Eine kräftige Brise zieht durch Flensburg. Der Ostwind drückt den Wasserspiegel in der Innenförde allmählich nach oben. Eine Baustelle, die einen Steg erneuern soll, ruht bereits. An der Hafenspitze wirbelt der Sand. Klar ist: An diesem Tag ist keine Ausfahrt mit der „Solitüde“ möglich. Die Barkasse bleibt an ihrem Liegeplatz im Seglerhafen, schaukelt gemächlich in der Nachbarschaft der Fördedampfer.
Am Tisch in der hinteren Kajüte herrscht trotz der ungünstigen Witterung gute Stimmung. Es handelt sich um ein Treffen des „Vereins zur Erhaltung der Solitüde“. Der Name ist seit 2009 eine Verpflichtung. Die Mitglieder wollen das Beste für eine 80-Jährige: Die Barkasse erhalten, pflegen und als Werbeträger für den Flensburger Hafen präsentieren. „Wir stehen für ein Stück Stadtgeschichte, die Solitüde hat als Denkmal einen Wert für Flensburg“, erklärt Oberbürgermeister Fabian Geyer, der dem Verein angehört. Er erzählt mit einem Lächeln: „Wenn wir mit unserer Solitüde unterwegs sind, dann schauen die Menschen neugierig auf diesen Oldtimer und winken ihm zu.“
Das gute Stück wurde 1943 in Hamburg-Neuenfelde erbaut und wurde zunächst durch einen Dreizylinder-Schlüttermotor mit einer Leistung von 75 Pferdestärken angetrieben. Die Barkasse hieß damals „Bille“ und wurde von der Reichsmarine als Schlepper eingesetzt. Nach dem Krieg erwarb ein Flensburger Kapitän das Schiff und verkaufte es 1948 an die Stadt Flensburg. Es wurde umgetauft – auf „Solitüde“. Und aufgerüstet – mit einem Vierzylinder-Motor. 1960 wurde schließlich ein neueres Fabrikat der Marke „Mercedes Benz“ installiert, sodass es seither mit 120 PS übers Wasser geht.
Die „Solitüde“ war so etwas wie ein Arbeitspferd. Sie kam bei Wasserbauarbeiten, Ausbaggerungen, Sandspülarbeiten oder Bojenauslegungen zum Einsatz. Bei Stapelläufen der Flensburger Schiffbaugesellschaft wurde sie immer wieder angefordert. Bis 2006, als sie nach einem Getriebeschaden ausgemustert wurde. Die Zukunft war mehr als ungewiss, bis einige Zeitgenossen den historischen Wert dieser Barkasse erkannten. Sie wurde wieder ertüchtigt und Anfang 2010 unter Denkmalschutz gestellt. Im Zuge dieser Bemühungen gründete sich der „Verein zur Erhaltung der Solitüde“.
Geräuschvoll tuckert der 14 Meter lange „Oldie“ mit bis zu sieben Knoten durch den Hafen. Im trommelnden Techno-Takt treibt der Motor die Schiffsschrauben an. Der maritime Vertreter einer anderen Epoche macht Eindruck. „Das ist aber ein schönes Schiff“, meinen immer wieder Passanten. Oft auf Hochdeutsch, aber auch auf Sächsisch, Schwäbisch oder Pfälzisch. Unter den Mitgliedern ist die Freude groß, wenn in einem TV-Interview mit Minister Robert Habeck im Hintergrund die „Solitüde“ zu sehen ist.
Der Verein erhält viel Lob und ist auch als gemeinnützig anerkannt. Die „Solitüde“ firmiert allerdings nicht als Traditionsschiff. Das heißt: Es gibt keinen Publikumsverkehr. Dafür wären die Auflagen einfach zu hoch. Deshalb ist der Blickfang maximal mit 12 Personen unterwegs, und zwar nur in der Innenförde. Ochseninseln und Holnis bilden die Grenze. Diese Beschränkungen haben aber durchaus ihren Charme, wie von der Runde in der hinteren Kajüte zu erfahren ist: „Die Solitüde ist in Flensburg das einzige historische Schiff, das von seinen Mitgliedern gefahren wird.“ Acht der zwölf Mitglieder besitzen den nötigen Sportboot-Führerschein. Ein Kalender erfasst die Reservierungen. Ein bis zwei Mal die Woche tuckert die „Solitüde“ los. Als Besatzung genügen ein Kapitän („Wer gerade möchte“) und ein Matrose.
Meistens ist aber eine etwas größere Gruppe an Bord. Und in diesem Jahr soll die Barkasse häufiger als sonst ablegen. Zur Würdigung ihres runden Alters von 80 Jahren. Eine Geburtstagsfeier wird es aber nicht geben. „Wir kennen nicht den Tag der Indienststellung, sondern nur das Baujahr“, erklärt Kassenführer Gerhard Beirer. Während der Rum-Regatta war die „Solitüde“ mehrfach unterwegs, tummelte sich unter den Seglern. Häufiger werden Gäste und Sponsoren an Bord kommen. Auch jetzt zu Sommerbeginn, wenn das maritime Kulturfest „Ahoi“ den Flensburger Hafen erfasst. Und im September ist der Tag des Denkmals.
Das soll Aufmerksamkeit bringen für die „Solitüde“ – und letztendlich auch Spenden. Denn die Mitgliedsbeiträge des Vereins reichen bei Weitem nicht aus, um das schwimmende Denkmal zu unterhalten. Auf 5000 bis 6000 Euro beziffert der Vorsitzende Rüdiger Steinberg die jährlichen Betriebskosten. Und alle paar Jahre muss die Barkasse für eine paar Tage zur Werft. Dann kommen fünfstellige Summen zusammen, wenn zentimeterdicke Muschelschichten entfernt, Sandstrahler eingesetzt und Anstriche erneuert werden müssen.
Text und Fotos: Jan Kirschner