Die Flensburger Hofkultur findet in diesem Sommer zum 30. Mal statt. Was 1995 ganz klein und mit viel Improvisation begann, hat sich längst zu einem beliebten und gut besuchten Kulturfestival entwickelt. Im vergangenen Sommer besuchten erstmals über 5000 Menschen die Veranstaltungen der Hofkultur. Wir blicken zurück auf die Entwicklung dieser besonderen Veranstaltungsreihe.
Mitte der Neunzigerjahre ruhte in Flensburg im Sommer das Kulturleben nahezu komplett. Alles war geschlossen, nichts fand statt. Im Schulverwaltungs- und Kulturamt der Stadt Flensburg war seit einigen Jahren ein junger Mann namens Thomas Frahm tätig. Er hatte zuvor maßgeblich an der Etablierung des Volksbads als soziokulturelles Zentrum mitgewirkt. Im Rathaus war er für die Förderung und Unterstützung der sogenannten freien Kulturszene zuständig.
Aus der Ratsversammlung erging die Bitte: „Mach doch mal eine sommerliche Kulturreihe!“ Kleiner Zusatz: „Es darf aber nichts kosten.“ Was tun? Zufällig hatte der Förderverein Flensburg Regionalmarketing, in dem damals Thomas Liebelt einer der maßgeblichen Aktiven war, eine ähnliche Idee – und wollte diese auch finanziell mit anschieben. Thomas Frahm war zudem nicht entgangen, dass im Roten Hof an der Roten Straße eine kleine, kulturelle Pflanze zu sprießen begonnen hatte. Horst Dietrich, Gründer und Leiter der Fabrik in Hamburg-Altona, wollte hier im frisch sanierten Gasthaus Roter Hof einen kleinen Ableger etablieren. Schnell fand man zusammen und beschloss, vor allem im Roten Hof, aber auch in einigen anderen Höfen ein kleines sommerliches Festival auf den Weg zu bringen. Das war die Geburt der Flensburger Hofkultur. Am Anfang war der Rote Hof noch der Veranstalter.
Das änderte sich bald, nämlich schon im nächsten Jahr. Ab 1996 war der Verein Flensburger Hofkultur e.V. Veranstalter des Festivals, die Organisation und die Durchführung geschah jedoch aus dem Kulturbüro heraus, vor allem durch Thomas Frahm. Er wurde unterstützt von Mitarbeitern des Kulturbüros und von Praktikanten, meistens Frauen. Eine davon war die junge englische Studentin Vicky aus Leeds in England, die schon bald zu einer ehrenamtlichen Helferin wurde. Seit zehn Jahren ist sie die erste Vorsitzende des Vereins.
Doch was war die Idee der Flensburger Hofkultur? Für Thomas Frahm war klar, dass Flensburg zwei Besonderheiten hat. Zum einen den Hafen, der in der Mitte der Stadt liegt. Zum anderen jedoch die ganz besondere Stadtstruktur mit den Höfen von der zentralen Achse Rote Straße, Holm, Große Straße und Norderstraße hinunter zum Hafen beziehungsweise hinauf zum westlichen Fördehang. In diesen Höfen wollte Frahm Kultur stattfinden lassen. Hier sollten Konzerte, Lesungen, Kurzfilme und Kabarett-Vorstellungen stattfinden. Diese Idee hat bis in die Gegenwart getragen und die Flensburger Hofkultur zu einer überaus erfolgreichen und etablierten Veranstaltungsreihe gemacht.
Schlecht sitzen, gut hören: So etwa lautete das Motto des neuen Höfe-Festivals. Das Publikum nahm auf Holzbänken und Klappstühlen Platz, die oft schief in den Kopfstein-gepflasterten Höfen aufgestellt wurden. Manche Besucher blieben einfach stehen und versuchten, einen möglichst freien Blick auf die oft kleinen Bühnen zu erhaschen. Die Kombination aus der historischen, kleinteiligen Architektur und der oft weltläufigen Kultur stellte sich sehr bald schon als einzigartiges Erfolgsrezept heraus. Dazu kamen immer das abendliche Geschrei der Möwen, die Kunstflüge der Schwalben und Mauersegler über den Höfen, je nach Standort auch das Läuten der Glocken oder das Scheppern der Bierkästen im Nachbarhof, wo eine Gaststätte residierte.
Und da die Höfe nun einmal nicht überdacht sind, spielte stets das Wetter eine entscheidende Rolle. Lange vor Internet und Wetter-Apps musste Thomas Frahm sich aus anderen Quellen über das Wetter der jeweils nächsten Tage informieren. Das Ziel war dabei stets, am Mittag des Vortages zu entscheiden, ob die Veranstaltung draußen stattfinden könnte oder nicht. Für jeden einzelnen Hof gab es ein Ausweichquartier, das im Falle vorausgesagten Regens aktiviert wurde. Im Schnitt, so schätzt Frahm, war dies zwei- bis dreimal pro Spielzeit der Fall. Im Jahr 2023, das erste Jahr des neuen Geschäftsführers Gunnar Astrup, war das Wetter so gut, dass keine einzige Veranstaltung nach drinnen verlegt werden musste. Das ist jedoch die Ausnahme.
Und was kann man bei der Hofkultur hören und sehen? Die ganz überwiegende Mehrzahl der Veranstaltungen sind heute Konzerte mit dem Schwerpunkt auf akustische Musik der Genres Folk, Jazz, Latin, Klezmer, Singer/Songwriter und Weltmusik. Rockmusik ist bisher die Ausnahme. Immer wieder sind auch so genannte „local heroes“ dabei. Im letzten Jahr feierte die Jazzcoast Bigband einen riesigen Erfolg im Hof des Schifffahrtsmuseums, ebenso wie im Jahr davor die Flensburger Band „Spirit of Santana“.
Deren Perkussionist Ralph Schmedeke hält einen einsamen Rekord. Mehr als ein Dutzend mal war er in verschiedenen Ensembles bei der Hofkultur vertreten. Auch der Gitarrist Ulf Meyer war häufiger Gast der Hofkultur. Er spielt zusammen mit seinem Partner Lars Hansen am Bass bei der Präsentation des nagelneuen Buches „Die Altstadt als Bühne – 30 Jahre Flensburger Hofkultur“ am 8. Mai im Bürgersaal des Rathauses.
Herausgegeben von der Gesellschaft für Flensburger Stadtgeschichte, hat der Journalist Joachim Pohl zusammen mit anderen Autoren die Geschichte der Flensburger Hofkultur von verschiedenen Seiten beleuchtet und akribisch aufgeschrieben. In dem 120-seitigen Werk finden sich nicht zuletzt sämtliche Konzerte und Veranstaltungen, mit Hof, Datum und Genre.
Zu den Highlights der Flensburger Hofkultur gehören die Auftritte der in Bayern beheimateten Gruppe Quadro Nuevo, die zu den prominentesten Vertretern filigraner und hochvirtuoser Weltmusik gehören. Quadro Nuevo waren allein dreimal zu Gast bei der Flensburger Hofkultur, zuletzt 2021. Prominenter Gast bei der Hofkultur in diesem Jahr ist die Band „Keimzeit“, die bundesweit eine große Fangemeinde hat.
Seit vielen Jahren schon beginnt die Hofkultur stets mit zwei Konzerten im Hof des Schifffahrtsmuseums, der der am meisten bespielte Hof des Sommerfestivals ist. In diesem Jahr allerdings startet das Festival aus Termingründen mit zwei Konzerten im Hof des Alten Güterbahnhofs. Auch der Hof der Phänomenta, der Pastoratshof von Sankt Nikolai und der Hof der Dänischen Zentralbibliothek sind immer wieder bei der Hofkultur vertreten.
Doch immer wieder kommen auch neue, oft noch unbekannte Höfe dazu. So findet in diesem Jahr ein Konzert im Hof von Möbel Reimann an der Norderstraße statt. Vor zwei Jahren war zum ersten Mal der Hof von Tonart in der Schlossstraße dabei. Und vielleicht gibt es schon im nächsten Jahr ein Wiederhören und -sehen im Brasseriehof an der Großen Straße.
Gab es 1995 im ersten Jahr nur eine gute Handvoll Veranstaltungen, war nach wenigen Jahren das Dutzend voll. Nur wenig später pendelte man sich auf 15 Veranstaltungen pro Spielzeit ein. Im vergangenen Jahr waren es sogar 19, darunter auch der Kurzfilm-Abend in Zusammenarbeit mit den Flensburger Kurzfilmtagen.
Bis zur Corona-Pandemie war die Kinderhofkultur ein Bestandteil des Gesamtprogramms. Sie fand während, aber manchmal auch erst nach den eigentlichen Festivaltagen statt. Organisiert wurde sie vom Kinder- und Jugendbüro der Stadt, meistens fand sie im Marienkirchhof statt. Geboten wurde meist eine Mischung aus Theater, Clownerie, Musik, Artistik und Mitmach-Angeboten.
In den ersten Jahren gehörten häufiger experimentelle Projekte zum Programm der Hofkultur. Beispiele hierfür waren das Akustik-Projekt „Tonspuren“ von Stefanie Zich (heute Stefanie Oeding), die innovativen Stücke der Theaterwerkstatt Pilkentafel und Open-Air-Filmvorführungen mit Stummfilmen, die von Live-Musik begleitet wurden. Das experimentelle Element gipfelte 1997 in einem groß angelegten, mehrtägigen, Genre-übergreifenden Kulturprojekt in der früheren Roten Laterne an der Schiffbrücke. Die heute kaum noch vorstellbare Veranstaltung lockte die Besucher in den Hinterhof des einst verruchten Nachtlokals, das aber schon Mitte der 90er Jahre leer stand und dessen Verfall kaum noch aufzuhalten schien. Hier hatten sich auf Einladung von Uwe Kutzner, dem Gründer und damaligen Eigentümer der Museumswerft, einige junge Künstler eingenistet, angeführt von dem jungen Bildhauer Johannes Caspersen.
Und 2021 stand die Hofkultur tatsächlich kurz vor dem Aus. Zur Corona-Pandemie kamen der Ruhestand von Thomas Frahm und Personal-Engpässe im Kulturbüro, nachdem deren Leiter Torge Korff ins Gesundheitsamt versetzt worden war. Das Kulturbüro sah sich nicht mehr in der Lage, die Hofkultur zu organisieren und legte sie in die Hände des Vereins. So wurde 2021 ehrenamtlich eine Kurzausgabe organisiert. Der Verein warb und kämpfte im Rathaus und in den Gremien um einen Zuschuss, damit eine halbe Stelle für eine Geschäftsführung geschaffen werden konnte. Dies gelang zum Jahreswechsel 2021/2022. Die Hofkultur war gerettet, Gunnar Astrup übernahm. Im Jahr 2023 erhielt die Hofkultur nach einem Kooperationsprojekt mit der Hochschule Flensburg ein völlig neues Design, das in allen Darstellungsformen Anwendung findet.