Dort, wo Glücksburg ins Ländliche übergeht, da öffnet sich ein besonderes Refugium: das „Artefact“, das Bildungszentrum für nachhaltige Entwicklung. Laut der eigenen Internet-Präsenz ist es ein Ort für Innovation und Weiterdenken, für kreatives „um die Ecke denken”, für den Austausch zwischen globalem Süden und globalem Norden sowie die Vermittlung von Themen wie Ökologie, Technik und Energie.

Werner Kiwitt – in der gesamten Welt zuhause
Mit Finanzministerin Monika Heinold und OBin Simone Lange

Derjenige, der diesen Leitfaden so gut wie kein anderer personifiziert, ist Werner Kiwitt. Der 67-Jährige ist der Geschäftsführer dieser Einrichtung und seit gut drei Dekaden im hohen Norden ansässig. Geboren wurde er in Monheim am Rhein. In einer Stadt, die etwas größer ist als Schleswig, die aber zwischen den Metropolen Köln und Düsseldorf das Dasein einer unauffälligen Kleinstadt fristet. „Monheim befindet sich auf der tektonischen Verwerfung zwischen Alaaf und Helau“, scherzt Werner Kiwitt. „Wir tranken damals Kölsch, Alt und auch Pils – alles war möglich.“ Das Rheinland war Schauplatz einer bodenständigen Jugend. Erst mit dem Zivildienst in Düsseldorf erwachte die Sehnsucht nach der weiten Welt. Mit Rucksack und Zelt, zu Fuß oder per Anhalter tingelte der junge Mann neun Monate lang durch dutzende Länder im Nahen Osten und Nordafrika.

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„Meinen Grundsatz, stets kostenlos zu reisen, musste ich zwei Mal aufweichen“, erzählt Werner Kiwitt. „Das eine Mal nahm ich ein Schiff von Jordanien nach Ägypten, das andere Mal den Zug durch die Wüste im Süden Ägyptens in den Sudan.“ Zwischendurch arbeitete er für einige Wochen in Israel in einer Kibbuz-Siedlung.

Sozialpädagogik in Kolumbien

Diese ungewöhnliche Reise sollte sich auf den weiteren Lebensweg auswirken. Im Oktober 1979 begann der Rheinländer ein Studium der Sozialpädagogik in Emden – mit den Schwerpunkten Gemeinwesenarbeit und Sozialarbeit in der Dritten Welt.

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5 Jahre Hauptwohnsitz mit Familienanschluss: Saclepea in Liberia

Eine Dozentin aus Kolumbien inspirierte zu einer praktischen Erfahrung in ihrem Heimatland. Eine katholische Organisation auf dem Land kümmerte sich um Kleinbauern und half ihnen, mit wenig Besitz eine Lebensgrundlage zu schaffen und Bananen oder Kakao für den globalen Markt anzubauen. Nur wenige Kilometer weiter befand sich eine Hacienda mit riesiger Fläche und tausenden von Rindern.

Angesichts dieser gewaltigen Unterschiede wäre eine Landreform naheliegend, dachte der Student aus Deutschland. Doch solche Veränderungen waren in den postkolonialen Strukturen der frühen 80er Jahre bloße Utopie.

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Indische Biogasanlagen im Test auf der artefact-Baustelle

Eine mehrwöchige Ferienzeit entwickelte sich zur Expedition. Wieder war Werner Kiwitt zu Fuß oder per Anhalter unterwegs. Es ging durch den straßenlosen Dschungel des Darien, über den Panamakanal und Costa Rica bis nach Nicaragua, das sich gerade von einem Diktator befreit hatte, dessen neue Regierung aber viel Gegenwind aus der westlichen Welt erfuhr, da sie als kommunistisch bewertet wurde. Der Gast aus Deutschland kam mit so manchen Schreckensspuren der beseitigten Diktatur in Berührung, stieß dann in Kolumbien auf manche schreienden Ungerechtigkeiten des Welthandels.

So registrierten die Behörden an einem Fluss eine hohe Kindersterblichkeit in den Dörfern, während ein paar Kilometer flussaufwärts internationale Konzerne Bergbau und chemische Industrie lenkten und sich einen Dreck um Umweltstandards scherten.

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Hochzeit vor dem Monheimer Rathaus

Über das Ehrenamt in die Entwicklungshilfe

Parallel zum Studium engagierte sich Werner Kiwitt ehrenamtlich für den „Service Civil International“ (SCI), einer Nichtregierungsorganisation, die sich für Friedensdienste und internationale Begegnungen einsetzt. Der Student aus Emden organisierte Workcamps in Polen oder in den französischen Pyrenäen. Als er das Diplom in der Tasche hatte, wechselte er nach Bonn, um für den SCI hauptamtlich in der Koordination für die Abteilung „Dritte Welt“ tätig zu sein. Es war Anfang 1985, als ihn eine frühere Langzeit-Freiwillige mit Westafrika-Erfahrung ansprach. Sie war bei der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) für Liberia zuständig und suchte für eine Kurzzeitstudie einen Mitarbeiter mit Vorkenntnissen in tropischer Landwirtschaft und regte die Mitarbeit von Werner Kiwitt an. Im Kern ging es darum, in bestehenden Schulen Landwirtschaftsunterricht und Schulgärten einzuführen.

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Aus dem Bürgerkrieg zum Traualtar: Hochzeit mit Tutu im Herbst 1991

Der Umworbene war zunächst skeptisch, hatte er doch gerade das Buch „Tödliche Hilfe“ gelesen, das sehr kritisch mit der westlichen Entwicklungshilfe umging. Gut gemeinte Unterstützung hatte oft ernüchternde bis erschütternde Ergebnisse gebracht.

In Liberia hängen geblieben

Werner Kiwitt wollte sich die Lage vor Ort erst einmal anschauen und war zunächst für nur drei Wochen in Liberia. Im westafrikanischen Staat besuchte er Kaffee- und Kakao-Plantagen, hatte Ideen für Schulgärten, sammelte aber auch viele Fragen ein. Was wäre überhaupt mit den staatlichen Behörden umsetzbar? Gibt es genug einheimische Lehrer? Und wie aufgeschlossen sind diese? Die Konsequenz: Der Liberia-Aufenthalt verlängerte sich um fünf Monate, in denen Werner Kiwitt viele Freiheiten hatte.

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Mit Johannes 1988 in Liberia

So verließ er einen abgeriegelten Bereich und reiste in ein etwa vier Autostunden entferntes Dorf, um Erfahrungen zu sammeln mit Maniok, Hochwaldreis und im Umgang mit „17 verschiedenen Fischreusen“. Ein Einblick in den Unterricht der meist kirchlich gelenkten Schulen fiel überraschend aus. „Die Jugendlichen nutzten geschenkte Schulbücher aus den USA, in denen es um den Schneefall in den Rocky Mountains ging“, wunderte sich der Gast aus Deutschland.

Aus dem Hospitieren wurde eine dauerhafte Aufgabe. In der liberianischen Provinz „Nimba County“, die sich zwischen die Nachbarländer Guinea und Elfenbeinküste schiebt, organisierte Werner Kiwitt nun ein Programm, das landwirtschaftliche Bildung und umweltpädagogische Aspekte fördern sollte. Er wurde in einem kleinen Dorf sesshaft, hatte Familienanschluss und verliebte sich in die Tochter des Hauses: Tutu. 1988 kam Sohn Johannes zur Welt.

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Der heutige Fitness-Trainer Johannes mit seinen Eltern in Monrovia

Gelbsucht und Putsch

In jener Zeit hatte Werner Kiwitt nur ganz wenig Kontakt nach Deutschland. Es gab noch keine Handys, und in der liberianischen Provinz waren auch Telefone absolute Mangelware. Alle sechs Wochen kam er in die Hauptstadt Monrovia, stand dort am Hauptpostamt in der Schlange und brauchte dann das Glück, dass am anderen der Leitung jemand abnahm.

Im Sommer 1989 zwang ihn eine Gelbsucht-Erkrankung zur Rückkehr nach Deutschland. Nach seiner Genesung kam der inzwischen 31-Jährige zum ersten Mal überhaupt nach Flensburg. Ihn interessierte ein Aufbaustudium an der damaligen Pädagogischen Hochschule. Die Schwerpunkte: erneuerbare Energien, die Sozioökonomie angepasster Techniken und Bauen mit exotischen Materialien.

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Mit Freddy, Johannes und Gyde 1997 beim Zelturlaub in „MeckPomm“

Mit dem Studienbeginn wurde es aber so schnell nichts. Aus Liberia kamen spärliche Nachrichten von einem Putsch. Über deutsche Medien war fast nichts zu erfahren. Die britische BBC berichtete von einem Grenzkonflikt – ausgerechnet in der Provinz „Nimba County“, der Heimat der Lebensgefährtin und des kleinen Sohnes.

Konkrete Informationen oder irgendein Lebenszeichen waren nicht zu bekommen. Mit dem letzten Flugzeug, das in Deutschland abhob, kehrte Werner Kiwitt im Spätherbst 1989 nach Liberia zurück, während die GTZ ihre Mitarbeiter ausflog und die deutsche Botschaft in Monrovia auf Stand-By-Betrieb herunterschaltete.

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Der stolze Vater mit dem kleinen Johannes

Chaotische Verhältnisse in Liberia

Etwa 100.000 Flüchtlinge hielten sich in der Hauptstadt auf, viele Menschen hatten ihre angestammten Wohnsitze verlassen. Aber von denen, die Werner Kiwitt ansprach, kam niemand aus „Nimba County“.

Sie sind vielleicht in den Süden des Landes geflüchtet, hieß es. Aber auch dort Fehlanzeige. Der Deutsche erfuhr aber, dass etliche Frauen, Männer und Kinder aus seiner Provinz über die Grenze nach Guinea geflohen wären. Er sprang auf einen Pickup und machte sich auf ins Rebellengebiet. Auf sandigen Straßen ging es durch undurchschaubare Urwälder. Hockten da womöglich bewaffnete Soldaten?

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Beim Besuch 2023 in der zweiten Heimat Liberia

Schließlich erreichte Werner Kiwitt Guinea. Im ersten Ort waren viele Menschen aus „Nimba County“, aber niemand aus seinem Dorf.Er traf auf zwei andere „Weißnasen“, einen US-Amerikaner und einen Belgier. Die beiden waren als Freiwillige für eine Lebensmittelhilfe im Einsatz. Das spontan gebildete Trio entschied sich, mit einem Boot über den Grenzfluss zu gelangen und einige liberianische Dörfer zu versorgen und dabei die Vermissten zu finden. Der Versuch war schnell beendet:

Plötzlich baute sich eine Horde bis auf die Zähne bewaffneter Kindersoldaten vor den drei Männern auf. Die drei rätselhaften Eindringlinge – waren sie womöglich Spitzel? – wurden verhaftet und zum nächsten Checkpoint geschleppt. Da war sogar jemand, der Werner Kiwitt kannte und offenbar positive Erinnerungen hatte, wenn man dessen Körpersprache Glauben schenken konnte.

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Auf einem Energierad mit Seifenblasenmaschine

Über die Hauptstadt ins Dorf

Niemand wollte entscheiden, was mit dem Weißnasen-Trio passieren sollte. Das war eine Aufgabe für die höchste Instanz der Rebellen. Über Gleise, auf denen Güterzüge große Mengen Eisenerz durch den Dschungel rollten, und dann querfeldein ging es – bis das Hauptquartier erreicht war. Dort wurde an den drei Männern alles kontrolliert, selbst die Schuhsohlen, ehe man sie einige Tage schmoren ließ. Werner Kiwitt schrieb etliche Seiten in einem Tagebuch, während der Belgier, der kein Englisch verstand, in Panik geriet und immer mehr zur Belastung wurde. Plötzlich war er da: Rebellenführer Charles Taylor. „Er hat persönlich mit uns gesprochen“, erzählt Werner Kiwitt. „Er stellte einen Passierschein in Aussicht, damit ich zu meinem Dorf kommen würde. Erst einmal wurden wir aber in die Hauptstadt der benachbarten Elfenbeinküste abgeschoben, um in unseren Landesbotschaften Bericht zu erstatten.“

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Nach einem Arbeitseinsatz 2018 an den heißen Quellen im Altiplano von Bolivien

In Abidjan angekommen folgte auf die amerikanische die deutsche Botschaft, um sich in der Heimat zu melden. In Deutschland kursierten Presseberichte, dass in Liberia ein Deutscher namens „Werner Will“ vermisst wurde. Auf eigene Faust kehrte Werner Kiwitt zurück ins Rebellengebiet und erntete erstaunte Blicke. „Du wieder?“ Es gab tatsächlich einen Passierschein, versehen mit einer flapsigen Bemerkung: „Wie du dahin kommst, musst du selbst sehen!“ Der einzige Europäer weit und breit suchte Mitfahrgelegenheiten auf Pick-ups von Rebellen, traf an diversen Checkpoints immer wieder jugendliche Soldaten, die mit dem offiziellen Papier ihres Chefs aber keine Hürde mehr darstellten. Doch inzwischen hatten sich die Rebellen aufgespalten, was die Lage noch verworrener machte.

Werner Kiwitt querte das letzte Dorf vor seinem Ziel. Es war zerstört. Der Deutsche wurde unruhig: Es wird doch hoffentlich nichts Schlimmes geschehen sein? Zum Glück nicht: Die Hütten „seines“ Dorfes waren intakt – und erst seit Kurzem wieder bewohnt. Gerade erst waren alle aus der Peripherie zurückgekehrt, wo sie sich versteckt hatten. Die schwangere Tutu und der knapp zweijährige Johannes waren trotz aller Strapazen wohlauf. Wiedervereint beschlossen sie, in der abgelegenen Ecke des Landes zu bleiben und die Geburt des zweiten Kindes abzuwarten.

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Mit Sohn Freddy

Um die Zeit zu überbrücken, legte Werner Kiwitt einen Brunnen an, formte Lehmsteine und baute ein Haus. „Ich musste einfach etwas tun“, schmunzelt er. Um Medikamente und Rasierklingen für die Geburt zu besorgen, überquerte er erneut heimlich den Grenzfluss nach Guinea, wo – ein für ihn völlig irrsinniger Anblick – in einer französischen Ölpalm-Plantage gerade Boule gespielt wurde, während wenige Kilometer weiter Leichen den liberianischen Boden pflasterten und Ortschaften gebrandschatzt wurden.

Von Liberia zum Zweitstudium in Flensburg

Am 24. August 1990 kam Sohn Freddy zur Welt. Doch was war das? Das Baby hatte merkwürdige Wasserblasen, die untersucht werden mussten. Etwa die eigentlich als ausgerottet geltenden Pocken? Das konnte nur außerhalb der ländlichen Provinz untersucht werden. Wieder gab es einen Passierschein der Rebellen bis an die Grenze der Elfenbeinküste. Werner Kiwitt nutzte die Gelegenheit, um nach kurzem Krankenhausaufenthalt mit Tutu und den beiden kleinen Söhnen über Ghana nach Deutschland zu fliegen. Kurz darauf wurde in Monheim standesamtlich geheiratet.

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„Bingo-Bär“ Michael Thurnau und Onno Poppinga im Klimapark

Jetzt ging es wirklich nach Flensburg zum Zweitstudium. Die junge Familie bezog eine kleine Wohnung unter einer Druckerei in St.Jürgen. Über den Studiengang „Artes“ kam Werner Kiwitt mit dem Verein „artefact“ in Kontakt, der gerade ein Entwicklungszentrum mit Außengelände auf dem Bremsberg in Glücksburg aufbaute. Der Student beschäftigte sich unter anderem mit der Gewinnung von Biogas und widmete seine Diplomarbeit einer Feldforschung in Indien. Kuhfladen verwandelten sich in Dünger und Energie, der Gast aus Deutschland experimentierte mit einer ballonartigen Anlage, die sich dem steinigen Untergrund anpasste.

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Glücksburger Gespräche mit Hermann Albers, Bundesverband Windenergie, EWS-Gründer Kai Lippert und EEG-Miterfinder Hans-Josef Fell

Glücksburg als Experimentierfeld und Lebensmittelpunkt

Glücksburg war für Werner Kiwitt mehr als ein Experimentierfeld. Er arbeitete für den Verein „artefact“ zunächst als studentische Hilfskraft, dann in Teilzeit und schließlich voll – „aber immer mit Herzblut“, wie er betont. In der Werkstatt gab es praktische Seminare. Theorie und Vereinsbüro fanden Platz über dem alten Glücksburger Bahnhofsgebäude – bis in Flensburg die Bildungswissenschaftliche Universität entstand. „Glücksburg war für etwa ein halbes Jahr Universitätsstadt, hat es aber nie bemerkt“, schmunzelt Werner Kiwitt.

Privat wohnte er inzwischen auch in Glücksburg. Er und Tutu trennten sich allerdings nach einigen Jahren, sind aber bis heute über die beiden Söhne und inzwischen vier Enkel miteinander verbunden.

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Längst ein angesagter Dämmstoff: Seegrasernte in Holnis

Die neue Frau an seiner Seite wurde die gebürtige Glücksburgerin Gyde. Sie brachte drei Kinder aus erster Ehe mit, was eine große Patchwork-Familie ergab und 25 Jahre lang für viel Leben im Flandernweg sorgte.

„Dann haben wir festgestellt, dass wir in dieser Zeit mit der Miete auch ein eigenes Haus hätten kaufen können“, erzählt Werner Kiwitt. „Das haben wir vor Kurzem nachgeholt.“ Alle zusammen reisten mal mit dem Zug nach Slowenien, mit Rucksack, Wanderschuhen und Fähren durch die kroatische Inselwelt. Sportlich. Noch sportlicher ist Freddy, der amtierender Box-Weltmeister ist.

Vater und Sohn reisten vor sieben Jahren gemeinsam nach Liberia. „Es war tragisch, dass nur zehn Tage vorher plötzlich die Großmutter verstorben war, da sie Freddy nur als Baby gesehen und wir oft über ein Wiedersehen gesprochen hatten“, erklärt Werner Kiwitt, der vor zwei Jahren auch mit Sohn Johannes, der nahe der Gartenstadt Weiche ein Fitnessstudio betreibt, nach Liberia reiste.

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Mit Claus Ruhe Madsen, Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein

Glücksburg als Teil der „Expo 2000“

1995 konnte der Verein „artefact“ sein ungewöhnliches Tagungs- und Gästehaus in Glücksburg einweihen. Eine Förderung war im Umfeld von anderen regionalen Bildungsstätten nicht selbstverständlich, doch das Zentrum für nachhaltige Entwicklung stellte ohnehin viele Gewohnheiten auf den Kopf.

Die Gebäude fußten schließlich auf 100.000 leeren Flaschen aus dem Franziskus-Krankenhaus und der Brauerei. Als Dämmstoff diente Seegras. Die Bauaufsicht hatte angesichts der ungewöhnlichen Materialien und nubischer Lehmarchitektur häufiger Kopfschmerzen und musste mitten im Sommer klären, ob Lehmdachbauten auch im Winter stabil genug sind. Der Statiker behalf sich mit sechs Tonnen schweren Sandsäcken, um eine acht Meter hohe Schneelast zu simulieren.

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17 Jahre Schleswig-Holstein Solarcup: Siegerehrung in Glücksburg

Ein weiterer Entwicklungsschritt für „artefact“ war die „Expo 2000“ in Hannover. Im Glücksburger Bildungs-Campus entstand als eines von mehreren deutschen Außenprojekten Deutschlands erster Energieerlebnispark. Der Verein „artefact“ hatte selbst 500.000 Euro investiert – größtenteils kreditfinanziert bei hohen Zinssätzen, während erhoffte Sponsoren ausblieben. Einnahmen ließen sich nur aus touristischer Vermietung, Besuchen von Schulklassen und ausländischen Seminargruppen generieren. Das war zu wenig: Als Ausweg blieb dem ehrenamtlichen Vorstand nur, den Verein nach der „Expo“ in die Insolvenz zu führen.

Knifflige Aufgaben als selbstständiger Geschäftsführer

Werner Kiwitt gründete sofort eine gemeinnützige GmbH. Als nun selbstständiger Geschäftsführer hatte er für die vorhandenen Räumlichkeiten und Flächen vom Insolvenzverwalter einen Mietvertrag erhalten, der sich von Monat zu Monat verlängerte.

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Grenzübergreifender Austausch zur Energiewende mit der Tour de Flens

Es dauerte rund vier Jahre, bis sich der Erbpachtvertrag des alten Vereins mit der Stadt Glücksburg auf die neue Gesellschaft übertragen ließ. Schon seit Langem ist der Bremsberg auch für Immobilienmakler und Bauunternehmen interessant. In der Nachbarschaft gibt es seit Jahren Bemühungen, aus den letzten Grünsteifen weitere Wohngebiete zu machen, die aber wegen Kindergeschrei und anderen Nebengeräuschen von „artefact“ die Lärmschutzauflagen nicht erfüllen.

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artefact Tagungs- und Gästehaus 2025

Werner Kiwitt ist in Glücksburg vielfach engagiert. Er ist Vorsitzender im Tourismusverein, macht sich stark für den Erhalt des Rosariums und saß für die Grünen im städtischen Bauausschuss. Lange war er zusammen mit seiner Frau Gyde auch im Glücksburger Stadtrat. 2022 traten beide gleichzeitig zurück.

Gerade bei Beschlüssen zu „artefact“ hatten den Grünen häufiger zwei wichtige Stimmen gefehlt, da das Paar den Sitzungssaal wegen Befangenheit zu verlassen hatte. Dabei ist der zum Klimapark weiterentwickelte Energieerlebnispark ebenso wie das Gästehaus eine Attraktion für die Stadt Glücksburg, die damit neue Zielgruppen erreichen kann. „Nur mit formaler Bildungsarbeit können wir uns nicht finanzieren“, betont Werner Kiwitt. „Wir brauchen die Urlauber im Sommer als Ausgleich für die ruhige Zeit im Winter.“

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Sportliche Enkel halten auch den Opa fit

Bei „artefact“ läuft seit April die neue Saison und vermittelt anschaulich die Nachhaltigkeit. Der Klimawandel ist im vollen Gang. „Dafür sind aber nicht Sonnenflecken oder ein Meteoriteneinschlag verantwortlich, sondern wir Menschen selbst“, weiß Werner Kiwitt. „Und deshalb gibt es auch gute Nachrichten. Mit unserem eigenen Verhalten können wir viel ändern, und erneuerbare Energie gibt es in jedem Land – und sie sind gar nicht teuer.“ Dazu kann man auf dem Glücksburger Bremsberg viel erfahren.

Text: Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, privat   

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