Spiel, Training und Freizeit – so einfach stellt sich der Laie das Leben eines Handball-Profis vor. Für Oskar Czertowicz, den 19-jährigen Nachwuchsmann der SG Flensburg-Handewitt, gestaltet sich der Tagesablauf allerdings weit komplexer. Häufiger geht der Blick zum Handy. „Der Trainingsplan ändert sich im Moment sehr oft“, erzählt er. Manchmal entscheidet sich erst kurzfristig, wo er trainieren und spielen soll. Seine ersten beiden Optionen sind der Drittligist DHK Flensborg und die A-Jugend der SG. Der junge Rückraumspieler taucht hin und wieder auch bei den Profis im Kader auf. Und den einen oder anderen Vormittag fährt er mit einigen anderen Nachwuchsleuten zum Kooperationspartner in Sonderborg. Jeder Tag ist anders, die Konstante ist der Handball. Oskar Czertowicz ist ein Talent, das davon träumt und dafür arbeitet, ein Handball-Profi zu werden.

Von Polen ins Saarland
Er stammt aus Polen. Er wurde 2006 in Kwidzyn geboren. Die Kleinstadt, die rund 100 Kilometer südlich von Danzig liegt, gehört zu den polnischen Handball-Hochburgen. Der dort ansässige Verein tummelt sich in der polnischen Superliga und traf in der European League sogar mal auf die SG. Einst gehörte ein gewisser Lukasz Czertowicz zum Kader von MMTS Kwidzyn. Der Vater von Oskar wechselte 2010 zum Zweitligisten Wilhelmshavener HV und nur ein Jahr später zur HG Saarlouis, wo die Familie auch nach dem Ende der Karriere wohnen blieb. „Ich war oft mit in der Halle, das hat mich natürlich dazu inspiriert, auch Handball zu spielen“, erzählt der Junior. Im Saarland durchlief er die Altersklassen von der F- bis zur B-Jugend.

Die HG Saarlouis hat eine gute Jugendarbeit, die Männer tummeln sich aber nur in der Drittklassigkeit. Bei Oskar Czertowicz wuchs der Wunsch, zu einer Akademie eines Erstliga-Klubs zu wechseln. Er wollte den nächsten Schritt wagen. Bei den Rhein-Neckar Löwen ergab sich tatsächlich ein Probe-Training. Doch die Corona-Pandemie stellte einen Umzug erst einmal hinten an. Der begabte Teenager hatte bald Kontakt zu anderen Vereinen – auch mit der „Flensburg Akademie“, die eine Einladung zu einem dreitägigen Schnupperkurs aussprach. Mit seinem Vater fuhr er im Juni 2021 die 900 Kilometer in den hohen Norden. „Es waren nur drei Tage möglich, da in Schleswig-Holstein die Sommerferien vor der Tür standen und diese im Saarland noch etwas auf sich warten ließen“, erinnert sich Oskar Czertowicz. Er trainierte unter Michael Jacobsen, Matthias Hahn und Simon Hennig in der A- und B-Jugend.
Der Umzug in den hohen Norden
Kurz darauf folgte ein Zoom-Meeting mit dem damaligen SG-Nachwuchskoordinator Michael Jacobsen. Die Entscheidung zum Umzug reifte allmählich. Nicht nur beim damals 15-Jährigen, sondern auch bei seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder. „Es hatten alle Lust auf etwas Neues, meine Mutter wollte sehr gerne mal am Wasser leben“, erzählt Oskar Czertowicz. „Es war aber schon eine Umstellung für uns. Vorher lebten wir im kleinen Dorf Überherrn, jetzt in einer Großstadt.“ Die Eltern fanden in der neuen Wahlheimat neue berufliche Aufgaben. Vater Lukasz lebt seine Handball-Begeisterung auch als Mannschaftsbetreuer der SG-Nachwuchsteams aus und schaut auch von der Bank aus zu, wie sich sein Sohn in der Jugend-Bundesliga schlägt.

Das Talent kommuniziert hauptsächlich mit Simon Hennig und Magnus Frisk, seinen Trainern bei der SG-Jugend und beim DHK. Normalerweise hat Oskar Czertowicz nur eine Übungseinheit am Tag. „Wenn das Training leicht ist oder schon früh am Vormittag stattfindet, gehe ich abends noch mal ins Fitness-Studio und trainiere Kraft“, erzählt er. „In jedem Fall ist es so, dass sich mein Leben im Vergleich zu Gleichaltrigen auf den Kopf gedreht hat. Ich gehe morgens zum Training und habe abends Schule, bei den anderen ist es andersherum.“
Im letzten Schuljahr besuchte er noch die Kurt-Tucholsky-Schule im Präsenzunterricht. Wegen des Sports häuften sich allerdings die Fehlzeiten an. Als Lösung entpuppte sich eine an das Fördegymnasium angedockte Abendschule, wo der Handballer dienstags und mittwochs persönlich erscheinen soll. Die umfangreichen Hausaufgaben sind mit einem Online-Kurs kombiniert. Man merkt schnell: Ein junger Leistungssportler, der noch einen Schulabschluss machen möchte, hat nur wenig Freizeit. Die Freunde, mit denen sich Oskar Czertowicz mal trifft, sind auch Handballer. „Manchmal bin ich froh, wenn ich mal nichts zu tun habe“, schmunzelt der 19-Jährige.
Die Perspektiven und das polnische Nationalteam
Er spielt übrigens noch in einer weiteren Mannschaft, im U21-Nationalteam von Polen. Mitte März fuhr er mit seinem Vater über 1000 Kilometer, um ins ostpolnische Olecko zu gelangen. Dort standen ein Lehrgang mit Junioren-Nationaltrainer Bartosz Jurecki, einst Kreisläufer beim SC Magdeburg, sowie Testspiele gegen Nordmazedonien und Algerien auf dem Programm. Als Gast aus Deutschland ist Oskar Czertowicz der Exot, er hat aber keine Verständigungsprobleme. „Wir sprechen in unserer Familie Polnisch“, erzählt er. „Nur mit dem Schreiben und Lesen auf Polnisch klappt es nicht ganz hundertprozentig, da ich immer eine deutsche Schule besucht habe.“

Wenn Oskar Czertowicz jetzt am Flensburger Hafen in der Frühjahrssonne schlendert, weiß er nicht, ob es in zwölf Monaten wieder so sein wird. Noch ist offen, wie es ab Sommer weitergeht. Aber er kann sich sicher sein, dass es weitergeht. „Ich hatte Gespräche mit der SG, aber auch viele Angebote von anderen Vereinen“, erzählt das Handball-Talent. „Ich mache mir da keinen Stress, möchte es erst vor der Weltmeisterschaft geklärt haben.“ Dabei handelt es sich um die U21-Weltmeisterschaft, die Mitte Juni beginnt. Polen ist der Gastgeber und trifft in Plock auf Norwegen, Uruguay und Slowenien. „Wir wollen unbedingt ein gutes Ergebnis erreichen, auf dem die A-Nationalmannschaft aufbauen kann“, sagt Oskar Czertowicz. Für ihn persönlich soll das Turnier den nächsten Schritt in der Karriereleiter bringen.
Text und Fotos: Jan Kirschner