Das war mehr als ein feines Gespür. Die SG Flensburg-Handewitt wollte im Oktober nichts überstürzen und nur einen Spieler verpflichten, der auch wirklich helfen kann. „Wir hatten aus Schweden gehört, dass Teitur Einarsson unheimlich explosiv ist“, erzählt Maik Machulla.
„Es gab aber Zweifel, ob man ihn in unser Spiel einbauen kann.“ Die SG wagte es trotzdem. Und als dann der Isländer, der mit 1,90 Meter für einen Rückraumakteur relativ klein ist, zum ersten Training in der Duburghalle erschien, blieben skeptische Blicke nicht aus.
Doch als Teitur Einarsson dann mit all seiner Dynamik und Entschlossenheit zu Werke ging, staunten seine neuen Teamkollegen: „Der wird uns wirklich helfen. Das ist ja ein explosiver Geysir.“ Und Maik Machulla stellte fest, dass sich der Neuzugang auch in das taktische Konzept integrieren ließ. „Jim Gottfridsson und Mads Mensah ist das gelungen“, sagt der SG-Coach und ergänzt mit leuchtenden Augen: „Teitur Einarsson ist wie ein Alexander Pettersson vor 15 Jahren.“
Als der Gelobte von diesen Worten hört, lächelt er verlegen. „Das ist ein riesiges Kompliment“, sagt der 23-Jährige.
„Zu Alexander Petersson schaute ich hoch, als ich ein Junge war. Später war ich stolz, als ich bei einem Trainingslager der isländischen Nationalmannschaft auf ihn traf.“ Seine eigene Explosivität sieht er in seiner Genetik und Athletik begründet. Teitur Einarsson stammt aus einer sehr sportlichen Familie. Seine Mutter ist Trainerin der Leichtathletik. Er selbst warf als 14-Jähriger den Speer immerhin 50 Meter weit.
Der Vater hatte sich dem Handball verschrieben und bekam sogar Angebote aus dem Ausland. Ende der 90er Jahre war Einar Gudmundsson als Trainer in der norwegischen Kleinstadt Bryne tätig. In jener Zeit kam sein Sohn Teitur im 30 Kilometer entfernten Stavanger zur Welt. Schon bald kehrte die Familie nach Island zurück, in das Heimatstädtchen Selfoss.
Touristen nehmen es fast nur bei einem Einkaufsstopp wahr, wenn sie auf Rundreise um die atemberaubende Vulkaninsel sind.
Der Sportverein UMF Selfoss kann auf eine üppige Infrastruktur zugreifen. Hoch im Kurs liegen vor allem Handball, Leichtathletik und auch der Fußball. Der zweite Mannschaftssport fiel bei Teitur Einarsson aus Gründen der Familien-Tradition schnell durch. Auch beim Aufwärmen im Training löst das Kicken keine große Freude aus. „Ich stehe am Rand und kriege kaum einen Ball“, schmunzelt der Isländer.

Keine Frage: Der Handball erwies sich als genau die richtige Entscheidung. Dieser Sport floriert in Selfoss besonders und bringt immer wieder tolle Spieler hervor. Bis Sommer hatten Janus Smárason (Göppingen), Ómar Ingi Magnússon (Magdeburg), Bjarki Már Elísson (Lemgo) und Elvar Örn Jónsson (Melsungen) aus Südisland den Sprung in die Bundesliga geschafft. Teitur Einarsson ist nun der fünfte Handballer aus Selfoss in Deutschlands Eliteliga.
Zunächst war er 2018, mit knapp 20 Jahren, zu IFK Kristianstad gewechselt. Ein Klub, der in der schwedischen Elitserien stets vorne mitmischt und deshalb auch für die EHF Champions League oder die European League qualifiziert war. „Schweden ist ein schöner Zwischenschritt, wenn man in die Bundesliga möchte“, verrät Teitur Einarsson. „Für mich war es frühzeitig ein Traum, irgendwann in der stärksten Liga der Welt zu spielen.“
Deshalb entschied er sich auch für Marco Stange, einen deutschen Spielerberater, der einst als Torwart beim SC Magdeburg gemeinsame Jahre mit Maik Machulla erlebte. „Von ihm erfuhr ich plötzlich, dass Flensburg einen Linkshänder suchte“, erzählt Teitur Einarsson. „Diese Gelegenheit wollte ich mir nicht entgehen lassen.“ Dann ging alles sehr schnell. Der Isländer trainierte nur einmal mit seiner neuen Mannschaft, stieg in den Flieger nach Ungarn und erzielte beim Debüt in Veszprém gleich fünf Tore. „Mit der Zeit wird es bestimmt noch besser“, sagte er nach dem Abpfiff. „Ich trainierte vorher zwar nur einmal mit der SG, aber Jim Gottfridsson und Maik Machulla bereiteten mich sehr gut vor und erzählten mir viel über das Spielsystem.“
Bald bestritt Teitur Einarsson die ersten Heimspiele für die SG. Vor allem die Auftritte gegen die Füchse Berlin und die Rhein-Neckar Löwen waren echte emotionale Höhepunkte. „Unglaublich, so eine Stimmung“, schwärmte der Handballer. In Kristianstad, beim Zuschauer-Krösus Schwedens, hatten sich zu Saisonbeginn nur 50 Fans verloren, ehe die Kapazität immer weiter bis auf 5500 Zuschauern hochgefahren wurde. „In Flensburg herrscht aber eine gewaltigere Atmosphäre“, vergleicht der Isländer. „Es gibt mehr Gesang, Lärm und Geschrei.“

Zwischendurch war Teitur Einarsson für eine Woche auf Island. Die Nationalmannschaft rief. Für Island hatte er 2019 die Weltmeisterschaft bestritten, dann stockte seine internationale Karriere – aufgrund der enormen Konkurrenz im rechten Rückraum. Ob er für die Europameisterschaft im Januar nominiert werden wird? „Wir sind vier starke Linkshänder, aber nur zwei, maximal drei von uns werden für den Kader berücksichtigt werden“, glaubt der SG-Linkshänder. Bei Redaktionsschluss war die Frage nicht beantwortet.
Sein Flensburger Appartement hat er inzwischen weitgehend eingerichtet. „Ich habe nur zwei Minuten zum Training zu gehen, und in die Fußgängerzone ist es nicht viel weiter“, freut er sich über die zentrale Lage. Im November war seine Freundin Andrea für einige Tage zu Besuch. Sie ist auch Handballerin und ist in Kristianstad geblieben. Bis Sommer wird das junge Paar getrennt sein. „Wir werden sehen, was dann passiert“, sagt Teitur Einarsson. Für ihn selbst ist inzwischen die Entscheidung gefallen: Er bleibt bis mindestens 2024 bei der SG.

Text und Fotos: Jan Kirschner

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