Frühmorgens mit dem Fahrrad von Wees nach Harrislee, tagsüber in der Zentralschule und danach dominieren Sport und Familie – wenn nicht gerade Ferien sind, ist ein Tag von Jan Dreier besonders eng getaktet. Er gehört gewiss zu denjenigen, die für ihren Job und ihre sportliche Passion brennen, sich aber schon häufiger vorgenommen haben, etwas kürzerzutreten. „2025 soll es nun wirklich ruhiger werden“, sagt der 46-Jährige. Mit einem Lächeln tut er das, denn für 2024 hatte er sich sehr ähnlich geäußert. Doch dann kam alles anders – wieder einmal.

Flensburger Kopf: Jan Dreier – Vom Breitensport zum Leistungsgedanken
Eine behütete Kindheit

Es hätte aber auch alles anders kommen können. Manchmal sind es nur unerklärliche Zufälle, die ein Leben in eine Richtung verändern, ja sogar beenden können. Ein solch dramatischer Wendepunkt hätte für Jan Dreier der 29. September 1994 werden können. Er war damals 16 Jahre jung, Gymnasiast in Bad Bramstedt und war an diesem Tag nicht wie sonst mit dem Fahrrad gefahren.

So saß er am Nachmittag in dem Zug, der kurz nach der Ausfahrt aus dem Bahnhof von Bad Bramstedt mit einem anderen Dieseltriebwagen zusammenstieß. Sechs Menschen verloren ihr Leben, 80 wurden teils schwer verletzt. Jan Dreier befand sich ganz vorne. Vor ihm nur noch der Führerstand, in dem der Zugführer und seine Tochter starben. Jan Dreier hatte Glück im Unglück. Er prallte nach dem Zusammenstoß gegen die nächste Sitzbank und prellte sich ein paar Rippen. Direkt danach funktionierte er, half an der Unfallstelle. Der Schock saß aber tief, der Teenager hatte an dieser Katastrophe physisch lange zu knabbern. „Das war wie eine zweite Geburt“, sagt er heute. „Dadurch weiß ich, dass jeder Tag wie ein Geschenk ist.“

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Die erfolgreiche 4x100m-Staffel der KT

Vom Breitensport zum Leistungsgedanken

Eigentlich war die Jugend beschaulich. Jan Dreier wuchs in Wiemersdorf, einem Dorf in der Nähe von Neumünster, auf, besuchte dort zunächst die kleine Grundschule vor Ort, ehe er ab der fünften Klasse ins „große“ Bad Bramstedt pendelte. Sein Lieblingsort war der Sportplatz. Im TSV Wiemersdorf kam er mit vielen Sparten in Berührung, wurde bereits mit 14 Jahren Jugendwart und entwickelte ein Faible für Fitnesssport. Es gab aber auch noch das Gymnasium und dessen engagierten Sportlehrer Frerk Petersen. Dieser brachte dem jungen Wiemersdorfer die Leichtathletik näher und motivierte ihn, einen Klub zu suchen, der nicht nur Breitensport anbot, sondern auch einen Leistungsgedanken pflegte. „Körperlich war ich gar nicht so talentiert, aber ich hatte einen großen Willen und war immer bereit, etwas zu tun und auf andere Dinge zu verzichten“, erzählt Jan Dreier. Eine Einstellung, die er sich im Grunde bis heute erhalten hat.

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Dreiers Demonstration vor dem Rathaus für die Sanierung des Stadions

Damals klopfte er zunächst bei der Bramstedter TS an. Die dortige Leichtathletik-Abteilung setzte nach seinem Geschmack aber zu sehr auf das Laufen. Bei der Kaltenkirchener TS war das Training breiter angelegt und mehr physisch orientiert. Das gefiel dem Wiemersdorfer besser. Zu seinen Disziplinen entwickelte sich der Sprint, hoch bis 400 Meter. Eine Bundestrainerin, die ihn aufgrund seiner relativ leichten Statur von den 800 Metern überzeugen wollte, biss bei ihm auf Granit. Jan Dreier nahm an Landesmeisterschaften teil – und einmal sogar an einer deutschen U20-Meisterschaft. In der Sprintstaffel startete er im westfälischen Lüdenscheid. Das war zu Beginn der Sommerferien 1997.

Der Weg zum Bundeswehr-Offizier

Von dort reiste das Nordlicht direkt weiter in das bürgerkriegsgeplagte Bosnien. Über einen christlichen Verein beteiligte er sich an einem Freiwilligen­einsatz und leistete in Sarajevo und Umgebung Aufbauhilfe. Vormittags reparierte die Gruppe Häuser, am Nachmittag wurde mit Kindern gespielt. Jan Dreier traf häufiger Bundeswehrsoldaten, die zur Friedenssicherung auf dem Balkan stationiert waren. Ein Einsatz, der ihn dazu bewegte, nach dem Abitur seinen Wehrdienst zu leisten.

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Zwei prägende Jahre in der Grundausbildung in Neumünster

Seine Dienststelle war Neumünster. Praktisch, denn so blieb die Leichtathletik ein großes Thema. Der junge Mann war inzwischen Sportabzeichen-Prüfer und hatte eine erste Trainer-Lizenz abgelegt. Er betreute das Kinder-Training in Kaltenkirchen und Wiemersdorf. Er war oft auf der Laufbahn, aber eine Vorstellung von einer beruflichen Laufbahn hatte er noch nicht. „Die Schule hatte mich bis auf Sport so gar nicht überzeugt“, sagt der heutige Lehrer. Nach nur einem Monat in der Grundausbildung verpflichtete er sich auf zwei Jahre bei der Bundeswehr und startete mit einer Ausbildung, die er als Nachschuboffizier der Reserve abschloss. „Klare Anweisungen, deren Umsetzung und die Wahl der Stimme – in dieser Hinsicht habe ich mehr gelernt als später im Lehramts-Studium“, erzählt Jan Dreier. Ebenso die entscheidende Empfehlung, die ihm immer wieder begegnete: „Du solltest später im Berufsleben mit Menschen zu tun haben.“

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Mit Mentor und Sportlehrer Frerk auf dem Gipfel

Die Entscheidung für das Lehrer-Studium

Er konnte bei der Bundeswehr verlängern. Zwölf Jahre hätten es werden können, andererseits musste mit einem Umzug bis an die Grenze zu Polen gerechnet werden. Mit der Leichtathletik wäre es dann vorbei gewesen. Also doch lieber Lehrer! Für Sport und Mathe auf Grundschule schrieb sich Jan Dreier im Sommer 2000 an der Bildungswissenschaftlichen Universität in Flensburg ein. Die Fördestadt war besonders interessant, da die Hochschule direkt neben dem Stadion lag, das der frischgebackene Student von einigen Wettbewerben kannte. Heute grinst er: „Ich war zuerst auf dem Sportplatz, dann in der Uni.“ Das Studium füllte ihn offensichtlich nicht aus. Früh entschied er sich für weitere Ausbildungen: medizinischer Fitness­trainer, Diplom-Mentaltrainer und Jugendleiter beim Landessportverband. Zwei Jahre leitete er sogar das Fitnessstudio der Universität.

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Stetiger Teilnehmer beim Flensburger Firmenzehnkampf

Das Flensburger Leichtathletik-Debüt

Sehr schnell hatte der Neu-Flensburger Kontakt mit dem LK Weiche aufgenommen. Die Ernüchterung folgte schnell. Er traf auf eine familiäre Sportgruppe, die Ruth Kurtzweg-Otte und Horst Otte leiteten. Die Sportanlagen im Stadion befanden sich in keinem guten Zustand, und die Zahl der Mitglieder bewegte sich nicht wie heute um die 400, sondern nur im zweistelligen Bereich. Startblöcke, vereinzelte Hürden und defekte Hochsprungmatten lagerten versteckt in einer Garage. „Das muss sich ändern“, dachte sich Jan Dreier. „Das kannst du vergessen“, bekam er von seinen Flensburger Studien-Kollegen häufiger zu hören. Diesen Worten wollte er nicht so recht glauben, als er 2004 den Vorsitz beim LK Weiche übernahm. Doch er musste rund 20 Jahre mit der Stadt Flensburg verhandeln, diskutieren und sich dann lange gedulden, bis er nun im Stadion auf eine schöne Anlage schauen kann. Die Schwierigkeiten, die der Sportinfrastruktur immer wieder begegnen, liegen wohl im heutigen gesellschaftlichen Stellenwert des Leistungssports. Arbeitete der Schulsport früher unterstützend, fokussiert er sich heute hauptsächlich auf eine bloße Teilnahme, was in 
Bundesjugendspielen ohne Wertungen zum Ausdruck kommt. Innerhalb der Leichtathletik mit ihren vielen Disziplinen sind qualifizierte Trainer ein rares Gut. Deshalb schlossen sich mehrere Vereine zur LG Flensburg zusammen. „Das Kinder-Training ist weiterhin vor Ort, die wenigen Spezialisten haben wir gebündelt“, erklärt Jan Dreier und betont die grundsätzliche Prämisse aller sportlichen Ambitionen: „Wir wollen den Kindern und Jugendlichen neben Familie und Schule einen weiteren Halt bieten.“ Er selbst hat als Trainer mehrere A-, B- und C-Lizenzen und treibt seit 2004 als Lehrwart die Ausbildung im Schleswig-Holsteinischen Leichtathletikverband voran.

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Ein großes Team an Jugendlichen ist nun die „erweiterte Familie“

Drei Reisen nach Indonesien

Bonbons waren dabei drei zweiwöchige Referenten-Einsätze für das Auswärtige Amt und den Deutschen Leichtathletik-Verband in Indonesien. In der Hauptstadt Jakarta existierten dank eines millionenschweren Mäzens beste Sportanlagen. Auf dem Land sah es aber ganz anders aus. „Da gab es keine richtigen Sportplätze, sondern nur mehrere zusammengefügte Betonplatten“, erinnert sich Jan Dreier an diese besonderen Einblicke über den Tellerrand. Einmal war auch Ariane Friedrich mit nach Südostasien. Die ehemalige Top-Hochspringerin hatte 2009 bei den Weltmeisterschaften in Berlin Silber gewonnen. Jan Dreier war da im Stadion. Er gehörte mehrmals zu den Organisatoren von Camps für Nachwuchs-Leichtathleten, die einen Teil des Rahmenprogramms von Großereignissen bildeten.

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Mit Ehefrau Christine im Referenteneinsatz in Indonesien

Hochzeit und sportlicher Höhepunkt

Angesichts seiner sportlichen Passion ist es fast verwunderlich, dass er seine heutige Frau an der Universität und nicht beim Sport kennenlernte. Gar nicht erstaunlich ist es hingegen, dass Christine Piegenschke auch eine sehr gute Leichtathletin ist. Deshalb heiratete das Paar 2012 in der Munkbraruper Mühle und besuchte im Anschluss das Stadion. Im selben Jahr kürte der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag Jan Dreier zum regionalen „Sportler des Jahres“. Sein Engagement als Lehrwart und Trainer wurde honoriert, aber auch die eigenen sportlichen Leistungen.

Die verließen zwar nie den Hobby-Sektor, führten aber doch zu mehreren norddeutschen und deutschen Meisterschaften im Seniorenbereich. Der Höhepunkt: die Europameisterschaft 2017 im polnischen Torun. Im Starterfeld über 110 Meter Hürden waren mehrere Sportler, die in jüngeren Jahren an Wettbewerben auf höchstem Niveau teilnahmen. „Die sind gefühlt schon an der zweiten Hürde, wenn ich die erste überquere“, erzählt Jan Dreier. „Ich hatte daher das Hotel nur für eine Nacht gebucht.“ Er musste verlängern, denn er erreichte den Endlauf und wurde Siebter.

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Hochzeit in Munkbrarup in der Mühle und viel „Blau-Gelb“

Der Lehrerberuf

Angesichts der vielen sportlichen Aktivitäten und Tätigkeiten könnte man fast meinen, der 46-Jährige sei ein Profi. In Wirklichkeit ist er ein verbeamteter Lehrer. Sein Referendariat absolvierte er einst an der Grundschule in Eggebek. Der ländliche Charakter gefiel ihm durchaus, noch mehr die Unterstützung der Mentorin Hedi Schmaler. Die Fahrerei zwischen Flensburg und der Schule traf weniger seinen Geschmack, noch weniger der Wandel im Kollegium. Jan Dreier bewarb sich 2012 an der Zentralschule Harrislee und wechselte. Einen Schritt, den er nie bereute. „An der Zentralschule kann ich mitgestalten und meine Meinung sachlich äußern“, erklärt der Pädagoge. „Es herrscht ein gutes Klima im Schul­alltag und im Kollegium.“ Ein Lohn war die erfolgreiche Bewerbung beim deutschen Schulpreis 2017. Ein weiteres besonders nachhaltiges Projekt ist der „NalaH“: Die Aufbereitung von nicht mehr in der Wirtschaft gebrauchten Büro-Artikeln, die dann in der Schule wiederverwendet werden konnten. Als Sportlehrer freut er sich vor allem über die Sportanlagen, die die Gemeinde stellt. „In Flensburg braucht man 20 Jahre, in Harrislee geht man alles entschlossen an und tauscht sich auf Augenhöhe aus.“

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Das aktuelle Team der LG Flensburg

Koordinator für die Klassenstufen acht bis zehn

Natürlich ist in der Stadtrandgemeinde nicht alles rosarot. Probleme gibt es auch dort bisweilen, die Jan Dreier in letzter Zeit hautnaher mitbekommt. Er ist im zweiten Jahr der Koordinator für die Klassenstufen acht bis zehn. Der Wandel der Schullandschaft, die steigenden sozialen Anforderungen in Kombination mit den psychischen Belastungen aus der gesamten Weltlage sind für alle Mitglieder der Schullandschaft eine zunehmende Herausforderung. „Man muss vieles kompensieren, was man ursprünglich nicht im klassischen Aufgabenbereich einer Lehrkraft sieht“, berichtet der Lehrer. „Letztendlich geht es darum, dass alle vollkommen angstfrei und gerne zur Schule gehen.“

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Immer neue Ideen: Große Resonanz aufs neue Event auf dem Südermarkt

Durch die neue Aufgabe ist der Schul­alltag nicht mehr so getaktet, Stress und Ärger schwingen manchmal mit in den Feierabend hinein. Da dominieren neben der Familie – Tochter Linea wurde im Dezember 2019 geboren – die sportlichen Ehrenämter, die einen kurzen Draht und auch eine gewisse Hartnäckigkeit gegenüber der Stadtverwaltung erfordern. 2024 brachte da keine Entspannung, auch wenn die Stadion-Sanierung bis auf ein paar Nachbesserungen fertig ist. Eine sogenannte Kalthalle mit einer Tartanbahn verlangte den nächsten großen Aufschlag. Das Land stellte Flensburg als Leichtathletik-Stützpunkt 2,5 Millionen Euro in Aussicht – versehen mit einer gewissen Dringlichkeit. Als Standort brachte die Stadt einen ramponierten Sportplatz ins Spiel. „Seit März sind wir am Zuliefern“, erzählt Jan Dreier. „Es hieß von Woche zu Woche, dass nur eine Kleinigkeit fehle. Dann erfuhren wir Ende Oktober, dass Plan A gescheitert sei.“ Ausgang offen.

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Der engste Trainerkollege Anton Temme beim 1.Flensburger Markplatzspringen

Langer Atem und Radfahren

Die Sportpolitik lässt ihn wohl auch 2025 nicht ganz los. Einen guten Vorsatz für das neue Jahr hat er bereits getroffen: „Körperlich muss ich etwas tun, ich will ja auch Vorbild sein.“ Ein Warnschuss war im September ein Fünfkampf, der bereits nach der ersten Disziplin mit einem Bandscheibenvorfall endete. Sportlich bewältigt Jan Dreier aber zumeist das Thema „Mobilität“. Vom Wohnsitz in Wees nach Harrislee und zurück geht es mit dem Fahrrad. Das sind täglich 30 Kilometer. „Ich habe so Zeit nur für mich“, verrät er. „Ich kann mich sortieren und mir zu allem Gedanken machen.“ Die Rad-Affinität führte ihn einst auch mal durch Deutschland oder nach Skandinavien, jetzt streut er mal eine Tour nach Schleswig ein. Sein persönliches Athletik-Training will Jan Dreier wieder hochfahren. „Zuhause“, schmunzelt er, „geht das nur, wenn unsere Tochter nicht schläft. Der Kraftraum befindet sich schlauerweise direkt neben dem Kinderzimmer – eine Fehlplanung.“ Das Ziel ist ein guter Zehnkampf in der Seniorenklasse. 6000 Punkte hat er schon gemeistert.

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Text: Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, privat 
 

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