Das finden längst ein ganze Reihe Flensburger Bürger und Bürgerinnen sowie Bahnnutzer aus dem näheren Umland. Allein aus Gründen der Umweltschonung wäre es gut, wenn mehr Menschen ihr Auto stehenlassen und anstelle des fahrbaren Untersatzes auf 4 Rädern mit der Bahn reisen würden – insbesondere auf längeren Reisen durch die Republik. Einer der Betroffenen ist der einzige Bundestagsabgeordnete des Südschleswigschen Wählerverbands, des SSW, Stefan Seidler, der seit Beginn der aktuellen Legislaturperiode, seit 2021, regelmäßig zu den Sitzungsperioden des Bundestages und anderen Anlässen die (weite) Reise von seinem Wohnort in Flensburgs Innenstadt nach Berlin auf sich nimmt. Das FLJ unterhielt sich mit ihm, unter anderem darüber, wie er die Reisestrapazen gewöhnlich bewältigt.
„Flensburg hätte eine Anbindung an den Zugfernverkehr wahrlich verdient!“, findet auch Stefan Seidler, der beide Reisevarianten kennt, hat er doch in Streikzeiten bei der Bahn notgedrungen auf den PKW ausweichen müssen.
Gedanken zum Bahnhof Weiche
„Wenn Sie vor lauter Langeweile einmal nichts anderes zu tun haben“, appelliert Stefan Seidler an uns, „dann nehmen Sie sich doch die Zeit und setzen Sie sich in Weiche an die Gleise nach Dänemark und beobachten Züge. „Warum?“ – werden Sie vielleicht fragen. Ja, ich gebe zu, mein Vorschlag wirkt komisch, aber in Weiche können Sie eine Entwicklung mit eigenen Augen sehen, die sich seit vielen Jahren zunehmend verstärkt.“ Und er ergänzt:
„Die Schiene wird als Reisemittel immer attraktiver. Besonders der europäische Fernverkehr gewinnt und es gibt immer mehr Fernzüge auf dem sogenannten „Jütland-Korridor“, der Hamburg über Flensburg mit Dänemark verbindet. Das Absurde: Trotz zusätzlicher Züge gibt es immer weniger Verbindungen ab Flensburg. Woran das liegt, kann man in Weiche im wahrsten Worte sehen: Die Züge nehmen eine Abkürzung nach Dänemark und umgehen in den meisten Fällen den Flensburger Hauptbahnhof!
Lange hat man sich in Flensburg über diesen Zustand beschwert. Berechtigterweise, muss man sagen. Es ist ein zutiefst unbefriedigender Zustand, dass Fernzüge durch das Stadtgebiet Flensburgs verkehren, aber die hier beheimateten Menschen nichts davon haben. Nur verändert hat sich nichts. Im Gegenteil, zum Fahrplanwechsel im Dezember ziehen DB und DSB auch noch die letzten internationalen Fernzüge aus Flensburg ab. Sie werden ersetzt – Sie ahnen es – durch Züge, die zwar durch Flensburg fahren, aber nicht mehr hier Halt machen.“
Die Wirtschaftlichkeit
„Der Kern des Problems liegt in der Wirtschaftlichkeit verankert: Anders als der Regionalverkehr ist der Fernverkehr eigenwirtschaftlich organisiert. Das heißt im Klartext: Weder der Bund noch das Land geben vor, wo es Halte und Verbindungen gibt. Die Bahnunternehmen entscheiden erst einmal selbst, welche Verbindungen sie anbieten und wo sie halten. Das ist so seit der Bahnreform 1994, und es ist wichtig zu wissen, um zu verstehen, warum Flensburg immer mehr abgehängt wird. Entscheidend ist für die Betreiber, welche Fahrgastzahlen zu erwarten sind. Nicht nur bei einzelnen Halten, sondern mit Blick auf ganze Verbindungen. Und so kommt es, dass Bahnunternehmen abwägen: Den Ertrag eines Haltes durch Einnahmen auf der einen Seite mit den Kosten für den zusätzlichen Weg (ja, es gibt eine Schienenmaut für Bahnunternehmen) und der längeren Fahrzeit auf der anderen Seite.
Gerade zwischen großen Städten wie Hamburg und Kopenhagen oder Aarhus ist das Interesse der vielen Passagiere an einer schnellen Verbindung nicht selten ganz erheblich für die Bahnunternehmen. Ganz besonders kritisch wird es, wenn die großen Knotenpunkte so überlastet sind, dass Züge zu einem bestimmten Zeitpunkt am geplanten Ziel sein müssen. Dann geht es womöglich darum, dass der Zug möglichst schnell vorankommen muss. In so einem Fall kommt eine Abkürzung der Fahrstrecke sehr gelegen!
Flensburg ist dabei keineswegs ein Einzelfall. Ein weiteres Beispiel: Die schnellsten ICE-Züge etwa von München nach Berlin, die sogenannten Sprinter, umgehen auf ihrer Route die Großstadt Leipzig.
Viele in Flensburg wissen mittlerweile, dass die Schleife über den Hauptbahnhof etwa 7 Minuten zusätzliche Fahrzeit bedeutet. Das klingt nicht gerade nach viel. Nur täuscht das: Zwischen Ulm und Augsburg plant die Deutsche Bahn derzeit für über 2 Milliarden eine Neubaustrecke zu errichten. Das Ziel ebendort wird sein, die Fahrzeit um ca. 11 Minuten zu reduzieren. Deshalb ist die Flensburger Abkürzung so attraktiv.
Fazit: Der Halt am Flensburger Hauptbahnhof wird durch die Möglichkeit der Umfahrung aus Sicht der Bahnunternehmen betriebswirtschaftlich unattraktiv. Also entfällt er. An diesem Punkt kommt der Halt am alten Bahnhof in Weiche ins Spiel. Der Bahnhof liegt günstiger für den internationalen Verkehr, weil damit ein Halt in Flensburg ohne Umweg möglich wird.“
Eine Lösung muss her – Weiche wäre eine!
„Natürlich bin ich auch offen für alternative Lösungen zum Halt in Weiche“, ist Stefan Seidler für gute und machbare Alternativ-Vorschläge aufgeschlossen. „Es gibt derzeit aber keine, die ich kenne. Deshalb bin ich seit Langem ein Befürworter von Weiche. Außerdem ist es keinesfalls so, dass es für Weiche keine Argumente gibt. Eine Studie der Stadt und unserer dänischen Nachbarn hat gezeigt, warum Weiche als Standort Vorteile gegenüber anderen Halten etwa in Tarp oder Padborg hat. Da geht es einerseits darum, wie gut der Bahnhof aus dem Flensburger Umland erreichbar ist, aber es geht auch darum, wie viele Menschen in der Nähe des Bahnhofs leben. Je mehr das sind, umso attraktiver ist der Bahnhof, weil das Fahrgastpotential steigt. Da fällt Flensburg mit seinen knapp 100.000 Einwohnern fraglos ins Gewicht. Das Gegenteil gilt aber auch. Wenn sie lange zum Bahnhof brauchen oder gar umsteigen müssen, dann ist das schlecht. Niemand mag es kompliziert.
Als Faustregel kann man sagen: Je mehr Menschen länger für den Weg zum Bahnhof brauchen, umso unattraktiver ist er. Der Standort in Weiche ist da schon ein Kompromiss. Er liegt zwar direkt an der Strecke, ist noch in Flensburg, aber auch nicht gerade zentrumsnah. Ideal ist das nicht. Allerdings sieht die Sache bei anderen Halten eben noch schlechter aus. Deshalb schneidet Weiche eben doch gut ab: Der Bahnhof braucht keinen Umweg und zusätzliche Fahrzeit, er ist gut aus dem Umland – auch aus Dänemark – erreichbar und er ist immer noch verhältnismäßig nah am Stadtzentrum. Fraglos gilt es, die Anbindung Weiches noch deutlich zu verbessern. Besonders umweltfreundliche Verkehrsmittel müssen dabei selbstverständlich Priorität haben.“
Fazit
„Einige Kritiker monieren, dass die Investitionskosten in Weiche zu hoch wären für den Nutzen und dass es erst den großen Wurf bräuchte, um das Konzept tragfähig zu bekommen. Aus meiner Sicht liegt hier die Weitsicht des Beschlusses, der auf Initiative des SSW in der Flensburger Ratsversammlung zustande gekommen ist und mittlerweile von einer breiten politischen Mehrheit getragen wird. Der Beschluss fokussiert auf das Wesentliche: Im Rahmen der aktuellen Möglichkeiten soll zeitnah ein Halt für internationale Fernzüge in Flensburg-Weiche realisiert werden. Dafür braucht es erst einmal nichts weiter als einen „schnöden Bahnsteig“ am Gleis nach Dänemark. Die Kosten dafür sind durchaus überschaubar. Also: Packen wir es an!“
Das Flensburg Journal bedankt sich bei Stefan Seidler für ein aufschlussreiches Gespräch!
Mit dem Parlamentarier unterhielt sich Peter Feuerschütz
Fotos: Martin Ziemer