„Herzlich willkommen beim SBV!“, steht auf der Besucherkarte. Doch der Hauptsitz der Wohnungsgenossenschaft am Willi-Sander-Platz wirkt in jenen Tagen wie eine Festung. Vier Personen warten vor dem Eingang, tragen alle den obligatorischen Nasen-Mundschutz und werden einzeln eingelassen. Der Publikumsverkehr spielt sich im Erdgeschoss ab. In den Fahrstuhl steigen nur Mitarbeiter oder Gäste des Vorstandes. Im Einzel-Transfer geht es nach oben – bis in den vierten Stock.
Dort hat der Vorstandsvorsitzende sein Büro: Jürgen Möller. Der 56-Jährige sitzt ganz oben in der SBV-Hierarchie, wirkt aber völlig bodenständig. Das hat sicherlich damit zu tun, dass er den Volkssport Nummer eins, den Fußball, liebt und sich im Alltag mit einer Grunddaseinsfunktion der Menschheit beschäftigt: dem Wohnen. „Der SBV“, betont er, „steht für eine große Gemeinschaft und Zusammenhalt.“ Der Selbsthilfe-Bauverein – so der volle Name – verfügt über 7300 Wohnungen in Flensburg, hat 11.000 Mitglieder sowie 120 Mitarbeiter. „Es geht nicht nur darum, seine vier Wände zu finden, sondern auch darum, sich mit den Nachbarn auszutauschen und sich gegenseitig zu helfen“, erklärt Jürgen Möller. Besondere Aktionen wie das obligatorische Juli-Frühstück vor den Haustüren sollen eine kalte Anonymität in den Wohnblöcken verhindern.
Gemeinschaft ist auch das Stichwort für die eigene Kindheit: Jürgen Möller lebte unter einem Dach mit fünf Geschwistern. „Gegenüber der jüngeren Generation“, schmunzelt er, „kann ich damit prahlen, dass ich zu Hause geboren wurde.“ Das war am 5. März 1964 in Norderbrarup. Aufgewachsen ist er aber nicht in Angeln, sondern in Harrislee. Die Familie bewohnte zunächst ein Haus in zweiter Reihe der Süderstraße, dann zog sie um in die Werkstraße, wo damals nicht der Grenzhandel regierte, sondern die grüne Wiese. Es gab nur ein weiteres Gebäude, das dem Klebeband-Hersteller „Nopi“ gehörte. Dort arbeitete der Vater als Einkaufsleiter. Die Eltern ließen sich allerdings scheiden. Die Kinder blieben bei der Mutter.
Jürgen Möller sah seinen Vater weiterhin ständig. Als verbindendes Band fungierte der Fußball. Der Senior brachte als Ligaobmann den Lokalmatador TSV Nord immer weiter nach oben – bis in die höchste Spielklasse Schleswig-Holsteins. Der Filius lernte das Kicker-ABC, stürmte für die Nachwuchsteams des TSV Nord und tauchte bei den Punktspielen der Männer hinter dem Tor auf. „Dort hatte mein Vater seinen Stammplatz“, erzählt er. „Uns hat es trotz der Scheidung an nichts gefehlt. Finanziell ist unser Vater immer allen Verpflichtungen nachgekommen.“
Jürgen Möller hatte durchaus Talent, wechselte mit 17 Jahren zum TSB Flensburg, um in einer starken A-Jugend weiter zu reifen. Was er nicht ahnte: Damit waren die Weichen für die berufliche Laufbahn gestellt. Der Jugendtrainer sprach mit den Jungen auch über ihre beruflichen Vorstellungen und deutete an: „Wir hätten da etwas für euch.“ Helmut Schumann, Motor der Fußballsparte im TSB, war zugleich so etwas wie die SBV-Ikone. Jürgen Möller war diese Genossenschaft noch gar kein Begriff, hatte bis dahin nie etwas mit Mietern oder Mietwohnungen zu tun gehabt. Doch eine Ausbildung zum Kaufmann der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft, dem heutigen Immobilienkaufmann, schien ihm der richtige Weg zu sein.
1982 war das. Die Zeit am Alten Gymnasium war beendet. „Die Schule bot mir nichts Neues mehr, aber beim SBV ging ich auf, lernte immer wieder etwas Interessantes kennen“, erinnert sich Jürgen Möller. Beim Blick aus dem Fenster erkennt er, wie sich der Hauptsitz seiner Genossenschaft in den letzten 38 Jahren verändert hat. Die gegenüberliegenden Hochhäuser aus den 60er Jahren glänzen inzwischen mit neuer Fassade. Der Mühlenhof mutierte zum Parkplatz. Die alte Waschküche für die Mieter ist längst verschwunden. Ebenso ein ehemaliges Sparkassen-Gebäude, das der SBV-Expansion zum Opfer fiel. 1982 genügte der Wohnungsgenossenschaft Erdgeschoss und erste Etage, heute ragt ein modernes Verwaltungsgebäude bis zum fünften Stock auf.
Der „Azubi“ von damals musste häufiger sechswöchige Blockunterrichte am Ausbildungszentrum Malente einschieben. Bei dem Ort schlug das Fußballer-Herz hoch. Es war noch nicht lange her, dass die DFB-Kicker in Ostholstein an ihrem WM-Triumph 1974 gearbeitet hatten. „Die Sportschule Malente lag auf der anderen Seite der Stadt“, erzählt Jürgen Möller. „Wir trafen uns aber in einer Kneipe und hatten das Gefühl an einem besonderen Ort zu sein. Und wir wurden genauso kaserniert wie einst die Nationalmannschaft und mussten bereits um 22.30 Uhr auf unseren Zimmern sein.“ Dennoch lernte er in Malente seine erste Ehefrau kennen: eine Kollegin vom „Flensburger Arbeiter-Bauverein“.
In die eigene Fußball-Laufbahn stellten sich Hindernisse. Ein Kreuzbandriss bedeutete eine lange Pause. Der Vater vermittelte eine Behandlung beim Mannschaftsarzt des Hamburger SV, der sogar das Karriereende empfahl. „Ich war aber total fußballverrückt und kämpfte mich zurück“, berichtet Jürgen Möller. Dann rief die Bundeswehr. Sein Vater hatte es irgendwie geschafft, die Spieler des TSV Nord in der Grenzlandkaserne unterzubringen. Beim TSB hatte allerdings Helmut Schumann das Sagen. Ein gutes Geschick bei den Gesprächen mit dem Kreiswehrersatzamt hatte er offenbar nicht: Jürgen Möller musste für drei Monate ins pfälzische Idar-Oberstein.
Dort wurde er zum Vermesser ausgebildet. Dann landete er in der Briesenkaserne im Raketen-Bataillon und verbrachte dort zwölf eher langweilige Monate. „Die Zeit wurde abgesessen – und ich trinke leider keinen Kaffee“, schmunzelt der heutige SBV-Vorstandsvorsitzende. Immerhin konnte er wieder Fußball spielen und sich ins Flensburger Nachtleben stürzen. Das „Domizil“ in der Apenrader Straße und das „Pony“ in der Engelsbyer Straße standen bei den Sportlern hoch im Kurs.
Auf dem Fußballfeld ging es in den 80er Jahren immer weiter nach hinten. Schließlich war Jürgen Möller „Libero“, der „letzte Mann“ in einer klassischen Abwehrtaktik. Holger Sohrweide war sein erster Trainer bei den Männern, heute übernimmt der Rentner Botendienste für den SBV. „Damals scheuchte er mich, heute ich ihn“, witzelt der Chef. Mit den Übungsleitern Walter Markmann und Jürgen Lück ging es bis in die Verbandsliga.
Der Wechsel zum Bezirksligisten DGF hatte ein Kalkül. „Beim TSB versuchte Helmut Schumann immer, Jobs im Umfeld der Fußballabteilung zu vermitteln“, verrät Jürgen Möller. „Ich wollte aber kein Funktionär werden.“ Mit 30 Jahren war Schluss. Außer einem kurzen „Nachbarschaftsdienst“ beim TSV Nordmark Satrup kickte er nur noch in der TSB-Altliga. Heute fungiert der SBV als Sponsor beim größten Sportverein der Stadt Flensburg. Ebenso bei den SG-Handballern. „Sie sind das größte Aushängeschild für die Region“, sagt Jürgen Möller, der in seiner Jugend Handball-Torwart war. Heute schafft er es „zu 75 Prozent“ zu den Heimspielen – wenn es die beruflichen Termine zulassen.
Nach der Bundeswehr war eine Rückkehr zum SBV vereinbart, aber plötzlich gar nicht mehr so selbstverständlich. Mitte der 80er Jahre herrschte Wohnungsleerstand, Flensburg schrumpfte auf nur noch 80.000 Einwohner. Letztendlich sprang eine Halbtagsstelle heraus. Außerdem schickte das Arbeitsamt den jungen Mann zum „Institut Freund für Fortbildung und Umschulung“.
Dabei kam er mit Computern in Berührung, was beim SBV damals noch niemand hatte. Heute stehen zwei bis drei Monitore auf einem Arbeitsplatz. Jürgen Möller wurde dank seiner Zusatz-Qualifikation auch IT-Verantwortlicher, kümmerte sich hauptsächlich um Wohnungsverwaltungen und Eigentümergemeinschaften. Zur Jahrtausendwende stieg er zum Leiter des Rechnungswesens auf und führte das Qualitätsmanagement nach ISO-Norm ein. „Später wurden wir nicht wieder zertifiziert, wir arbeiten aber immer noch nach diesen Prinzipien“, erklärt der heutige Vorstandsvorsitzende.
Auch das Privatleben regelte sich über den SBV. Praktisch im Büro lernte Jürgen Möller die Kollegin Petra, seine zweite Ehefrau, mit der er inzwischen seit 23 Jahren verheiratet ist, kennen. Tochter Carolin und Sohn Torben komplettieren längst die Familie. Mit Timo und Yannick, den beiden Söhnen aus erster Ehe, pflegt der Vater weiterhin einen guten Kontakt und schaut häufiger bei ihnen vorbei – in der Region Aachen. Dann geht es auch gerne nach Mönchengladbach zum Fußball. „Als ich klein war, gab es zwei Top-Vereine: Bayern München und die Borussia“, erzählt Jürgen Möller. Ein altes Trikot mit dem Schriftzug des damaligen Sponsors „Erdgas“ gehört noch immer zu seinem Fundus.
Beruflich tat sich im Herbst 2006 Grundlegendes: Die Genossenschaft SBV kaufte die kommunale Wohnungsgesellschaft „WoBau“ – samt 4800 Wohnungen. Die neuen, internen Strukturen verlangten von den Führungskräften Kreativität. Da auch die „WoBau“ einen Chef für das Rechnungswesen hatte, übernahm Jürgen Möller den Bereich „Personal, Büro und IT“. Damit rückte er inhaltlich erstmals in die Nähe von Aufsichtsrat und Vorstand. Und er feilte weiter an seinem Profil und ließ sich zum Geschäftsleiter für Spareinrichtungen ausbilden. Schon Jahre zuvor hatte ihm jemand ins Ohr geflüstert: „Wenn du weiter so viel arbeitest, bist du irgendwann im Vorstand.“ Prokura hatte er schon. Als der neuformierte SBV nach zwei Jahren am Sender an den Willi-Sander-Platz zurückkehrte, bewarb sich Jürgen Möller tatsächlich für den Vorstand – mit Erfolg. Seit 2010 sitzt er im höchsten SBV-Gremium.
Mit der neuen Funktion kamen weitere Ämter. 2010 wurde der SBV Gründungsmitglied des „Klimapaktes Flensburg“. Jürgen Möller arbeitete lange im Projektsteuerungsausschuss des neuen Konstrukts mit, inzwischen ist er Vorsitzender. „Wir sind nicht übermäßig finanziell ausgestattet, aber wollen Dinge anstoßen“, betont er. „Viele Unternehmen haben sich verpflichtet, das Klima in ihren Handlungen nach oben zu stellen.“ Elektro-Mobilität und Alternativen zum Auto sind gelebte Themenfelder.
Der Bereich „Energetische Sanierung“ genießt beim SBV hohe Priorität. „In den Energieausweisen sind im Wesentlichen gute Kennwerte verzeichnet“, berichtet Jürgen Möller. „Das wollen wir noch besser hinbekommen. Aber auch früher wurde gut gebaut – mit dicken Wänden, die im Winter vor Kälte schützen und im Sommer gegen Hitze isolieren.“ Dennoch sind in den nächsten fünf Jahren 175 Millionen Euro eingeplant für Neubau, Modernisierung und Instandsetzung.
Als sich Raimund Dankowski 2017 in den Ruhestand verabschiedete, wurde Jürgen Möller zum Vorstandsvorsitzenden gekürt und erst im letzten Jahr bis 2025 bestätigt. Er genießt eine große Gestaltungsfreiheit. „Die Richtlinien werden mit dem Aufsichtsrat abgestimmt“, erklärt er. „Ein guter Vorstand boxt nicht alles allein durch, sondern zusammen mit dem Aufsichtsrat und dem Votum der Mitglieder.“
Zugleich übernahm Jürgen Möller den Vorsitz der Stiftung, die zu Ehren von Helmut Schumann initiiert wurde und jährlich ein Volumen von 70.000 Euro ausschüttet – für Aktionen wie „Grundschule bunter stiften“ oder Ferien-Freizeiten für Kinder aus nicht so gutsituierten Familien. Aktiv ist der SBV-Chef auch im wohnungswirtschaftlichen Netzwerk. Er steht der Bezirks-Arbeitsgemeinschaft vor und arbeitet im Vorstand auf Landesebene mit. Der Austausch mit der Politik auf Bundes- und Landesebene soll als Grundlage für Gesetze dienen, die sich auf kommunaler Ebene auswirken. „Es werden immer größere Anforderungen an die Wohnungen beim Klimaschutz gestellt“, findet Jürgen Möller. „Aber man muss auch bedenken, dass Menschen die Mieten aufbringen müssen.“
Nach einer Unterbrechung hat er seine Sportader wiederentdeckt und vom einstigen Höchstgewicht 40 Kilogramm abtrainiert. Heute läuft er 30 Kilometer in der Woche – in Engelsby am Stadtrand oder im Weeser Wald. Im Winter zieht es den 56-Jährigen auch ins Fitness-Studio. Beim Fußballer-Stammtisch mit TSB- und DGF-Bekannten fragte jemand: „Wer hat Lust auf einen Golfkurs der Volkshochschule?“ Vier Hände gingen hoch, eine gehörte zu Jürgen Möller. „Es hat gefruchtet“, sagt er heute. „Golf ist ein toller Ausgleich an der frischen Luft.“
Alle zwei Wochen schätzt er die Gemeinschaft beim Lions-Club „Flensburger Schiffbrücke“. Er war schon Sekretär und Stellvertreter gewesen, als er seine Präsidentschaft unter das Motto „Klimaschutz in der Region“ stellte. Der Lions-Club unterstützt das Katharinenhospiz am Park oder Kinder, die in Not geraten sind.
Trotz der vielen Verpflichtungen bekam Jürgen Möller zuletzt von seiner Frau zu hören: „Das einzige Gute an Corona ist, dass du mehr zu Hause bist.“ Die beruflichen Reisen fielen zuletzt weg. Auch für den Vorstandsvorsitzenden verliefen die letzten Wochen und Monate etwas ruhiger. Man sagt: Er hat den „SBV im Blut“. Bis auf Technik und Außendienst hat Jürgen Möller in den letzten 38 Jahren alle Bereiche durchwandert. „Ich wollte die Bestätigung, dass immer noch etwas mehr geht“, sagt er zu seinem ständigen Antrieb. „Und ich möchte mitgestalten und mitentscheiden können.“
Text: Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, privat
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