Oft wird nur die eine Seite gesehen. Flensburg war einst neben Kopenhagen und Altona die wichtigste Hafenstadt im dänischen Königreich. Damit profitierte die Fördestadt auch von der Kolonie „Dänisch-Westindien“, die 1754 direkt der Krone untergeordnet wurde. Heute sind die drei Karibik-Inseln St. Thomas, St. John und St. Croix bekannt als amerikanische Jungferninseln (US Virgin Islands). In jener Zeit wurden Kaffee, Tee, Kakao, Gewürze oder Zucker über den Atlantik transportiert. Was heute normale Konsumgüter sind, waren damals sogenannte Kolonialwaren, die mit ihrer Exotik faszinierten, den Wohlstand in Flensburg förderten und den Aufstieg zur „Rumstadt“ initiierten. Ausgeblendet oder verklärt wurden und werden hingegen oftmals die Schattenseiten wie die Ausbeutung ferner Länder und vor allem die Sklaverei.

Wie sieht der richtige Umgang mit der Flensburger Kolonialzeit aus?
Die drei Inseln von „Dänisch-Westindien“

Was zeigt das Schifffahrtsmuseum?

Gut dokumentiert ist diese Flensburger Epoche im Schifffahrtsmuseum. Im hinteren Gebäude sind mehrere Räume der Dauerausstellung „Zucker, Rum, Versklavung“ gewidmet. An der Wand des Flures befindet sich eine Foto-Serie mit dem Titel „Das koloniale Erbe der US Virgin Islands“. Ein Durchgang weiter erklärt ein Schaubild den sogenannten Dreieckshandel. Zucker, Rum und Baumwolle gelangten von „Dänisch-Westindien“ nach Europa. Glasperlen, Gewehre und Rum gingen nach Westafrika, und von dort wurden unzählige Menschen in die Karibik verschleppt. Allein 110.000 landeten auf den drei dänischen Inseln und wurden auf Zuckerrohr-Plantagen als Sklaven eingesetzt. Ihre Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse waren erbärmlich. Zuvor hatte die Überfahrt in äußerst beengten Verhältnissen schon viele Opfer gefordert – durch Krankheiten, Schiffsunglücke oder Aufstände.

In der 2012 eingerichteten Ausstellung findet sich ein großes Modell einer Plantage, in einem anderen Raum dehnt sich ein großes Regal mit der Vielfalt der Flensburger Rumsorten aus. In einer Ecke steht etwas versteckt eine Vitrine mit dem „Spirit“ der Westindischen Inseln und auch rassistisch anmutende Werbung der Nachkriegszeit. Die Wände sind überwiegend mit Gemälden verziert: Schiffe, Seeleute und Kaufmänner sind abgebildet. Etwas zu viele, denkt sich das kritische Auge.

Wie sieht der richtige Umgang mit der Flensburger Kolonialzeit aus?

In der Tat ist es so, dass sich um die Kolonialzeit eine fortlaufende Debatte dreht. Gerade in der letzten Dekade kam der Diskurs zu etwas anderen Schlussfolgerungen, die wiederum museale Konsequenzen hat. „Heute würden wir eine andere Gewichtung der einzelnen Bausteine vornehmen“, erklärt Museumsleiterin Susanne Grigull. „Wir würden den Anteil der Kaufmannschaft etwas reduzieren zugunsten der Perspektive der Versklavten.“ Auch den Aspekt der „kolonialen Nostalgie und Amnesie“ würde sie gerne mehr herausstellen. Eine komplette Neugestaltung soll ab 2027 erfolgen, wenn die Fördermittelbindung der vorhandenen Dauerausstellung ausgelaufen ist. Bis dahin sind kleinere Anpassungen möglich.

Was vermittelt der postkoloniale Rundgang?

Alle paar Wochen startet vor dem Schifffahrtsmuseum eine Exkursion. Sie wird vom „Netzwerk Flensburg Postkolonial“ organisiert. In dieser Gruppe fanden sich Menschen zusammen, die sich für eine öffentliche Arbeit an postkolonialen Themen einsetzen. Während des Rundgangs am Hafen und in der Norderstraße wird schnell deutlich, dass es längst nicht nur um eine Bewertung der Kolonialzeit des 18. und 19. Jahrhunderts geht, sondern welche Konsequenzen, Wirtschaftsstrukturen und Denkweisen bis heute erhalten geblieben sind.

Wie sieht der richtige Umgang mit der Flensburger Kolonialzeit aus?
Exkursion – ein ehemaliger Kolonialwarenladen in der Norderstraße

So geht es an diesem frühen Abend nicht nur an einem ehemaligen Kolonialwarengeschäft vorbei, das Carsten Christian Petersen 1883 gegründet hat. Und auch nicht nur in einen schnuckligen Innenhof, den der Reichtum der Kaufleute und Handwerker geformt hat. Vielmehr skizziert die Exkursionsleitung anhand von Beispielen, wie eine imperialistische Lebensweise bis heute einen fairen Welthandel verhindert und Auswüchse wie den Müll-Export in die Dritte Welt oder die ungleiche Belastung mit den Konsequenzen des Klimawandels hervorbringt. Und am Nordertor fällt der Blick auf ein Gebäude, in dem einst ein Flensburger Rum-Produzent residierte. Dieses Unternehmen, so bekommt man zu hören, verwendete noch in den 1960er Jahren ein „schwarzes Männchen“ als Werbe-Figur und ließ einen Jamaikaner – grotesk verkleidet – Rum-Kostproben ausschenken.

Wie sieht der richtige Umgang mit der Flensburger Kolonialzeit aus?
Einstige Flensburger Rum-Vielfalt

Was macht die Stadt?

Das „Netzwerk Flensburg Postkolonial“ hatte 2019 dem Stadtpräsidenten eine Petition übergeben. Zunächst tat sich nichts. Seit Februar dieses Jahres läuft aber ein interfraktioneller Dialog zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus. Unter der Obhut des städtischen Kulturausschusses, begleitet von den Flensburger Museen, dem Kulturbüro, der Tourismus-Agentur „TAFF“ sowie der Europa-Universität. In einer von allen vier großen Ratsfraktionen getragenen Erklärung ist von einer „zeitgemäßen Grundlage für dieses dunkle Kapitel der Stadtgeschichte“ die Rede. „Dabei müssen die Geschichte, die Perspektiven und der Widerstand der versklavten Menschen in der Karibik im 18. und 19. Jahrhundert sowie die Perspektive ihrer Nachkommen heute gewürdigt und in die Aufarbeitung einbezogen werden.“

Wie sieht der richtige Umgang mit der Flensburger Kolonialzeit aus?
Schifffahrten über den halben Globus

Mehrere konkrete Vorschläge tauchen in diesem Papier auf. Unter anderem wird eine Städtepartnerschaft mit Charlotte Amalie auf St. Thomas angestrebt – wenn denn eine Kooperation in der Karibik auf Gegenliebe stößt. Am Westufer soll ein Erinnerungsort eingerichtet werden. Dabei kann es sich um eine Wand aus Ziegelsteinen, die in der Kolonialzeit massenweise von Flensburg in die Karibik verschifft wurden, oder um eine Skulptur handeln. Ferner sollen die neuen Erkenntnisse Eingang in die Stadtführungen finden. Und auch das Schifffahrtsmuseum steht auf der Agenda – mit der erwähnten kritischen Überarbeitung der Dauerausstellung „Zucker, Rum, Versklavung“.

Text und Fotos: Jan Kirschner   

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