Es ist der 19. April 1991, später Abend: Fast zwei Stunden hatte die Band „Torfrock“ bereits mit 3500 Fans abgefeiert, schmetterte von „Rollo, der Wikinger“ bis zum „Boxer“ ihre Hits, als sie kurz in den Katakomben verschwand. Auf der Bühne zurück strahlte Sänger Klaus Büchner: „Das war das bisher größte überdachte Rock-Spektakel zwischen Eider und Grenze.“ Dann grinste er: „Prost ersma nochma, ich hab noch wat im Becher.“ Das Startsignal für die Zugabe – und das war „Beinhart“. Der Titelsong des ersten Werner-Films war erst wenige Wochen zuvor die Nummer eins der deutschen Charts gewesen und spülte „Torfrock“ auf den Zenit. Und Handewitt war das neue „Torfmoorholm“. Denn der Schauplatz des so gewürdigten „Rock-Spektakels“ war die Wikinghalle.

Als Torfrock, Udo Jürgens und die Backstreet Boys in Handewitt auftraten
„Torfrock“: Der Handewitter Musik-Urknall mit „Beinhart“

Dieses Konzert war der Testlauf für weitere Veranstaltungen und Konzerte auf der Geest. Dementsprechend lang liefen die Vorbereitungen, die Vorfreude wuchs. In der Euphorie hatte der Veranstalter „Peter Thomsen & Friends“, der Vorläufer des „Förde Show Concept“, mehr Tickets verkauft als Zuschauer zugelassen. Die Rettung: ein weiterer Notausgang. Agentur und Gemeinde teilten sich kurzfristig die Kosten, das Handewitter Ordnungsamt nickte zufrieden. Und Bürgermeister Horst Andresen strahlte: „Dieses Konzert war ein Signal für unsere Region.“

Legenden, Newcomer und Pop-Sternchen

In den nächsten gut sieben Jahren gaben etliche Musiker ihre Visitenkarte in der Handewitter Wikinghalle ab. Legenden, Newcomer und Pop-Sternchen. Die Bandbreite war beachtlich. Da trällerten die „Flippers“ ihre Lotusblume, während Roger Whittaker von „Albany“ schwärmte. Am anderen Ende der musikalischen Skala dröhnten Lemmy Kilmister und seine Band „Motörhead“, während die „H-Blockx“ als Komet der Cross-Over-Szene brachialen Bass und harten Rap mixten.

Zum Wikinghallen-Portfolio, das auch die Faschingsparty „Lumpenball“ oder der Travestie-Star „Mary“ bereicherten, zählten auch Legenden. So die „Kinks“, deren Ohrwurm „Lola“ auch Dekaden später unvergessen ist. Damals wunderte sich der Veranstalter über die Brüder Ray und Dave Davies, die ein Mikrofon gemeinsam benutzten, aber unbedingt in zwei weit voneinander getrennten Umkleidekabinen untergebracht werden wollten.

Udo Jürgens und Wolfgang Petry

Zu den ganz großen Namen, die in Handewitt auftraten, gehörte Udo Jürgens. Es war am 27. Februar 1995, als 2000 Fans in die Wikinghalle strömten. Besonders glücklich waren diejenigen, die ihrem Star auf der Bühne einen Blumenstrauß überreichten und dafür einen Handkuss bekamen. Ein VIP-Ticket kostete 165 D-Mark, ein Sitzplatz 80 D-Mark. Allerdings standen ab der zweiten Hälfte des Programms immer mehr Begeisterte direkt vor der Bühne und versperrten dem brav sitzenden Publikum die Sicht. Udo Jürgens steigerte sich in ein Hit-Festival und spielte zum Finale „Griechischer Wein“ – allein am Klavier und im legendären Bademantel.

Als Torfrock, Udo Jürgens und die Backstreet Boys in Handewitt auftraten
Bis 1995 spielten die SG-Handballer in der Wikinghalle, danach feierten sie manchmal dort

Einige Zeitzeugen meinen, dass der österreichische Sänger und Komponist noch ein zweites Mal auf die Geest gekommen sein soll. Belegt ist ein weiteres Konzert allerdings nicht. Es gab aber ein paar Wiederholungstäter. So wurde „Torfrock“ auch mit der „Bagaluten-Wiehnacht“ in Handewitt vorstellig. Auch Wolfang Petry erschien zweimal in der Wikinghalle: im Februar 1997 und fast exakt ein Jahr später – jeweils mit langer Dauerwelle und Holzfällerhemd. Zwei Stunden lang versetzte der Schlagerbarde unter den gut 3000 Zuschauern vor allem junge Frauen in Ekstase. Einige schwenkten Transparente: „Wolfgang, wir lieben dich!“ Und bei „Das ist Wahnsinn!“ regnete es rote Rosen und Kuscheltiere.

Teenie-Ausnahmezustand bei Weltstars

Das war aber noch gar nichts im Vergleich zu den „Backstreet Boys“. Bevor die US-Teenie-Band im August 1996 im hohen Norden aufkreuzte, traf die Kunde ein, dass bei anderen Auftritten etliche Fans medizinisch betreut werden mussten. Nicht anders in Handewitt: Schon kleinste Bewegungen des Bühnen-Vorhangs sorgten für Kreisch-Orkane und Kuscheltier-Würfe. 8000 Augen himmelten die fünf hübschen Jungs an. 250 Mädchen erlebten die Zugabe allerdings nicht. „Sie kippten um wie die Fliegen“, meinte ein Sanitäter.

Die „Backstreet Boys“ waren Mitte der 90er Jahre Weltstars, aber auch der eine oder andere Geheimtipp besuchte die Wikinghalle. Zum Beispiel Guildo Horn, den nur einige Insider im Dezember 1995 bereits als „Meister“ huldigten. Im schrillen Outfit und mit der Combo „Die orthopädischen Strümpfe“ zog der Diplom-Pädagoge etliche Schlager der 70er Jahre durch den Kakao und brillierte mit frechen Cover-Texten. Guildo Horn zelebrierte sich mit seinen langen Haaren und seiner leicht übergewichtigen Statur. Gut zwei Jahre später vertrat er Deutschland beim Eurovision Song Contest.

Der Abgesang der „Ärzte“

Am 27. September 1998, dem Tag der Bundestagswahl, traten die „Ärzte“ auf. „Leute, es gibt heute Abend zwei gute Gründe zum Feiern“, lugte Bela B hinter seinem Schlagzeug hervor. „Der Dicke ist weg, und die beste Band der Welt ist in der Stadt.“ Zusammen mit Farin Urlaub und Rodrigo Gonzales drückte der Musiker aufs Tempo. Als einige Fans kurz verschnaufen wollten, ernteten sie von der Bühne eine vorwurfsvolle Frage: „Ist das hier ein Jule-Neigel-Konzert?“ Den damals aktuellen Top-Hit „Ein Schwein namens Männer“ musste sich das Publikum erkämpfen und bekam ihn im zweiten Zugaben-Block vorgesetzt.

Als Torfrock, Udo Jürgens und die Backstreet Boys in Handewitt auftraten
Abschied mit den „Ärzten“

Während im Herbst 1998 die Ära von Bundeskanzler Helmut Kohl in Berlin endete, schloss sich auch das besondere Handewitter Musik-Kapitel. Kulturelle Events konnten nur als „seltenes Ereignis“ maximal 18 Mal im Jahr gefahren werden. Der rollende Verkehr und eine spätabendliche Geräuschkulisse gefielen nicht jedem Anwohner. Und die Schule musste bei mehrtägigen Hallensperrungen den Sport stark einschränken. Zudem zeichnete sich allmählich der Bau der 2001 eingeweihten Flensburger Halle auf dem Campus ab. Kurzum: Die Wikinghalle ist nun eine Schulsporthalle, die mal eine Konzert-Arena war.

Text: Jan Kirschner

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