Die Bismarckstraße 66a wird von Touristen gerne angefahren. Eine Sehenswürdigkeit findet sich an dieser Adresse nicht – und auch keine Übernachtungsmöglichkeit. Des Rätsels Lösung: Es hängen 80 Schlüssel-Tresore an der Fassade. Und dahinter sitzt „fewo 1846“, die etablierte Vermittlungsagentur für Ferienwohnungen. Ihr Inhaber ist Günter Blankenagel.
Seit 1984 in Flensburg zu Hause
Er ist längst ein „Flensburger Kopf“, aber kein gebürtiges Nordlicht. Er erblickte 1964 im sauerländischen Iserlohn das Licht der Welt. Kindheitserinnerungen an diese Ecke der Republik gibt es aber nicht. Die Familie zog sehr bald nach Eckernförde, da die beiden jüngeren Schwestern an Asth-ma litten und von der Seeluft profitieren sollten. In der neuen Heimat wuchsen die Kinder auf. Nach dem
Abitur landete Günter Blankenagel durch Zufall an der deutsch-dänischen Grenze: die Wehrpflicht. „Seitdem, also ab 1984, hatte ich meinen ersten Wohnsitz immer in Flensburg – ganz egal, wohin mich die beruflichen Kapriolen führten“, betont der großgewachsene Mann.
Er war in Flensburg-Weiche stationiert – in der Briesenkaserne, die längst als Konversions-Vorzeigemodell zur Gartenstadt umgewandelt wurde. Damals wohnten viele US-Soldaten im Stadtteil, der Wehrdienstleistende diente in der Raketen-Artillerie. Danach wollte Günter Blankenagel mit einer Berufsausbildung beginnen, hatte aber kein Glück mit den Bewerbungen. Der Ausweg: eine betriebs-unabhängige Ausbildung zum Wirtschaftsinformatik-Assistenten an der Wirtschaftsakademie, die sich damals im Heiligengeistgang befand. Seine erste Mietwohnung bezog der junge Mann in der Neustadt. „Eine kunterbunte Wohngegend“, erinnert sich der 58-Jährige heute. „Ich habe es genossen, dort zu leben.“
Als freiberuflicher Dozent bei der DAA
Während der Ausbildung hatte er damit begonnen, an der „Deutschen Angestellten-Akademie“ auf freiberuflicher Basis als Dozent zu lehren. Die Honorare dienten bald als Grundstock für das eigene Studium an der Fachhochschule in Flensburg. Die Wahl fiel auf die Wirtschaftsinformatik. Am Vormittag saß Günter Blankenagel selbst in der Vorlesung, am Abend war er der Dozent. Damit nicht genug: Als Werksstudent arbeitete er in der „Feldmühle“ und programmierte für die betriebswirtschaftliche Abteilung. Dort wurden gerade die ersten Personal-Computer eingeführt, und die Mitarbeiter mussten geschult werden. Zum Verständnis: Um 1990 herum gab es noch keine grafische Oberfläche, auf der der User ganz simpel vom einen zum nächsten Software-Programm springen konnte.
Das Studium war 1992 beendet und bedeutete eine Zäsur. Der Absolvent ging nach Hamburg, bekam einen ersten Job bei der Spar-Handelsgesellschaft und nahm beim Wechsel von der Provinz in die Millionen-Metropole viel Respekt mit. „Ich stellte aber schnell fest, dass wir in Flensburg ein wirklich gutes Studium hatten und in Hamburg große Wissenslücken existierten“, erzählt das Nordlicht. Es saß in der IT-Abteilung mit über 100 Kollegen. Sein Gebiet waren IT-Lösungen für die Warenwirtschaft, also für Einkauf, Verkauf, Lager-Haltung und Logistik.
Günter Blankenagel pendelte viel zwischen Elbe und Förde. Er hatte eine kleine Wohnung in Hamburg und führte eine Wochenend-Beziehung mit der ersten Ehefrau in Flensburg. Wegen seiner Qualifikation in der Warenwirtschaft landete er in der Unternehmensberatung. Dann hieß es aber: „Wir haben derzeit andere Prioritäten.“ Es ging nach Frankfurt – im Auftrag der Deutschen Bank. Am Montagmorgen flog der erste Flieger gen Main, am Freitagnachmittag erfolgte die Rückreise.
Das Jahr 2000 rückte näher. Damals war die Angst vor einem großräumigen Computer-Crash aufgrund des Y2K-Problems allgegenwärtig. In den 60er und 70er Jahren hatte man nur geringe Speicherkapazitäten, sodass in vielen Programmen die Jahreszahlen auf zwei Stellen minimiert waren. 1999 herrschte deshalb rege Betriebsamkeit. Ehemalige Mitarbeiter der IT-Branche wurden reaktiviert, Schreibtische in Turnhallen aufgestellt – das alles, um die Programmier-Lücken zu beheben und Software auszutauschen. Der Übergang ins neue Millennium verlief ohne Zwischenfälle. Nahtlos folgte die Euro-Umstellung. Dann erschütterte ein Börsen-Crash die Finanzwirtschaft. Viele Unternehmen mussten abspecken und entließen zahlreiche Mitarbeiter.
Günter Blankenagel orientierte sich wieder nach Flensburg und heuerte bei den Stadtwerken an. Er agierte als Vertriebsleiter der Tochtergesellschafter „IT Power“. Die Energie-Branche hatte durchaus ihre Reize, die Verwaltungsabläufe in einem städtischen Konzern eher weniger. Besser gefiel es dem Informatik-Fachmann in jedem Fall bei „mr. net services“, einem Spezialisten für das Breitband-Internet. Er wurde im Außendienst eingesetzt, war aber nur zwei bis drei Mal in der Woche unterwegs.
Ganz nebenbei entstand 2008 eine neue Geschäftsidee. Sie hatte private Wurzeln. Günter Blankenagel wohnte damals mit seiner zweiten Ehefrau Elke, Söhnchen Ramon und Hund Paul zur Miete am Ochsenmarkt. Während der Suche nach einem Eigenheim stieß die Familie in der Flensburger Speicherlinie auf ein interessantes Objekt mit Baujahr 1846. Es bestand aus zwei Wohnungen, eine bauliche Zusammenlegung bot sich deshalb an. „Eine Wohnung war aber noch bewohnt“, erzählt Günter Blankenagel. „Die Mieterin, die darin lebte, sagte uns aber, in ein oder zwei Jahren Flensburg verlassen zu wollen.“
Die Idee: Ferienwohnungen vermieten
Die Familie fragte sich: Was machen wir so lange mit der anderen Wohnung? Die Idee: als Ferienwohnung vermieten. „Die meisten Freunde und Bekannte hielten uns für bekloppt“, schmunzelt der 58-Jährige heute. „Die meisten konnten sich nicht vorstellen, dass jemand in Flensburgs Innenstadt Urlaub machen möchte.“ Aber was sprach dagegen, dass sich Touristen von der Nähe des Hafens und des Brasseriehofes anlocken ließen? Die Vermietung lief dann auch gut an. So gut, dass auch die zweite Wohnung, als sie frei wurde, an Feriengäste vergeben wurde und im Herrenstall ein zweites Objekt für eine ähnliche Nutzung erworben wurde. Privat wurde dann etwas später in Jürgensby ein Haus gekauft.
Die gute Belegung sprach sich herum. Es entstand eine erste Vermittlung für andere Eigentümer – auf Provisions-Basis. Schnell schoss die Nachfrage in die Höhe. Heute hat „fewo1846“ – der Name erinnert an das Baujahr der Ursprungs-Immobilie – 140 Ferienwohnungen im Angebot. Die meisten befinden sich in Flensburg, andere in Glücksburg und Wassersleben. Nur acht davon sind Eigenbesitz. 2015 stiegen Günter Blankenagel und seine Frau aus ihren klassischen Berufen aus und betätigten sich fortan nur noch in der Tourismus-Branche. Inzwischen ist ihr „Kind“ komplett digitalisiert. Die Buchungen erfolgen über das Internet, die Bezahlung ist bargeldlos, und die Schlüssel-Tresore ersetzen eine persönliche Übergabe. „So kriegen wir natürlich nicht 100 Prozent aller potenziellen Kunden, aber diejenigen, die mit unserem Geschäftsmodell kompatibel sind“, weiß der Agentur-Inhaber. Vor dreieinhalb Jahren zog das Büro von der Selckstraße in die Bismarck-straße 66a. In diesem Gebäude war lange Zeit eine Apotheke beheimatet gewesen. Der alte Vermieter half beim Umbau. Inzwischen zählt das Unternehmen sechs Angestellte, die hauptsächlich auf das Vermittlungsgeschäft fokussiert sind. Für Hausmeister-Aufgaben, Zimmerreinigung und Wäsche-Service gibt es Dienstleister. Ab 9.30 Uhr herrscht in der Woche Betriebsamkeit. „Samstags hat noch jemand Schlüsseldienst“, erzählt Günter Blankenagel. „Aber am Sonntag muss niemand mehr da sein. Der Sonntag ist bei unseren Ferienwohnungen kein Anreise-, sondern nur noch Abreisetag.“
Keine Euphorie bei den Vermietern
Die aktuelle Situation weckt keine Euphorie. Das Niveau von 2019 ist bei der Vermietung von Ferienwohnungen noch nicht wieder erreicht. 2021 war besser als 2022. „Wir hatten nur von Mitte Juli bis Ende August eine richtige Hochsaison, dann im September noch ein paar Sprünge“, analysiert der Experte. Gerade die Dänen verhielten sich noch zurückhaltend, da sie gerade wegen attraktiver Veranstaltungen nach Flensburg kommen würden. Ein Faktor im Winterhalbjahr: der Weihnachtsmarkt. „Die Gäste buchen erst spärlich, und die schon gebucht haben, könnten kurzfristig noch stornieren, wenn die Innenstadt in der Adventszeit dunkel bleiben sollte“, meint Günter Blankenagel. Ein weiteres Problem: Die steigenden Energiepreise sind nur schwierig mit fixen Übernachtungspreisen, die ein Tourist schon jetzt wissen möchte, zu kombinieren.
Zeit für Hobby und gesellschaftliches Engagement
Der 58-Jährige findet Zeit für Hobby und gesellschaftliches Engagement. Er ist als ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht gemeldet, fährt dafür fünf bis sechs Mal im Jahr nach Schleswig. „Diese Tätigkeit erdet einen, das geht einem manchmal schon ziemlich nah“, verrät der Flensburger.
In den Fällen klagen Hartz-IV-Empfänger gegen die Arbeitsagentur, wenn sie sich bei den Leistungen zu wenig bedacht fühlen.
Den Sport hat Günter Blankenagel als „Botschafter der Region“ entdeckt. Mit „fewo1846“ unterstützt er die Handball-Frauen vom TSV Nord, die er für ihren entbehrungsreichen Aufwand bewundert.
Auch die Fußballer vom SC Weiche 08 genießen Sympathien. Und erst Recht die SG Flensburg-Handewitt, deren Heimspiele er gerne besucht.
Auf Tour mit dem Motorrad und Oldtimer
Den Kopf frei bekommt Günter Blankenagel auf dem Motorrad. Zu selten, aber immer wieder gerne, nimmt er am Dienstagstreff teil, wenn sich die Biker-Szene vor „Annies Kiosk“ bei den Ochseninseln versammelt. Manchmal geht es mit einigen Kumpels nach Römö oder Sankt Peter-Ording. Das Nordlicht ist auch Besitzer eines alten Feuerwehrautos. Mit dem „Opel Blitz“ tummelt es sich manchmal auf den Oldtimer-Veranstaltungen und pflegt die Mitgliedschaft mit dem Förderverein der Flensburger Berufsfeuerwehr.
Ehrenamtlich bei der Dehoga tätig
Im Ehrenamt fungiert Günter Blanke-nagel als Geschäftsführer vom Dehoga-Kreisverband Schleswig-Flensburg. Hinter dem Vorsitzenden Hans-Peter Hansen betätigt er sich als rechte Hand in administrativen Dingen und erhält interessante Einblicke in die hiesige Gastronomie und Hotellerie. „Es besteht untereinander natürlich Wettbewerb, aber wir tauschen uns auch aus und verfolgen natürlich gemeinsam, dass die Region touristisch an Attraktivität gewinnt“, erklärt Günter Blankenagel. „Es ist so, dass wir uns im Vergleich zu anderen Destinationen an der norddeutschen Küste eher im mittleren bis unteren Preissegment befinden.“
Von der Flensburger Kommunalpolitik fühlt er sich nicht immer voll akzeptiert: Zum einen wird den Vermietern von Ferienwohnungen bisweilen ein Missbrauch von Wohnraum vorgeworfen, zum anderen werden sie mit der kommunalen Bettensteuer belastet. Bei jeder Übernachtung in Flensburg werden 7,5 Prozent von den Einnahmen abgeschöpft. Im Umland ist das nicht der Fall. „Das ist Wettbewerbsverzerrung“, sagt Günter Blankenagel und fordert: „Viel besser wäre eine verwendungsbezogene Tourismus-Abgabe.“ So wären alle Betriebe, nämlich auch Restaurants oder Einzelhandel in der Innenstadt, die von der „weißen Industrie“ profitieren, beteiligt und würden zur nachhaltigen Belebung der Innenstadt beitragen.
Text: Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, privat