch sieht er den Arbeitsmarkt nicht gefährdet. Warum? Viele Männer und Frauen der starken Nachkriegsjahrgänge kommen ins oder sind bereits im Rentenalter. Ein natürlicher Abgang, der durch junge Leute ersetzt werden muss. Die aber, und da hebt Fabian Geyer mahnend den Finger, müssen für eine neue, innovative Arbeitswelt gewappnet sein.
Er bezweifelt, dass bei Bildung und Ausbildung die richtigen Prioritäten gesetzt werden.
Seine Forderung…
… Innovation nach Investitionen
Nach der langen und erfolgreichen Investitionsphase muss nach seiner Auffassung massiv auf Innovation gesetzt werden. Und das heißt Bildung, Bildung, Bildung!
Die PISA-Untersuchungen in den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass Deutschlands Schulen alles andere als Vorreiter sind. Jeder kleine Aufstieg aus den hinteren Platzierungen wird schon als Erfolg gefeiert, anstatt den mahnenden Finger ernst zu nehmen und die vorhandenen Bildungskonzepte zu überarbeiten.
Zu viel Pauken, zu wenig Experimentieren. Schule und Weiterbildung sind immer noch auf Wissensvermittlung ausgerichtet, nicht auf Erfahren und Erproben.
Eine schwedische Unternehmerin hat auf die Frage, warum die Skandinavier in der Elektronikindustrie (Ericsson, Nokia) so erfolgreich sind, geantwortet: „Weil wir spielerisch an die Entwicklung neuer Ideen herangehen.“
Heißt, probieren vor studieren. Bei uns werden neue Ideen oft mit der Begründung „wer weiß, ob das was bringt“ abgetan, das Engagement junger Entwickler ausgebremst.
Flensburg bietet ein gutes Gegenmodell. Im Innovationszentrum in der Lise-Meitner-Straße dürfen sich junge Unternehmer, „Startups“, für wenig Geld einmieten und ihre Ideen entwickeln, ohne Gefahr zu laufen, sich schon am Anfang zu überschulden. Zudem können die Jungunternehmer auf diesem Campus ihre Erfahrungen mit anderen austauschen oder Kooperationen anbahnen.
Diese Form des Lernens sollte, altersangemessen, auch an unseren Schulen möglich sein.
Dort jedoch herrschen oft noch Formen vorindustriellen Lernens vor.
Die Politik war und ist, so die Kritik von Dr. Geyer, nicht auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes ausreichend vorbereitet, hat insbesondere die schulische Bildung nicht angepasst.
Beispiel Pflegeberufe: Es war voraussehbar, dass aufgrund höherer Lebenserwartung und Auflösung traditioneller Familienstrukturen immer mehr Menschen in- und aushäusig gepflegt werden müssen. Der Staat selbst hat mit seiner Gesetzgebung, den Anforderungen an Qualität und Quantität, die Latte immer höher gelegt. Jetzt, wenig überraschend, fehlen gut ausgebildete Fachkräfte, was die Belastung der vorhandenen erhöht und damit die Arbeit unattraktiv macht, mit der Folge, dass sich zu wenige für pflegerische Berufsausbildungen entscheiden. Das gleiche gilt für den Erziehungsbereich:
„Der Staat hat ein Milliardenprogramm aufgelegt, um Quantität und Qualität der Kinderbetreuung zu verbessern. Auch der erhöhte Betreuungsbedarf war absehbar, weil die Beschäftigungsquote von Frauen stetig gestiegen ist. Es wurde viel zu spät investiert. Wer sich in diesen Bereichen ausbilden lässt, hat in den nächsten Jahren ausgezeichnete Perspektiven.“
Vorausschauendes Planen, so der Arbeitgebervertreter, fehlt in vielen Bereichen. Jetzt, wo der Mangel offenbar ist, wird „nachgehechelt“, Milliarden investiert. Vorausschauendes Denken hätte vieles ersparen können.
Geld alleine löst die Probleme nicht. Ein Umdenken ist erforderlich.
Lust zum Risiko
„Wir werden von einer Investitionsdekade hinkommen müssen zu einer Innovationsdekade. Das halte ich für grundlegend erforderlich“, sagt Dr. Geyer. „Da mache ich mir meine größten Sorgen. Wir müssen in Deutschland und auch in Flensburg als Wirtschaftsstandort weit mehr als in den letzten Jahren innovativ sein.“
Er erwartet Innovationen eher von der Jugend. Die jetzt vor der Rente Stehenden werden für Innovationen weniger zur Verfügung stehen, und dabei handelt es sich um Hunderttausende. Die verlassen mit ihren Know-how und ihrer fundierten, praxisnahen Ausbildung den Markt. Ein Verlust an Erfahrung, der durch Innovation der Jüngeren aufgefangen werden muss. Die Jüngeren haben jedoch, so die Kritik von Dr. Geyer, Innovation nicht oder nicht ausreichend gelernt. Dazu gehöre auch ein „Hunger nach Karriere“ und der „Lust zu führen“, der „Lust selbständig zu sein“ und der „Lust, ein persönliches Risiko einzugehen.“ Eine Entwicklung ist hinderlich. Es werden viel mehr als früher junge Menschen an den Hochschulen ausgebildet, zu einem hohen Preis. Etwas, das Deutschland auszeichnete, haben wir leichtfertig vernachlässigt, z. B. das Diplom oder die Meisterausbildung. Was in der Ausbildung fehlt, ist das Zusammenhangdenken.
Gemeint ist die Fähigkeit, Zusammenhänge zu verstehen und daraus Entscheidungen zu treffen. Dies erfordert ein enges Miteinander von Theorie und Praxis, verwirklicht durch eine duale Ausbildung, wie es das traditionelle „Lehrlingssystem“ und beispielsweise die Ausbildung von graduierten Ingenieuren bot. Heute steht dort das Bachelor- bzw. Masterstudium im Vordergrund, das wesentlich theoretisch, wissensorientiert ist. Nach Meinung des Wirtschaftlers werden junge Leute weder in Familie, noch Schule, noch Hochschule ausreichend aufgefordert, selbständig zu denken. „Deshalb mache ich mir große Sorgen, ob wir mit unserer Bildungspolitik, Stand 2019, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern in der Lage sind.“ In diesem Zusammenhang fordert Dr. Geyer die Lust junger Menschen am Unternehmersein, der Übernahme von Verantwortung und der Bereitschaft, innovativ zu denken, zu planen und zu handeln. Und er fordert rasche Veränderungen, um die Fehlentwicklung der Vergangenheit zu stoppen und die Zukunft des Wirtschaftsstandortes „Made in Germany“ auch in Zukunft zu sichern.
Bericht: Dieter Wilhelmy, Fotos: Sven Geißler