Zunächst war es ein tüchtiger Sturm aus Südwest, dann drehte sich die Wetterlage und ein hässlicher Orkan drückte einen „Wellenberg aus Finnland“ vor sich her. In der Nacht vom 12. auf den 13. November 1872 erfasste eine fürchterliche Sturmflut die Ostseeküste zwischen Dänemark und Pommern. In Flensburg flutete das kühle Nass das Hafengebiet. Es stand exakt bis zu 3,37 Meter über dem mittleren Wasserstand, ein Schild am Kompagnietor erinnert an den historischen Pegel. Die Fördestadt kam vergleichsweise glimpflich davon: Ein Mann ertrank, die materiellen Schäden waren überschaubar. Die Gesamtbilanz der Naturkatastrophe: 271 Tote, tausende zerstörte Häuser und ein großer Verlust im Viehbestand der Landwirtschaft.
Der 150. Jahrestag dieses extremen Wetterereignisses ist der Ansatz für eine Sonderausstellung im Flensburg Schifffahrtsmuseum. „Land unter“ kann noch bis Ende August besichtigt werden. Vor gut zwei Jahren hatte eine Hamburger Agentur („gwf-ausstellungen“) auf das Datum hingewiesen. Auf ein erstes Brain-Storming folgten Konzeption und Finanzierung. „Schnell waren sich alle einig, dass diese Ausstellung nicht nur rückwärtsgewandt sein sollte“, erklärt Museumsleiterin Susanne Grigull. „Das Thema ist ein passender Anlass, sich mit dem Klimawandel oder dem Meeresspiegelanstieg zu befassen und dabei den lokalen Bezug herzustellen.“ Für das interdisziplinäre Feedback waren das Naturwissenschaftliche Museum und „Geomar“, das Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, eingebunden. Das gemeinsame Konzept strahlte offensichtlich über die Region hinaus: Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, übernahm die Schirmherrschaft.
Zur Eröffnung im November erschien unter anderem Arved Fuchs, der bekannte Polar-Forscher, Abenteurer und Förderer des Schifffahrtsmuseums. Er sprach von einem „beklemmenden Ausblick in die Zukunft“. Während sich vor 150 Jahren nach Beseitigung der Schäden der Wasserpegel wieder auf normalem Niveau nivelliert habe, lasse ein Blick nach vorne „diese Normalität“ nicht zu. Der Klimawandel ist ein Dauerzustand.
Die Initiatoren wollen mit „Land unter“ informieren, veranschaulichen und wachrütteln. Und zugleich versuchen sie, den eigenen „musealen Fußabdruck“ kleinzuhalten. Sockel und Ausstellungsarchitektur bestehen nicht etwa aus irgendeinem Kunststoff, sondern formieren sich aus unzähligen Mare-Zeitschriften, die am letzten Tag mitgenommen werden können – gegen eine Spende.
Die Sonderausstellung findet sich im oberen Stockwerk des Stammgebäudes und dehnt sich auf 220 Quadratmeter aus. Der Betrachter bewegt sich zwischen gestern und heute. Ein historischer Teil erzählt über die Katastrophe von 1872. Nebenan informieren mehrere Flensburger Klima-Initiativen über ihre Arbeit. Eine kleine Multimedia-Show zeigt, welche Auswirkungen ein steigender – oder auch fallender – Meeresspiegel auf die Uferlinie der Flensburger Förde hätte. Grundsätzliche Fragen stehen im Raum: Was ist Klima? Was ist Wetter? Und letztendlich: Wie kann der eigene Beitrag zum Klimaschutz aussehen?
Einzelne Aktionen flankieren die Ausstellung. So werden am 10. März aus Recycling-Material Ostergeschenke gebastelt, am 15. März liest die Autorin Ulrike Hermann aus ihrem Werk „Das Ende des Kapitalismus“, und am 18. März wird zu einem Klima-Café geladen. Ein Stadtrundgang greift am 19. März Stichwörter wie „Klimawandel“, „knappe Ressourcen“ und „soziale Ungerechtigkeit“ auf. Am 25. März geht ein Workshop der Frage nach, wie im Alltag Wälder geschützt werden können. Etliche weitere Veranstaltungen folgen.
Im Sommer wird das Schifffahrtsmuseum ein Jubiläum feiern. Der Förderverein gründete sich 1973. „Es ist bemerkenswert, dass dieses Museum aus der Bevölkerung hervorgegangen ist“, betont Susanne Grigull. Dieser „Bürger-Wille“ mündete 1984 – als Flensburg seinen 700. Geburtstag beging – in den Bezug des Stammgebäudes. Und noch immer prägt das Ehrenamt das Schifffahrtsmuseum. 25 Personen engagieren sich als Maschinisten oder kümmern sich um Foto-Archiv, Inventarisierung und Bibliothek.
Auch Susanne Grigull, eigentlich Kunsthistorikern, startete einst auf der ehrenamtlichen Schiene im Schifffahrtsmuseum. Dem Hobby folgte ein erster Werkauftrag. Dann wurde sie Teilzeitkraft und schließlich 2017 Leiterin. Da war die neue Struktur des „historischen Hauses“ bereits eine halbe Dekade alt. Nach einem umfangreichen Umbau erstreckt es sich nun auf vier Gebäude. Neue Schwerpunkte wurden gesetzt, 35.000 Besucher innerhalb eines Jahres begrüßt. Seit 2017 ist das Flensburger Schifffahrtsmuseum von der Museumsberatung Schleswig-Holstein zertifiziert und als „Kulturgut bewahrende Einrichtung“ anerkannt.
Der Bereich „Zucker, Rum und Sklaverei“ bietet Einblicke in die Kolonialgeschichte. Daraus entstand eine Kooperation mit dem „Bündnis Eine Welt“, dem landesweiten Dachverband für Vereine und Initiativen, die sich entwicklungspolitisch engagieren. Seit Herbst ist Inke Kühl als „Promotorin“ im Schifffahrtsmuseum tätig und soll Themen wie interkulturelle Verständigung, Menschenrechte, fairer Handel und internationale Entwicklungszusammenarbeit stärker in die Öffentlichkeit tragen. Derzeit plant sie zusammen mit den Kolleginnen vom Schifffahrtsmuseum für den 21. Mai einen Klima-Aktionstag – passend zur Ausstellung „Land unter“.
Das Flensburger Schifffahrtmuseum kann dienstags bis sonntags zwischen 10 und 17 Uhr besichtigt werden.
Text und Fotos: Jan Kirschner