Wo kann man schon auf einem goldenen Sofa sitzen, wenn man auf einen Gesprächstermin wartet? Noch dazu umringt von einer goldenen Flamingo-Statue und den Konterfeis einer Schönheit und eines Papageien. Im Optiker-Geschäft von Jens Drews ist so etwas ohne Weiteres möglich. Im unmittelbaren Blickfeld stehen so viele spannende und exotische Exponate, dass das Warten nicht langweilig werden kann. Selbst das tosende Bohren des Handwerkers auf der neuen Terrasse wächst nicht zu einer störenden Geräuschkulisse an.
Man kann es nicht anders sagen: Der Inhaber ist passend gekleidet. Er trägt ein Hemd im Urwald-Look. Die Tiger gehen nahtlos über zu den tätowierten Oberarmen. Eine Groß- oder zumindest eine Hauskatze fehlt allerdings im Ambiente. Aber es gibt einen kleinen Hund:
Wenn die Eingangstür aufgeht und die Kundschaft eintritt, zuckt Mops „Molly“ bisweilen erfreut hoch, während ihr „Herrchen“ für seine Besucher auch mal eine Schallplatte mit fast schon vergessenen Klassikern auflegt. Zum Gespräch geht es in die Werkstatt. Die Wände strotzen nur so vor Vielfalt des menschlichen Treibens. Neben einem Schaubild, das die Anatomie des Auges erklärt, leuchten Plakate: „Planet House“ in der Holmpassage, „Swing & Jazz“ im Deutschen Haus. Der Schalter für eine spannende Zeitreise durch die letzten Dekaden kann gedrückt werden.
Auf dem Land groß geworden
Jens Drews wurde 1962 geboren – in Hamburg, kurz nach der großen Sturmflut. Wenn sein Leben eine Überschrift braucht, wäre es wohl diese: „Einmal Küste, immer Küste“. Die Elbmetropole bezeichnet er immer noch als „Perle“, obwohl er schon als Kleinkind in den ganz hohen Norden kam. Sein Vater war zunächst beim Marinefliegergeschwader in Tarp stationiert. Jarplund und später Weseby bei Hürup waren die Wohnorte der Familie. Jens Drews, der zwei jüngere Brüder hat, erinnert sich noch gut an die Reinigungsfirma seiner Eltern in Mürwik, die dann aber aufgegeben wurde, als die Ölkrise in den 70er Jahren die Energiepreise explodieren ließ.
Kindheit und Jugend hatten überwiegend ein ländliches Gepräge – mit der Dorfschule in Hürup. „Da hat ein Schüler zur Pause noch die Glocke bedient“, erinnert sich Jens Drews mit einem Schmunzeln. Er gehörte – nach einem Übergangsjahr in Husby – zu den Pionieren der neuen KGS Adelby, lief auf der Realschulschiene, ging aber vor dem Abschluss ab. „Ich habe lieber Fußball gespielt“, setzt der heute 59-jährige ein spitzbübisches Lächeln auf. „Sport war überhaupt alles für mich.“ Er zählt Landesmeisterschaften im Tischtennis oder im Faustball auf. Er kickte mit anderen Jungs auf dem örtlichen Bolzplatz und spielte Handball beim TSV Jarplund-Weding oder beim TSV Hürup.
Jens Drews überlegte, an der Abendschule die „mittlere Reife“ nachzuholen. Aber sein Vater hatte andere Vorstellungen, propagierte die klassische Lehre. Technischer Zeichner wäre vielleicht etwas für mich, dachte sich der Filius und entschied sich für den Schiffsbau. Im Winter 1978/79 begann seine Ausbildung – und kurz darauf zog er zu Hause aus. Er hatte sich auf der Flensburger Werft mit einem Studenten angefreundet, dessen Oma ein freies Dachgeschosszimmer hatte. Jens Drews genoss die neuen Freiheiten, mehr interessierten ihn aber die damaligen Streiks und Demos. Mehrfach marschierten die Arbeiter von der Werft durch die Fußgängerzone zum Südermarkt. Der Lehrling wurde Jugendsprecher im Betriebsrat und Mitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund DGB. Der Höhepunkt sicherlich ein großes Treffen auf Föhr – mit einem bunten Musik-Programm. Jens Drews gehörte einer Irish-Folk-Band an.
Das Hobby zum Beruf gemacht
Die Musik war und ist eine seiner Leidenschaften. Seine erste Schallplatte hieß „Strong Up“ von der Glam-Rock-Formation „Sweet“. Den Ursprung seiner Sammlung wird Jens Drews nie vergessen: „Als ich mit einem Schlüsselbeinbruch im Bett lag, schenkte mir meine Mutter diese Platte.“ Der Teenager besuchte Konzerte von Supertramp oder Barclay James Harvest. Mit Freunden musizierte er auf selbstgebastelten Musikinstrumenten, bis eine E-Gitarre in seinen Besitz wanderte. Spontan wurde ein Radio in einen Verstärker umfunktioniert. „Zum Proben musste ich in den Wald“, grinst er. Mit der Leidenschaft erwachte eine neue Idee: Disc-Jockey. Nach seiner Zeit bei der Bundeswehr kehrte Jens Drews nicht zurück zur Werft. „Das war eine Knochenarbeit“, weiß er zu berichten. „Schweißen und Brennen bei minus vier Grad und in nasser Kleidung – das wollte ich nicht auf Dauer machen.“
Schon während der Ausbildung hatte Jens Drews angefangen zu tanzen. Auch dem neuen Trend zum Breakdance verschloss er sich keineswegs. Für das „Tanzstudio Neben“ durfte der Musik-Liebhaber schließlich auch Platten auflegen. Ab und an, noch nicht regelmäßig. Im Juli 1984 sollte Flensburgs erste große Diskothek, das „Crypton“, an der Schiffbrücke starten. Gesucht: Disc-Jockeys! „Ich habe schon eine anderthalbjährige Erfahrung“, übertrieb Jens Drews. Aber er hatte den Job. Gut erinnert er sich an einen Sommerabend im Juli, dem Tag der Eröffnung: „Die Schlange war 200 Meter lang, alle waren neugierig und wollten rein.“ Für den DJ waren Mischpult und Lichtanlage aber noch Neuland. Er erwischte aus Versehen den Hauptschalter – mit einem Male wurde es dunkel!
Mit einem sofortigen Rauswurf war dieses Missgeschick nicht verbunden. „DJ Chixxx“ etablierte sich mit Soul, Funk und New Wave und wurde sogar festangestellt im „Crypton“. So musste er auch Kompromisse eingehen. „Modern Talking“ beispielsweise. „Die konnte ich nicht ausstehen, aber ich musste sie immer spielen“, plaudert Jens Drews aus dem Nähkästchen. „Immerhin durfte ich für ein paar Minuten meinen Arbeitsplatz verlassen und auf den Flur gehen zum Rauchen.“ Auch in anderen Clubs trat er in Erscheinung. Im legendären „Roxy“ dominierte der Rock, die längste Pause garantierte die Ost-Formation „City“ mit „Am Fenster“. Im „Grogkeller“ konnte diese Musikrichtung nicht gezogen werden. „Aber es war so voll und eng, dass es vorkam, dass ich noch nicht wieder von der Toilette zurück war, wenn ein Lied zu Ende war“, verrät Jens Drews. Es half schließlich eine mit Alsterwasser trainierte „DJ-Blase“.
In Spitzenzeiten war er vier Nächte die Woche im Einsatz. Das Wochenende stand komplett unter dem Diktat des Berufs, die sozialen Kontakte wurden vernachlässigt. „Das kann nicht alles sein“, sagte er sich und versuchte es mit einem neuen Geschäftszweig: Boutiquen.
Karrierebeginn im Einzelhandel
Den Auftakt ermöglichte eine Filiale von „New Yorker“, dann folgten weitere in Flensburg ansässige Betriebe aus dem Textilsektor, ehe Jens Drews in Hamburg landete.
In der Hansestadt ergab sich plötzlich eine neue Chance: Mit einem Partner machte der Flensburger einen Club auf. Eine Bar mit Musik von Heavy Metal bis Schlager. Die GmbH mit 30 Mitarbeitern entfachte allerdings viel Arbeit. „Ich schloss den Betrieb morgens auf und spät in der Nacht ab“, erinnert er sich. Bald stellte er fest: „Das ist nicht meine Welt.“ Personal, das harte Drogen nahm, und vorbestrafte Kiez-Größen unter den Gästen gehörten zum Alltag. Nach anderthalb Jahren erfolgte die nahezu fluchtartige Rückkehr nach Flensburg. Dort unterstützte Jens Drews seinen Bruder, der damals das „House“ an der Schiffbrücke führte.
Hamburg und Flensburg – zwei berufliche Eckpfeiler
Hamburg, die „Perle“, lockte erneut. Im Modecentrum Schnelsen, einem der größten Umschlagplätze Europas für Kleidung, stieß das Nordlicht auf ein Unternehmen, das die Lizenz-Rechte für die italienische Sportmarke „Kappa“ besaß. Es vollzog ein enormes Wachstum. Hamburg war wieder Lebensmittelpunkt. Immer wieder war München das Ziel für Geschäftsreisen. Und dann rückte eine Fabrik in Brandenburg, kurz vor den Toren Berlins, ins Blickfeld.
Dem Außendienst galt die volle Aufmerksamkeit. „Ich hatte vier Kunden in Flensburg und fuhr stets zum Surf-World-Cup nach Sylt zum Zuschauen“, erzählt Jens Drews. Entspannt war der Job allerdings selten, sondern sehr arbeitsreich. Er stieg zum Vertriebsleiter auf, polierte seine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse mit Büchern und Unterlagen auf. Er war verdammt viel unterwegs. Es war kurz vor einem Weihnachten der 90er Jahre, als er schnell noch nach München und Berlin musste, ehe ein entspanntes Fest bei der Familie seiner damaligen Frau in Süderlügum geplant war. „Als dann an den Feiertagen ein Fax von der Firma kam“, erzählt Jens Drews immer noch mit einem Ton der Verwunderung, „habe ich fristlos gekündigt.“ Schließlich gab es neben dem Beruf andere Prioritäten. So war 1994 ein Sohn geboren worden.
Mit seiner kleinen Familie lebte Jens Drews nun wieder im beschaulichen Flensburg. Der Außendienst und ein Arbeitgeber in Hamburg blieben aber zunächst konstante Eckwerte. Da die Termine bei den Boutiquen gewöhnlich abends waren, waren Übernachtungen bei einem Freund in Pinneberg häufig. Jens Drews fühlte sich „ausgebrannt“, als ihm eher zufällig ein Kunde den Draht zu einem Herrenausstatter in Flensburg spann. Der Posten als stellvertretender Geschäftsführer war dort frei.
Vielfältiges Engagement in und für Flensburg
Allerdings verlief das Job-Comeback in der Fördestadt nicht reibungslos, hatte dafür zumindest weichenstellenden Charakter für den weiteren Lebensweg. Aus rein privatem Interesse musste Jens Drews zum Optiker, kam dabei mit Geschäftsinhaber Andreas Hallmann derart ins Gespräch, das sich dieses zu einer Offerte wandelte. „Ich hatte eigentlich gar keine Ahnung von Brillen“, verrät Jens Drews. „Ich machte dann eine zweijährige Ausbildung, da ich mich ohnehin umschulen lassen wollte.“ Mit Ende 30 startete er in einen neuen Beruf, war dann daran beteiligt, seinen Arbeitgeber aus einem Franchise-System herauszuführen und ein Filialnetz aufzubauen. Das Marketing war eine Hauptaufgabe.
Auch mit etlichen unvergessenen Events machte sich Jens Drews einen Namen. Nur ein Beispiel: die lateinamerikanische Nacht „La Bomba“ in der „Alten Post“. Es waren wohl 2500 Party-Gänger gekommen, obwohl nur 2000 zugelassen waren. „Das brachte uns eine Menge Stress ein“, erinnert sich der Organisator. „Ein Türsteher hatte zusätzlich verdient, indem er immer mehr Leute hereingelassen hatte.“ Später ärgerte er sich häufig, da „immer mehr kontrolliert wurde“. Das Fazit: „Flensburg wollte solche Veranstaltungen nicht.“
Nicht nur schnacken, auch engagieren – so dachte Jens Drews, als er 2005 mit wenigen Mitstreitern die „IG Die Große“ aus der Taufe hob. Zu einer Zeit, als die Neugestaltung der Fußgängerzone ganz oben auf der Agenda stand, wurde er zum Vorsitzenden und plädierte für einen Schulterschluss der Kaufleute und Selbstständigen zwischen Norderstraße und Roter Straße. Inzwischen hat sich die „Flensburger Gilde“ gebildet, die mit ihrem Netzwerk Angebote für ihre 64 Mitglieder kreiert, aber auch als Sprachrohr auftritt. Zuletzt waren die immer am Samstag die Innenstadt flutenden Corona-Demonstrationen ein Anlass für einen Appell an die Öffentlichkeit. Karitativ unterstützt die „Flensburger Gilde“ die Weihnachtsaktion „Kinderaugen zum Leuchten bringen“.
Optiker Drews
Auch beruflich änderte sich 2005 vieles: Jens Drews eröffnete in der Großen Straße sein eigenes Optiker-Geschäft. Zunächst mit einem Partner, dann allein. Hündin „Molly“ wurde bald zum Maskottchen. Unter dem Label „Flensburg Eyewear“ entstanden eigene Modelle. „Innovative und noble Brillenmarken werden bei Schallplatten-Musik, diversen Kaffee-Spezialitäten und auch mal einem Prosecco nicht verkauft, sondern mit Freude gekauft“, betont der Optiker, der gerne Sommerfeste oder andere Feiern in seinem Laden veranstaltet.
2016 tauchte sein Namen häufig in der Presse auf: Er hatte sich als Kandidat für die Oberbürgermeister-Wahl beworben. „Als liberal denkender Mensch hatte es mir nicht gefallen, dass sich SPD, CDU und Grüne auf eine gemeinsame Kandidatin geeinigt hatten“, erklärt Jens Drews. „Ich war mir sicher, eine klarere Verknüpfung von Wirtschaft und Politik in dieser Stadt herbeiführen zu können.“ Für den Wahlkampf nahm er rund 20.000 Euro in die Hand und erreichte 8,3 Prozent der Stimmen.
Aktuelles
Lange plante Jens Drews zusammen mit Ingolf Max Libuschewski an einem größeren Projekt: dem internationalen Kultur- und Kunstkilometer, der am 7. und 8. Mai in Flensburg stattfinden sollte. Diese Veranstaltung wurde jetzt verschoben auf den 6. und 7. Mai 2023! Der Slogan: „Flensburg malt Musik“. Der Stadt Flensburg, dem dänischen Umland und dem Norden Schleswig-Holsteins kann, glaubt Jens Drews, so „eine hohe nationale und internationale Aufmerksamkeit“ verschafft werden. Der Organisator führt derzeit viele Gespräche – auch in seinem Optiker-Geschäft. Die eintreffenden Gäste registriert dann auch „Molly“ – so gut, wie sie es noch kann.
Text: Jan Kirschner
Fotos: Jan Kirschner, privat