Es ist 6.30 Uhr. Timo Holst und Michael Höck stehen in der Fahrzeughalle der Flensburger Berufsfeuerwehr am Munketoft. Die beiden Feuerwehrmänner sind heute auf einem Rettungswagen eingeteilt. Vor den beiden liegt eine 12-Stunden-Schicht, bei der sie vorher nie wissen, was sie erwartet. Mitten in der Übergabe der Nachtschicht piept ihr Melder. Alle verfügbaren Rettungswagen der Stadt sind bereits im Einsatz, auch der RTW von Timo Holst und Michael Höck muss nun raus zu einem Einsatz.
Mit Blaulicht und Martinshorn
Viele Infos erhalten die beiden Notfallsanitäter im Voraus nicht. „Unklare Atemnot“ steht auf dem Pager. Zusätzlich der Hinweis, dass die Einsatzstelle mit Sonderrechten angefahren wird. Mit Blaulicht und Martinshorn machen sich Holst und Höck auf den Weg. Unterwegs meldet sich die Leitstelle. Informiert die beiden darüber, dass der Patient zusätzlich zu den Atembeschwerden über Fieber klagt. Die Verständigung mit dem Anrufer war aufgrund einer Sprachbarriere schwierig. Michael Höck sitzt am Steuer des Rettungswagens, bahnt sich seinen Weg durch den einsetzenden Berufsverkehr. Der Einsatzort liegt keine zwei Kilometer von der Hauptfeuerwache entfernt, sie treffen bereits wenige Minuten nach der Alarmierung bei ihrem Patienten ein. Zwei große, schwere Rucksäcke, das EKG und die Absaugpumpe müssen mit in die Wohnung.
Die beiden sind ein eingespieltes Team
Die Aufgaben sind im Voraus klar verteilt. Holst ist an diesem Tag Fahrzeugführer, befragt den Patienten, lässt sich unterstützend durch Angehörige Informationen über den aktuellen Zustand des Patienten geben. Michael Höck fährt den RTW, ist der Maschinist. Er bereitet unter anderem die Erhebung der Vitalwerte vor. Blutdruck, EKG, Sauerstoffsättigung und auch der Blutzucker werden gemessen. Der Patient wirkt schwach und hat leichte neurologische Ausfälle. Das EKG ist unauffällig, der Blutdruck nicht besorgniserregend. Die beiden Notfallsanitäter entschließen sich den Mann in die Notaufnahme der Diako zu bringen. Verdacht auf Schlaganfall. Dieser kann zumindest vor Ort nicht ausgeschlossen werden, lässt sich nur im Krankenhaus sicher diagnostizieren. „Die Wege in Flensburg sind oft kurz“, so Holst, „wir haben in diesem Fall nur wenige Minuten zum Einsatzort gebraucht und auch die Fahrt ins Krankenhaus wird nicht viel länger dauern.“ Auf dem Land sieht es da mancherorts anders aus. Die Wege in die Kliniken sind weiter.
Wichtig: Die Hygiene
Auf die Übergabe des Patienten an das Klinikpersonal erfolgt noch vor Ort das Desinfizieren von Trage und Ausrüstungsgegenständen, mit denen der Patient in Berührung gekommen ist. „Hygiene ist bei uns ein wesentlicher Baustein unserer Arbeit“, so Höck, „während Corona war es natürlich noch einmal deutlich extremer und aufwändiger, aber auch im normalen Alltag ist es enorm wichtig.“ Über Funk meldet sich die Besatzung des Rettungswagens mit der Funkkennung 50/83-02 wieder einsatzbereit. Holst und Höck können jederzeit einen neuen Einsatz bekommen. Zurück auf der Wache reicht die Zeit gerade einmal für einen Kaffee. Erneut piept der Melder. Wieder ein Notfall. Auch dieses Mal ist die Anfahrt kurz. Eine schwangere Frau klagt über starke Schmerzen im Unterleib. Holst und Höck verlieren keine Zeit, nicht einmal eine Minute nach der Alarmierung befinden sich die beiden auf der Straße. Eine genaue Diagnostik und Behandlung der Schwangeren ist vor Ort nicht möglich. Aufgrund der unmittelbaren Nähe zur Diako wollen die beiden keine Zeit verlieren. Sie wird zügig in den Rettungswagen gebracht, auf der Trage angeschnallt. „Die Frau muss dringend in die Gynäkologie“, so Holst, „erst dort kann die Ursache für die starken Schmerzen gefunden werden.“ Holst sitzt die ganze Fahrt neben ihr, füllt schon während der Fahrt das Einsatzprotokoll aus. „Das ist wichtig für die Übergabe im Krankenhaus. Wir notieren dort alle gemessenen Werte und das, was wir vor Ort gemacht haben, gegebenenfalls die Medikamente, die wir gegeben haben.“
Zurück am Munketoft
folgt das, was am frühen Morgen unterbrochen werden musste. „Wir checken jedes Mal bei Dienstbeginn das Fahrzeug und die Ausrüstung“, erklärt Höck. „Schauen ob alle Verbrauchsmaterialien und Medikamente aufgefüllt und ausreichend vorhanden sind, prüfen zudem die technischen Geräte auf Funktion.“ Die Anzahl der Einsätze ist unterschiedlich, variiert von Tag zu Tag. Acht Rettungswagen sind unter der Woche tagsüber in Flensburg im Einsatz. Sechs von der Berufsfeuerwehr und zwei vom privaten Betreiber Falck, der im Auftrag der Berufsfeuerwehr agiert. Anzahl und Auslastung der Einsatzfahrzeuge ist in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter gestiegen. Seitens der Stadt Flensburg verzeichnet man Jahr für Jahr steigende Einsatzzahlen.
Und weiter geht´s …
Auch an diesem Tag bleibt es nicht lange ruhig. Holst und Höck sind gerade einmal zwei Stunden im Dienst, da werden sie bereits zu ihrem dritten Einsatz alarmiert. Es geht auf den Sandberg, eine ältere Frau klagt über akute Atemnot. Eine Mitarbeiterin des bereits alarmierten Pflegedienstes öffnet den Notfallsanitätern die Tür. „Wir haben auch hier alle Werte gemessen, die wir vor Ort erheben können und parallel versucht mit gezielten Fragen herauszubekommen, welche Beschwerden seit wann bestehen“, so Holst. „Der Allgemeinzustand der Patientin war nicht gut, neben einem entgleisten Diabetes bekam die Frau schwer Luft.“ Die ältere Frau, bei der diverse Vorerkrankungen bestanden, wird nach rund zwanzig Minuten mit dem Rettungswagen in die Notaufnahme gebracht.
Bei der Flensburger Berufsfeuerwehr
sind alle Feuerwehrmänner und -frauen auch ausgebildete Notfallsanitäter. Gemeinsam mit Angestellten im Rettungsdienst besetzen sie täglich die Rettungswagen im Stadtgebiet. Michael Höck hat 2016 mit der Ausbildung bei der Feuerwehr begonnen. „Durch meine Tätigkeit in der Freiwilligen Feuerwehr war das Interesse für den Beruf schon immer irgendwie da“, erzählt Höck. „Nach einer Ausbildung zum Feinwerkmechaniker habe ich dann die Entscheidung getroffen mich umzuorientieren.“ Für Höck ist es besonders die Abwechslung, die den Alltag bei der Berufsfeuerwehr so interessant macht. „Ich finde auch die Schichten auf dem Rettungswagen spannend“, so der 29-jährige, „Man bekommt dort unmittelbar Rückmeldung von den Patienten, erkundigt sich auch im Nachgang noch einmal nach deren Befinden.“
Notfallsanitäter
Ein Beruf, der nicht nur beim Umgang mit den Patienten ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit, fachlicher Kompetenz und auch Einfühlungsvermögen abverlangt. Gerade auch die Anfahrten zu den jeweiligen Einsatzorten fordern die Mitarbeiter des Rettungsdienstes. „Wenn wir mit Sonderrechten auf den Straßen unterwegs sind, dann steigt das Unfallrisiko um ein Vielfaches“, sagt Höck. „Dessen muss man sich stets bewusst sein und immer damit rechnen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer nicht so verhalten, wie es vielleicht ideal wäre.“ Gerade im dichten Flensburger Stadtverkehr sind Einsatzfahrten nicht immer einfach. „Autofahrer reagieren oft sehr unterschiedlich, manche sehr spät oder gar nicht.“ Nähert sich ein Einsatzfahrzeug mit Blaulicht und Martinshorn, dann muss man als Verkehrsteilnehmer Platz machen, ohne sich selbst zu gefährden. „Dies bedeutet auch, dass man eine rote Ampel überfahren und sich vorsichtig in die Kreuzung hineintasten kann, wenn wir ansonsten nicht anders vorbeikommen“, ergänzt Höck. „Grundsätzlich sollte man in solchen Situationen Ruhe bewahren, zur Seite fahren oder stehen bleiben und uns signalisieren, dass man uns gesehen hat. Hektische Bewegungen sind da eher schwierig.“
Nicht nur in Flensburg unterwegs
Kurz vor zehn der nunmehr vierte Einsatz des Tages. Dieses Mal geht es raus aus dem Stadtgebiet ins benachbarte Oeversee. Dort wartet eine Patientin mit Herzrhythmusstörungen auf die Notfallsanitäter. „Die sogenannte Arrhythmie wurde in einer Arztpraxis festgestellt, zur weiteren Abklärung wurden wir angefordert, um die Patientin ins Krankenhaus zu bringen“, so Holst. Dieses Mal eilt es nicht, der Rettungswagen wurde ohne Blaulicht alarmiert. Die Patientin befindet sich in keinem kritischen Zustand, ist in der Hausarztpraxis zunächst in guten Händen. Erneut geht es in die Diako. „Erste Tests deuteten auf keinen akuten Herzinfarkt hin“, erläutert Holst, „dennoch stimmt mit dem Herzen der Frau etwas nicht, das muss abgeklärt werden.“
Ein moderner Rettungswagen
ist, vereinfacht ausgedrückt, eine rollende Intensivstation. Medizinische Geräte zur Diagnostik, Sauerstoffgabe, Medikamente, Verbandsmaterial, Spritzen, Kanülen und unzählige weitere Dinge finden im Inneren Platz, um Patienten mit kleinen oder großen Verletzungs- und Erkrankungsbildern auch während der Fahrt bestmöglich versorgen zu können. „Hier in Flensburg haben wir einen modernen und guten Fuhrpark“, so Höck, „da macht das Arbeiten natürlich noch einmal etwas mehr Freude.“
Schon lange dabei …
Die Entscheidung zur Berufsfeuerwehr gegangen zu sein bereut auch Timo Holst nicht. Der 32-jährige ist wie sein Kollege Oberbrandmeister und Notfallsanitäter. „Ich bin seit 2013 hier“, so Holst, „konnte mir meinen Kindheitstraum verwirklichen.“ Der gelernte Konstruktionsmechaniker suchte die Abwechslung im Berufsleben und fand diese in der Arbeit bei der Berufsfeuerwehr. „Es ist die Kombination aus Feuerwehr und Rettungsdienst, die mir besonders Spaß macht. Zudem kann ich hier meine handwerklichen Fähigkeiten einbringen und einsetzen.“ Morgens zur Arbeit zu kommen und nicht zu wissen, was man den Tag über macht, erlebt oder was einen erwartet. Für Timo Holst macht das den Reiz dieses Berufsbildes aus. „Es gibt für mich keinen Tag, wo es eine Qual ist zur Arbeit zu fahren, egal ob ich auf dem Löschzug oder dem Rettungswagen eingeteilt bin, egal ob es Tag oder Nacht ist.“
Feste Pausenzeiten
haben die Besatzungen der Rettungswagen in Flensburg nicht. Lässt das Einsatzaufkommen es zu, dann erhalten die Einsatzkräfte eine einstündige Pause, in der die Leitstelle nach Möglichkeit zunächst alle anderen Fahrzeuge einsetzt. Doch manchmal kann darauf keine Rücksicht genommen werden. Auf fünf Einsätze am Vormittag folgt heute genau so ein Alarm in der Mittagszeit. Holst und Höck waren gerade beim Essen als gleich zwei Rettungswagen am Munketoft von der Leitstelle alarmiert werden. „Es geht auf den Campus“, berichtet Holst, „dort soll es mehrere Verletzte in einem Bus geben.“ Die beiden alarmierten Rettungswagen sind nur zwei Minuten später am Einsatzort. Ein junger Mann wollte auf Höhe des Campusbades die Fahrbahn überqueren und übersah dabei offenbar den Linienbus. Der schnellen Reaktion des Busfahrers war es zu verdanken, dass der Mann nicht von dem tonnenschweren Gefährt erfasst wurde. Durch die Vollbremsung verletzten sich allerdings zwei Insassen des Busses. „Beide sind zum Glück nur leicht verletzt“, so Holst, „die Kollegen transportieren eine Frau ins Krankenhaus, unsere Patientin verbleibt vor Ort.“
Wähle die 112 …
Am Nachmittag werden Holst und Höck noch drei weitere Male alarmiert. „Die Anzahl der Einsätze, bei denen Rettungswagen alarmiert werden und sich am Ende herausstellt, dass es sich gar nicht um einen ernsthaften Notfall, sondern es eher ein Fall für den Hausarzt oder den hausärztlichen Notdienst ist, nimmt zu“, so Holst. „Heute war der Einsatz unseres Rettungswagens jedoch in allen Fällen gerechtfertigt.“ Die Hemmschwelle über 112 den Rettungsdienst zu alarmieren ist auch im Großraum Flensburg gesunken. Es gibt Fälle, da bestehen Erkrankungen oder medizinische Probleme schon seit einigen Tagen, der Gang zum Hausarzt erscheint einigen Menschen als unzumutbar, der Griff zum Telefon dann die einfachste Lösung. Grundsätzlich ist die 112 die richtige Nummer für akute, möglicherweise sogar lebensbedrohliche Notfälle. Dazu zählen unter anderem Anzeichen für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall, Unfälle mit schweren Verletzungen oder hohem Blutverlust, Bewusstlosigkeit, ein allergischer Schock, starke Schmerzen, schwere Verbrennungen oder auch Atemnot. Mit der Fahrzeugübergabe an die Nachtschicht endet die heutige Schicht von Timo Holst und Michael Höck. Schon morgen sind sie wieder im Einsatz, dann auf dem Löschzug der Berufsfeuerwehr.
Text und Bilder: Benjamin Nolte