An diesem Morgen treffen sich zwei freie Trauerrednerinnen zum Erfahrungsaustausch: Stephanie Jütz hat ihre Kollegin Anette Fröhlich nach Oeversee eingeladen und bittet sie im Wohnzimmer an den Tisch. Bei der Getränkewahl sind sich die beiden Frauen schnell einig: Tee. Der Guss in die Tasse eröffnet den Redeschwall, der sich um „einen Schatz“ bewegt. Ihre Arbeit dreht sich aber nicht um ein finanziell, sondern um ein immateriell wertvolles Gut. Sie erhalten besondere Einblicke in das Leben eines verstorbenen Menschen, der „noch einmal in die Mitte gerückt wird“. Dabei bauen sie kurzfristig eine enge Beziehung zu den Familien auf.
Der Weg zur Trauerrednerin
Die beiden Trauerrednerinnen sind beide seit rund fünf Jahren auf selbstständiger Basis aktiv. Für ihre Anfänge stellen sie fest: „Der Impuls kommt aus einem selbst heraus.“ Wie dieser Impuls schließlich ausgelöst wurde – das sind aber dann doch zwei Geschichten. Bei Anette Fröhlich war es so: 2019 verstarb ihr Vater. Sie selbst hielt bei der Trauerfeier die Rede. Nicht ohne Fundament, denn als Krankenhaus-Seelsorgerin war sie lange im Sankt-Franziskus-Hospital, ist nun im Katharinenhospiz am Park tätig und betreibt auch eine Praxis für Tiefenpsychologie. Die Angeliterin dachte sich damals, sie könne vielleicht auch die Beisetzung anderer Menschen mit Worten begleiten. Dirk Jansen, den sie aus der Krankenhaus-Arbeit kannte, unterstützte sie dabei. Mit ihm sowie Stephanie Jütz und Michael Haarmann entstand eine Zusammenarbeit. Sie springen ein, wenn der eine mal krankheitsbedingt ausfällt und helfen untereinander mit Rat, wenn sich eine ungewöhnliche Situation ergibt.
Anfangs war Anette Fröhlich vor Trauerfeiern sehr angespannt. Inzwischen hat sich die Nervosität weitgehend abgelegt: Sie hat viele Einblicke und Erfahrungen gewonnen. „Man muss die Bühne mögen“, hatte man ihr mit auf den Weg gegeben. „Einmal habe ich vor 600 Leuten gesprochen“, erzählt sie. „Jetzt denke ich immer, dass 100 kein Problem wären. Aber in der Nachbarschaft oder im Bekanntenkreis ist man doch etwas angespannter als irgendwo in Nordfriesland oder einem Dorf bei Rendsburg.“ Ein Versprecher, ein falsches Datum oder ein falscher Name kann noch Monate später für Gesprächsstoff im Umfeld sorgen. Da ist der nach Trauerfeiern oft ausgesprochene Satz „Danke für die Rede“ eine wichtige Bestätigung.
Stephanie Jütz nickt. Sie ist vor jedem Einsatz nervös. Immer noch, obwohl Vorträge und das Sprechen vor größerem Publikum eigentlich nichts Ungewöhnliches für sie ist und war. Früher war sie Dozentin und leitete die Wirtschaftsakademie. Ein Freund, bei einem Bestatter beschäftigt, schlug ihr plötzlich vor: „Wir brauchen eine Frau, du wärst als Trauerrednerin prädestiniert!“ In ihr regten sich zunächst Zweifel: Kann man das so einfach machen bei einem so sensiblen Thema wie dem Tod? Auf dem Papier sah es wirklich einfach aus: Ein Wochenend-Seminar versprach ein Zertifikat. Stephanie Jütz war erstaunt, aber zugleich sehr neugierig geworden. Sie bestellte sich Bücher und absolvierte dann eine Ausbildung als Trauerbegleiterin – über sieben Monate. Im August 2020 machte sie sich als freie Trauerrednerin selbstständig.
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Eine veränderte Bestattungskultur
Damit traf sie den Zahn des Zeitgeistes. Aufgrund vieler Kirchenaustritte finden immer häufiger Trauerfeiern nicht in einem Gotteshaus und ohne Pastoren statt. Überdies hat sich die Bestattungskultur geändert. Die individuellen Wünsche – das bezeugt nicht nur die aufgelockerte Kleiderwahl – sind wichtiger geworden. Und selbst die seltener werdenden klassischen Erdbestattungen erhalten schon mal eine andere Form, indem von Kindern bemalte Särge eingegraben werden. Überhaupt die Kleinen: Früher wollte man sie bei einer Trauerfeier nicht dabeihaben, um sie nicht mit dem Tod eines nahen Verwandten zu konfrontieren. Auch das sieht man heute zumeist anders. „Kinder gehören zum Leben und deshalb auch bei einer Trauerfeier dazu“, betonen die beiden Trauerrednerinnen. Sie müssten aber richtig vorbereitet werden, was nicht Stille und höchste Disziplin bedeute. Kindliche Einwürfe während einer Rede („Opa mochte am liebsten Erdbeereis“) oder ein spontaner Tanz zum Lieblingslied der Großmutter sind durchaus willkommen.
So wird eine Trauerfeier organisiert
Der Einsatz der beiden Trauerrednerinnen beginnt meistens mit dem Anruf eines der vielen Bestattungsunternehmen. Sie entscheiden mehr oder weniger, mit wem sie eine Trauerfeier gestalten wollen und wer zu den trauernden Angehörigen am besten passen könnte. Die Auserwählte blickt in den Kalender, denn der Termin ist zumeist schon vorgegeben durch Friedhöfe und andere letzte Ruhestätten. Sie erhält dann die Kontaktdaten, ruft bei den Angehörigen an und klingelt bei ihnen meistens nur wenige Tage später zu Hause an der Tür. Mal ist es eine stolze Villa am Fördehang, das andere Mal grüßt ein verdrecktes Zimmer, in dem ein Kaffee kein verlockendes Angebot ist. Auch der Kreis der Besuchten hat eine völlig unterschiedliche Ausdehnung. „Mal sitzt da nur die Witwe oder der Witwer, manchmal ist das Wohnzimmer voll mit der Familie oder sogar Freunden“, erzählt Anette Fröhlich. Ebenso variabel ist der Informationsfluss, der das Gespräch 45 Minuten oder auch mal zweieinhalb Stunden dehnt.
Möglichst sofort schreiben und bloß nicht lange liegenlassen – so gehen die beiden Frauen mit ihren Gesprächsnotizen um. In anderthalb bis zwei Stunden ist eine Rede meistens fertig. Manchmal schreibt es sich wie aus einem Guss. Etwas schwerer fällt es, wenn aus Termingründen die beschriebenen Zettel ein paar Tage liegenbleiben. Manchmal treffen von den Angehörigen per E-Mail noch einige Ergänzungen ein. Das Manuskript wird in der Regel aber nicht zum Gegenlesen verschickt – höchstens einige knifflige Passagen.
Die Qualität einer Rede
Die Rede ist natürlich davon abhängig, was mitgeteilt wird. Beide Frauen haben sich schon mal gedacht, ob das, was ihnen zu Ohren gekommen ist, wirklich dem oder der Verstorbenen gerecht werden würde. Nach einer Trauerfeier wurden auch schon mal andere Ansichten mitgeteilt oder Verwunderung darüber ausgedrückt, was denn so alles erzählt wurde. Die geschilderte Vita soll der Wahrheit entsprechen. Aber es ist nicht immer einfach, diese herauszufiltern. Manche Familien sind zerrüttet. Dann dominieren kurz nach einem Tod nicht Traurigkeit, Leere oder Fassungslosigkeit, sondern Wut und Ärger. Stephanie Jütz sprach einmal mit einer Witwe und hatte schon ein angenehmes Bild ihres verstorbenen Mannes im Kopf. Dann kam der Sohn dazu und ließ seinen persönlichen Frust über seinen Vater ab. Was nun? In so einem Fall – da ist sie sich mit Anette Fröhlich einig – müssten Formulierungen gefunden werden, mit denen sich alle anfreunden können. Die Rede solle nicht belehrend herüberkommen und keinen Unmut verstärken. Und letztendlich soll niemand wegrennen, weil das Gesagte nicht zum Aushalten ist. Ein Sturkopf lässt sich durch die Blume darstellen, eine Macke vielleicht auch mit Humor. Ideal ist es, wenn nach der Trauerfeier jemand sagt: „Sie müssen ihn ja gut gekannt haben!“
Der Rhythmus von Musik und Gesagtem
Ein weiteres Thema bei der Vorbereitung einer Trauerfeier ist die Musik. Die kirchlichen Lieder sind nicht besonders gefragt. Meistens kommen die Lieblingshits der verstorbenen Person zum Zuge, was auch sehr gewöhnungsbedürftig sein kann. Anette Fröhlich hielt einmal in einem Ruheforst an der Eckernförder Bucht für einen verstorbenen Rocker und AC/DC-Fan eine Rede. Es röhrten die Motorräder der Kumpels, die in ihren Kutten aufkreuzten. Am Bestattungsort donnerte dann „Highway to Hell“ durch die Baumkronen. Stephanie Jütz schmunzelt und erzählt von einer Trauerfeier eines älteren Mannes, der sich als letztes Lied den Schneewalzer gewünscht hatte. In der Nacht vor der Beisetzung packte der Winter den Kirchfriedhof in eine Schneelandschaft ein und sorgte für eine ganz eigene Atmosphäre.
Die Trauerrede selbst ist kaum länger als zehn oder zwölf Minuten. Eine Zäsur im Leben ist die beste Gelegenheit für das Einspielen von Musik. Mit dem jeweiligen Bestattungsunternehmen wird die Zeremonie abgestimmt. Manchmal möchte noch jemand anderes etwas sagen oder es wird eine Bilder-Show eingespielt. „Man ist immer etwas angespannt, ob alles klappt“, verrät Stephanie Jütz. Die 30 Minuten sind eine generelle Zeitvorgabe für eine Trauerfeier. 45 Minuten sind schon ein Sonderfall. „Das kann für die Angehörigen zu schwer sein und für allen anderen etwas langatmig“, erklärt Anette Fröhlich. In den meisten Fällen folgt im direkten Anschluss ja auch die Urnenbeisetzung.
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Die Atmosphäre einer Seebestattung
Eine Trauerfeier findet durchaus in Kirchen und Kapellen statt, häufiger aber in Bestattungshäusern und immer öfter in Ruheforsten und auf See. Stephanie Jütz erzählt von einem windigen Dezember-Tag, als sie in Langballigau das Beisetzungsschiff betrat. Nicht nur der Weihnachtsbaum schwankte, der Kapitän gab dennoch grünes Licht für die Ausfahrt. Die Witterung warf aber Fragen auf, ob die streng getaktete Trauerfeier reibungslos über die Bühne gehen könnte. Die Trauergemeinschaft war schon an Westerholz vorbei, als sich völlig unerwartet ein Freund der Familie meldete. Er wolle auch eine kleine Rede halten und hielt ein Blatt mit seinem Text in der Hand. Stephanie Jütz eilte zum Kapitän, um mit ihm zu besprechen, wie sich dieser Wunsch noch berücksichtigen ließe. Der Freund der Familie durfte das Wort ergreifen und wendete plötzlich seinen Zettel: Er war beidseitig beschrieben. Der Leuchtturm von Kalkgrund, der den Übergang zur offenen Ostsee markiert, wurde immer größer. Der Kapitän intervenierte: Das Schiff müsste nun unbedingt abdrehen. Er warnte, dass es einen kräftigen Ruck geben würde. „Ich hielt den Weihnachtsbaum fest, der Kapitän mein Rednerpult“, berichtet Stephanie Jütz. „Wir wurden aber dennoch gut durchgeschüttelt.“ Nach der rumpligen Unterbrechung wurde die Trauerfeier fortgesetzt und in Würde zu Ende gebracht.
Natürlich gibt es auf dem Wasser angenehmere Momente: stille See mit blauem Himmel und Sonnenschein, der den treibenden Urnenkranz umhüllt. Dazu ein Abschiedslied und die Schiffsglocke, die drei Mal ertönt – das ergibt eine Atmosphäre für die Ewigkeit. Das Wetter ist aber immer schwer zu kalkulieren – auch auf festem Boden. Beide Trauerrednerinnen erlebten schon, dass der strömende Regen einsetzte und sie am Ende der Zeremonie von Kopf bis Fuß durchnässt waren. Es sind anderthalb Stunden vergangen: Anette Fröhlich muss los. Auch Stephanie Jütz schaut auf die Uhr: Am späten Vormittag hat sie eine Trauerfeier in Harrislee. Sie muss sich noch umziehen – und so langsam wird sie nervös vor ihrem Einsatz in der Bestattungshalle.
Text: Jan Kirschner
Fotos: privat
Titelfoto: Envato.com