„Eine der schönsten grünen Ecken Flensburgs“, sagte Birger Lühr mit Überzeugung in der Stimme über „Dicker Willis Koppel“. Mittlerweile hat Birger Lühr auf seinen zahllosen Reisen und Exkursionen im Rahmen seiner Forschungen viele sehenswerte Ecken dieses Planeten in Augenschein nehmen dürfen. Nachdem er am 1. März 2017 in den Ruhestand trat, hat er wieder seinen Lebensmittelpunkt in Flensburg gefunden, genauer gesagt in Harrislee, im Hause seiner längst verstorbenen Eltern. „Mein Ruhestand ist allerdings kein solcher“, beschreibt Birger Lühr seinen jetzigen Status. „Ich bin immer noch mit einem Gaststatus am GFZ Potsdam tätig.“ GFZ Potsdam? Ja, korrekt und im Langtitel heißt es „Das Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum Stiftung des Öffentlichen Rechts“. Es ist heute das nationale Forschungszentrum für Geowissenschaften in Deutschland und befindet sich im Wissenschaftspark Albert Einstein auf dem Potsdamer Telegrafenberg. Doch fangen wir die Geschichte dort an, wo sie Mitte der 70er Jahre bzw. Anfang der 80er Jahre so richtig Fahrt aufnahm.
CAU Kiel
Birger Lühr informierte sich nach Abschluss seines Studiums der Elektrotechnik/ Energietechnik und vor Beginn des Folgestudiums umfassend über die Möglichkeiten, die ihm nun an der CAU geboten wurden. Er blieb schließlich beim Fachgebiet „Geophysik“ hängen. Immerhin neun Jahre lang, von 1975 bis 1984, studierte Birger Lühr an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel das Studienfach Geophysik.
Schon vor Beginn seines Geophysik-Studiums konnte er von seiner gleichfalls in Kiel studierenden jüngeren Schwester einen sogenannten „Hiwi-Job“ übernehmen, eine Tätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Theoretische Volkswirtschaftslehre. Ein Job, mit 20 Wochenstunden und Weihnachtsgeldanspruch (einige studentische Hilfskräfte werden speziell für Projekte angestellt und haben dann meist eine befristete Anstellung mit vorab definierten Aufgaben, etwa der Erstellung einer Umfrage oder der Unterstützung bei der Datenverarbeitung und Auswertung). Diesen abwechslungsreichen Job, bei dem er viel lernte, konnte er bis zum Vordiplom in Geophysik ausüben.
Er kam im Rahmen dieses Jobs ziemlich viel herum, so war er häufig in Kiel im Institut für Weltwirtschaft unterwegs, hatte dort einen hier tätigen Japaner kennengelernt, und sich schließlich mit ihm angefreundet. Über diese Freundschaft kam er an interessante Projekte heran, so hat er eine Zeitlang für die japanische Regierung Marktforschung in Deutschland betrieben, hat im Rahmen dieser Aufgabe viel in Archiven der Zeitschriften „Spiegel“ und „Stern“ in Hamburg gearbeitet.
1975 begann Birger das Studium der Geophysik, noch im gleichen Jahr hat er geheiratet, seine Ehefrau brachte ja bereits einen Sohn mit in die Ehe, und schon 1976 erblickte die erste gemeinsame Tochter das Licht der Welt. Es folgten noch zwei weitere Kinder. Die Familie Lühr lebte zu dem Zeitpunkt bereits im Kreis Plön, in Klinten nahe Rastorfer Passau.
Neben dem Studium und dem Hiwi-Job suchte und übernahm Birger noch diverse andere Jobs: Zeitweise war er als Fahrer eines Kranwagens für eine Betonfirma unterwegs, aber auch als Elektriker war er tätig, und machte Überstunden, wo es nur ging – er musste und wollte eben notwendiges Geld für die wachsende Familie verdienen. Und er fand sogar noch genügend Zeit, das angemietete Haus am Waldesrand nach seinen eigenen Bedürfnissen familiengerecht umzubauen. An der Uni hat er sich natürlich auch ab und zu blicken lassen. Er hat allerdings im Grundstudium nur die vorgeschriebenen Vorlesungen besucht – das Studium war anfangs noch sehr verschult. Das änderte sich allerdings im Hauptstudium: In diesem Teil des Studiums sucht sich jeder Student nämlich seine individuellen Studienschwerpunkte. In Birgers Fall waren das die Angewandte Geophysik, Angewandte Physik und Ingenieur-Geologie. Noch während er in der Vordiplomsprüfung saß, bekam sein „Prof“ auf Nachfrage mit, dass Birger zwar einen Hiwi-Job hatte – allerdings nicht in der Geophysik, sondern in einer ganz anderen und fachfremden Fakultät. Das ging nach Meinung seines „Profs“ nun gar nicht. Der machte sich folgerichtig stark für Birger, und noch in kürzester Zeit besorgte er ihm einen passenden Hiwi-Job im eigenen Institut.
Nach rund 5 Jahren in Klinten zog die Familie Lühr um, wohnte in den kommenden 4 Jahren in Preetz, bis zum Jahre 1984. Aus beiden angemieteten Häusern mussten sie übrigens ausziehen, weil die jeweiligen Eigentümer Eigenbedarf geltend machten.
Die Karriere im Berufsleben
Im Juni 1984 schloss Birger Lühr erfolgreich sein Studium ab. Er war nun Diplom-Geophysiker und Diplom-Ingenieur, der Titel seiner Diplom-Arbeit lautete: „Bestimmung der Salzwasser-Süßwasser-Grenze mit geophysikalischen Methoden in einem 50 qkm-Gebiet an der Westküste Schleswig-Holsteins.“ Für die Erstellung dieser Diplom-Arbeit hat er drei Jahre lang akribisch geophysikalische Messungen durchgeführt und Ergebnisse zusammengetragen, um auf einer soliden Basis zum Thema schreiben zu können. Auch schon in dieser Zeit arbeitete er auf Honorarbasis und parallel zum Studium, z. B. für die Firma Geophysik Consulting GmbH in Kiel. Sein Schwerpunkt lag in jenen Jahren auf der Erforschung von „Grundwasserleitern und Grundwasserreservoiren“.
Berlin
Kurz nach Abschluss des Studiums wechselte er beruflich zu seiner ersten Anstellung nach West-Berlin. Dort war er von 1984 bis 1987 als Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Angewandte Geophysik der Technischen Universität (TU) Berlin tätig. In den ersten sechs Monaten ist Birger noch zwischengefahren, damals im Winterhalbjahr eine zeitraubende und nervige Angelegenheit, musste er doch jedes Mal durch die DDR fahren und dabei die lästigen innerdeutschen Grenzkontrollen ertragen. Die Situation entspannte sich für Birger und die Familie erst, als die Lührs in Berlin-Friedenau eine wunderschöne Maisonette-Wohnung fanden, die für einige Jahre ihr neues Zuhause wurde.
Friedenau war und ist gefühlt wie eine Oase in der Großstadt. Die Wohnungen sind groß, die Fassaden prächtig, die Villen haben hübsche Vorgärten. Die meisten Häuser stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert und stehen heute unter Denkmalschutz. Das war genau das, was den Lührs entgegenkam, wollten sie doch nach vielen Jahren auf dem Lande auch weiterhin in einer schönen Umgebung leben. Die Berliner Zeit war für Birger Lühr mit viel Arbeit verbunden, sein Vorgesetzter und Professor ließ ihn zahlreiche komplexe Vorlesungen und Übungen halten, deren Vorbereitung und Ausarbeitung nur mit viel Einsatz und Zeitaufwand zu leisten war.
Messexkursionen mit Studenten führten ihn u. a. in die Oberpfalz und nach Öland, Schweden. Eine sechswöchige Forschungsreise brachte ihn sogar nach Ägypten und in die Libysche Wüste, bis an die Grenze zum Sudan.
Berlin war insgesamt für die Familie eine anstrengende Zeit, wenngleich sie das kulturelle Leben in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft genießen konnten. Zahlreiche Künstler lebten und wohnten auch in Friedenau. Die Abende waren oftmals bestimmt von Hauskonzerten, Soirées, und zahlreichen Begegnungen mit guten Freunden, Nachbarn und Bekannten.
Kiel
Als sich Birger Lühr die Chance bot, beruflich wieder in den hohen Norden wechseln zu können, nahm er diese Gelegenheit gern wahr. Er arbeitete in den Jahren von 1987 bis 1992 als Wissenschaftler am Geophysikalischen Institut der Uni Kiel. Dort war er unter anderem mit der Umsetzung und Realisierung eines aktiven seismischen Experiments im Rahmen des „Türkisch/Deutschen Erdbebenvorhersage-Forschungs-Projekts“ befasst.
Von Berlin nach Kiel musste Birger nur eine ziemlich kurze Zeit zwischenfahren, bot sich doch recht schnell die Möglichkeit, in Bredenbek ein Haus anzumieten. Bredenbek liegt mittig zwischen Rendsburg und Kiel, rund 20 km entfernt von seinem neuen Arbeitsplatz.
In Kiel konnte Birger sich wesentlich mehr aufs Forschen und Erforschen konzentrieren – das war genau das, was er gern wollte. Als Ende 1989 plötzlich die Mauer fiel, ein Jahr später Ost- und Westdeutschland zusammenwuchsen und die Wiedervereinigung anstand, durchlebte Birger kurz danach, im Jahr 1991, eine kleine persönliche Krise. Er ging mittlerweile auf die 40 Lebensjahre zu, und musste und wollte eine Entscheidung herbeiführen, wie es mit ihm beruflich weitergehen sollte. Er stand an einem Scheideweg, hatte drei Optionen, die er immer wieder gegeneinander abwog. Er musste sich entscheiden zwischen einer künftigen Forschungstätigkeit in Potsdam, der Mitarbeit und eventuell späteren Übernahme in einer Firma in der freien Wirtschaft (die für die Geophysik verwendete Produkte vertrieb und produzierte), oder einer Anstellung als künftiger Berufsschullehrer bzw. Lehrer am Fachgymnasium – diese dann aber bitte nur und ausschließlich in seiner Heimat in Flensburg.
Seine Wahl fiel schließlich auf Potsdam. Wie kam es dazu? In Potsdam gab es schon zu DDR-Zeiten ein Forschungszentrum, das Zentralinstitut für Physik der Erde (ZIPE).
In Anlehnung an dieses Institut, und da es vor der Wende in Westdeutschland kein vergleichbares, reines Forschungsinstitut der Geowissenschaften gab, wurde im Januar 1992 das Deutsche GeoForschungsZentrum gegründet. Sein damaliger Chef und Vorgesetzter in Kiel hatte sich bereits für einen Wechsel nach Potsdam entschieden, und wollte Birger unbedingt mit dorthin nehmen. Birger war sich nicht sicher, ob er den Schritt tatsächlich machen sollte. Seine unumstößliche Vorbedingung war, dass man ihm dort einen unbefristeten Vertrag – eine feste Stelle – würde anbieten müssen. Das war in der Forschung eigentlich unüblich, gab es doch ansonsten fast nur zeitlich befristete Projektstellen für in diesem Metier tätige wissenschaftliche Mitarbeiter. Als Birger schon dachte, dass die Zusammenarbeit nicht zustande kommen würde, fragte ihn sein Chef nach rund drei Monaten, ob er noch an seiner Grundbedingung festhalten würde. Er könnte ihm jetzt die entsprechende Zusage machen, und alsbald war es dann abgemacht und besiegelt.
GFZ Potsdam
So kam es, dass Birger am 1. Juni 1992 ans GFZ Potsdam wechselte. Dort arbeiteten seinerzeit immerhin 360 Mitarbeiter, davon durften jedoch – so war es vertraglich vereinbart, nur 10 Prozent der Mitarbeiter aus dem Westen Deutschlands (BRD) stammen – Birger war somit einer von nur 36 „Westlern“ am GFZ. Heute hat das GFZ gut 1.200 Beschäftigte.
Für ihn hieß der Wechsel nach Brandenburg jetzt erneut: Pendeln zwischen Arbeitsplatz und Wohnort. Immerhin sechs Jahre lang nahm Birger das diesmal auf sich, fuhr jede Woche von Flintbek bei Kiel nach Potsdam. Flintbek? Ja, 1991 musste die Familie Lühr erneut umziehen, wegen Eigenbedarfskündigung, erwarb schließlich in Flintbek ein eigenes altes Haus, das zwar über eine gute Bausubstanz verfügte, jedoch zum behaglichen Wohnen und Leben erst noch hergerichtet werden musste – erneut nahm Birger diese handwerkliche Mammut-Aufgabe auf sich.
Seit 1992 war Birger nun als Wissenschaftler am GFZ Potsdam tätig, eingesetzt in der Abteilung/Sektion „Naturkatastrophen“. Dort setzte er die bereits in Kiel begonnene Arbeit im Rahmen des Erdbebenvorhersageforschungsprojekts fort, hielt sich deshalb beruflich mehrmals im Jahr in der Türkei auf. Anfangs fuhr er noch mit dem Auto (meistens einem VW-Bus) die gesamte Strecke „runter“ bis in die hintere Türkei, war dabei gut drei Tage unterwegs und erlebte manchmal haarsträubende Geschichten auf diesen seinen Abenteuerreisen. Damals gab es zahlreiche ausgebaute Autobahnabschnitte auf jener Strecke noch gar nicht, und auf der sogenannten Balkanroute waren viel zu oft Fahrzeuge unterwegs, die niemals hierzulande durch den TÜV gekommen wären, von Fahrern gelenkt, die vermeintliche Verkehrsregeln konsequent ignorierten und sich oft genug todesmutig ins Getümmel stürzten. So hat Birger in diesen Jahren manchen schrecklichen Unfall mit ansehen müssen, und unzählige waghalsige Fahrmanöver anderer Verkehrsteilnehmer glücklicherweise schadlos überstanden.
Im Jahre 1998 fanden die Lührs – endlich! – ein neues Zuhause in Brandenburg, in zumutbarer Nähe zum GFZ Potsdam. Beelitz lautete die neue Anschrift, ein Ort südwestlich von Berlin und Potsdam. Aus mehreren Gründen wurden sie dort jedoch nicht heimisch. Das neue Gefühl, zuhause zu sein, stellte sich erst später ein: Nach einer weiteren kurzen Zwischenstation in Michendorf entdeckten sie schließlich ein passendes Wassergrundstück am Zernsee im Ortsteil Golm für sich. Dieses Grundstück lag zwar gefühlt „in der Walachei“, wie Birger Lühr es augenzwinkernd formulierte, und war im Winter mit dem Auto nur schwer zu erreichen. Dafür bot es einen einmaligen Blick auf den See, und war direkt am Wasser gelegen. Sie konnten in ihrem neuen Zuhause die Natur pur genießen, wohnten in unmittelbarer Nachbarschaft zu vielen Tierarten, insbesondere hierzulande nicht so oft auftretende Vögel wie See- und Fischadler oder Milane waren häufige und gern gesehene Nachbarn.
Birger Lühr sollte bis zum offiziellen Eintritt in den Ruhestand am 1. März 2017 als Wissenschaftler am GFZ Potsdam tätig sein. Seine ziemlich genau 25 Jahre währende dortige Tätigkeit war besonders durch die im Folgenden genannten Projekte geprägt. Neben der Fortführung der Erdbebenforschung in der Türkei war er von 1995 bis ins Jahr 2002 am MERAPI-Projekt beteiligt. Im Rahmen des Projekts führte er mehrere seismische Experimente zur Untersuchung der inneren Struktur des Vulkans durch. Der Merapi ist ein Schichtvulkan auf der Insel Java in Indonesien. Er ist einer der aktivsten Vulkane des Landes und gilt als einer der Hochrisiko-Vulkane der Welt.
Ab dem Jahr 1997 war Birger zudem Assistent von Prof. Dr. Jochen Zschau im Hinblick auf die Koordination des MERAPI-Projekts, an dem mehrere indonesische und deutsche Universitäten und Institutionen beteiligt waren.
Während seiner vielen Aufenthalte in Indonesien erlebte er zahlreiche Abenteuer, so weilte er unter anderem anlässlich einer entsprechenden Einladung bei einem leibhaftigen Sultan zu Besuch.
Seit 2001 war er in die Vorbereitung des Projekts SUNDAARC und des eingebundenen Projekts MERAMEX (neben zwei anderen) aktiv involviert.
Dieses Projektpaket wurde seitens des BMBF für den Zeitraum 2004 bis einschließlich 2007 bewilligt. Im Rahmen von SUNDAARC wurden insbesondere die Vulkane Krakatau, Merapi und Kelut in Indonesien sowie weitere Vulkane am Aleuten-Bogen und in Mexiko als typische Vertreter eines explosiven vulkanischen Ausbruchsverhaltens untersucht.
In 2006 leitete Birger Lühr als Koordinator einen Taskforce-Einsatz (Einsatzgruppe) nach dem katastrophalen Magnitude 6.3 Bantul-Erdbeben: Dieses auch als „das Erdbeben von Yogyakarta“ bekannte Beben erschütterte am 27. Mai 2006 den Boden. Das Erdbeben mit der Magnitude 6,3 hatte sein Epizentrum im Sultanat Yogyakarta auf der indonesischen Insel Java. Mehr als 5.700 Menschen kamen bei der Katastrophe ums Leben, mindestens 37.000 wurden verletzt. Mehr als 350.000 Gebäude wurden zerstört oder beschädigt.
Bis zum Jahr 2017 koordinierte Birger Lühr diverse weitere Projekte in der Türkei, in Indonesien, auf Sizilien, sowie in Kamtschatka, und nahm an diesen vor Ort teil.
Kamtschatka ist die größte Halbinsel Ostasiens und befindet sich zwischen dem Beringmeer und dem Nordpazifik im Osten und dem Ochotskischen Meer. Die dünnbesiedelte, russische Halbinsel ist 1.200 km lang, bis zu 450 km breit und teilweise militärisches Sperrgebiet. Auf Kamtschatka befinden sich etwa 29 aktive Vulkane (von mehr als 160 insgesamt) und viele Geysire. Jährlich brechen im Durchschnitt sechs(!) dieser Vulkane aus. Der Kljutschewskaja Sopka, auch Kljutschewskoy-Vulkan genannt, auf Kamtschatka in Russland ist der höchste aktive Vulkan Eurasiens. Er ist Teil einer größeren Vulkangruppe, mit sehr unterschiedlichem Eruptionsverhalten, und etwa 8000 Jahre alt. Die Vulkane Kamtschatkas zählen zum Pazifischen Feuerring.
Bis 2017 waren die Teilnahme an Koordination und Durchführung von Projekten in der Türkei, Indonesien, Italien, sowie in Russland (KISS, seismographisches Experiment am Klyuchevskoy Vulkan) regelmäßiger Bestandteil seiner Arbeit.
Reisen durch die Welt
In seiner langjährigen Tätigkeit als Wissenschaftler ist Birger Lühr ziemlich weit in der Welt herumgekommen. Er leistete unzählige Beiträge zur Feldarbeit an oder auch in nationalen Projekten in zahlreichen Landstrichen Deutschlands, international in Europa: Frankreich, Italien, Russland, Schweden, Türkei waren z. B. die Ziele. In Amerika arbeitete er in Chile und in Mexiko, in Afrika forschte er in Ägypten, in Asien hauptsächlich in Indonesien, und auf Kamtschatka sowie in Nepal.
Seine umfassenden Erfahrungen in der praktischen Anwendung speziell seismischer und geoelektrischer Messungen haben stets Anlass gegeben, ihn zu komplexen und komplizierten Forschungen hinzuzuziehen.
Auf seinen Reisen sind ihm viele bemerkenswerte Menschen begegnet, fremde Kulturen, sehr viel Herzlichkeit und menschliche Wärme, und manchmal sogar Kurioses.
Kurz vor Ende eines Aufenthaltes in Mexiko, nach anstrengender Rückreise von Puebla in die Hauptstadt Mexico City, machte er mit einigen Kollegen eine Pause in einem Ort namens Linares. Mit einheimischen Freunden wollten sie dort ein Bier trinken in einer Kneipenlandschaft, die sich als „Zona rossa“ erwies, zu Deutsch „Vergnügungsviertel“ – in diesem Fall jedoch eher ein „Puff“, wie man ihn aus zahlreichen Western-Verfilmungen kennt. Beim Betreten des Etablissements wurde jedermann auf Waffen durchsucht, als Pissoir diente ein leeres und ziemlich verkommenes Swimming-Pool-Becken. Kurz vor der Ankunft in Mexico City wurden sie von Polizisten angehalten, mussten ihre Geldbörsen samt Inhalt abgeben – sonst wären sie in den Knast gesperrt worden. „Zum Glück war in meinem Portemonnaie nicht viel drin – auf Auslandsreisen versteckten wir unser Bargeld an mehreren für Diebe unzugänglichen Körperstellen“, denkt Birger noch heute mit Schrecken an jene Szene zurück.
In Ägypten wollten er und ein Begleiter von Kairo mit dem Zug nach Alexandria reisen, machten vor Abfahrt des Zuges noch Fotoaufnahmen nahe des Bahnhofs, und wurden prompt von einer Zivilstreife wegen vermeintlicher Spionage verhaftet und mit auf eine nahegelegene Polizeistation genommen. Dort wurden sie in einem unterirdisch gelegenen Büro – direkt neben spartanisch ausgestatteten Arrestzellen, verhört, sollten ein auf Arabisch verfasstes Protokoll unterschreiben. Als sie endlich den ägyptischen Polizisten klarmachen konnten, dass sie keine Spione, sondern westdeutsche Wissenschaftler seien, entschuldigte sich ein höherer Polizeioffizier für die erlittenen Unannehmlichkeiten bei ihnen; man brachte sie umgehend per Streifenwagen zurück zum Bahnhof, um dann endlich die geplante Zugreise antreten zu können.
Bei einem seiner zahlreichen Aufenthalte auf Kamtschatka wurde er von den russischen Behörden einmal sogar erkennungsdienstlich behandelt, ihm wurden Fingerabdrücke sämtlicher zehn Finger abgenommen, selbst die Handflächen wurden dabei nicht ausgelassen. Hintergrund war die einige Jahre zurückliegende Episode in Ägypten, als man Birger wegen vermeintlicher Spionage kurzzeitig verhaftet und inhaftiert hatte. Das war den Russen längst bekannt, wie er später erfuhr. Man sieht: Die Zusammenarbeit der Geheimdienste weltweit klappt bestens!
Sonstige Tätigkeiten
Birger war dank seines Ingenieurstudiums auch an der Entwicklung geophysikalischer Messsysteme, in enger Zusammenarbeit mit der Industrie, beteiligt. Es gab sogar Momente, in denen er insgeheim bedauerte, nicht den Weg in jene Industrie genommen zu haben, wurden doch in diesen Betrieben ganz andere Gehälter gezahlt als im Rahmen der Forschung im öffentlichen Dienst.
Überhaupt: Birger Lühr findet es auch heute noch bedauerlich, dass der öffentliche Dienst hierzulande für Wissenschaftler wahrlich nicht besonders attraktiv ist. „Kaufkraftmäßig sind Wissenschaftler nach der Wende förmlich abgestürzt!“, erwärmt er sich für dieses Thema. Dennoch – für ihn zählte in erster Linie die ihm wichtige wissenschaftliche Tätigkeit, das Geld war zwar für einen ordentlichen Lebensunterhalt einer Familie mit vier Kindern unabdingbar, aber hatte bei weitem nicht den hohen Stellenwert. Den hatten dagegen seine Forschungsthemen: Struktur-Untersuchungen an aktiven Vulkanen und Erdbebenverwerfungen, Überwachung geophysischer Aktivitätsparameter und daraus resultierender Gefährdungsbeurteilung ebendort.
Schon während des Studiums brachte sich Birger in die Lehre ein und auch später übernahm er in Vertretung die Vorlesung seines Direktors. Seit dem Sommersemester 2012 lehrte Birger im Rahmen eines Masterstudiengangs Vulkanologie, hielt Vorträge und Vorlesungen zu vulkanischen Gefahren und Risikobewertung an der Uni Potsdam, und tut dies bis heute ehrenamtlich.
Ehrenamtlich hat sich Birger in mehreren Vereinen engagiert, so als Kassenprüfer im Naturwissenschaftlichen Verein von Schleswig-Holstein, auch als Gründungsmitglied und langjähriger Schriftführer des Vereins der Freunde und Förderer der Geophysik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Von 2007 bis einschließlich 2019 war Birger Geschäftsführer und Präsidiumsmitglied der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft (DGG) tätig. Die Deutsche Geophysikalische Gesellschaft ist ein e. V. und wurde 1922 in Leipzig gegründet. Der Verein hat etwa 1.300 Mitglieder in 30 Ländern und kooperiert mit einer Reihe internationaler und nationaler Gesellschaften. Der Geschäftsstelle saß Birger jahrelang vor: mit Sitz im Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam.
„Erdbebenvorhersagen sind nicht möglich!“
Wir wollten von Birger Lühr schließlich noch wissen, ob Ereignisse wie Erdbeben oder Vulkan-
ausbrüche eigentlich vorhersehbar seien. So erklärt er, dass wir heute wissen, wo Erdbeben auftreten können, und auch die wahrscheinlich maximale Stärke lässt sich abschätzen. „So warten wir Geophysiker und Seismologen z. B. auf ein Beben im Kölner Raum, dass eine Magnitude von 6,3 erreichen könnte.
Eine Vorhersage, bestehend aus der Angabe des Zeitpunktes, des genauen Ortes und der Stärke in gewissen Fehlergrenzen ist jedoch generell noch nicht möglich.“ Die Öffentlichkeitsarbeit, in die er am GFZ eingebunden war, war ihm stets eine Herzensangelegenheit. Er verweist in diesem Zusammenhang auf ein Interview, das er vor knapp zehn Jahren der Deutschen Welle gab, und das heute inhaltlich noch ebenso aktuell wie seinerzeit war und ist – siehe im Internet unter www.dw.com.
Ruhestand
Seit 1. März 2017 befindet sich Birger Lühr offiziell im Ruhestand. Mit jenem Tag haben er und seine Frau ihren Wohnort zum wohl letzten Mal gewechselt; sie wohnen seitdem wieder in Harrislee, im elterlichen Haus. So hat sich gewissermaßen ein Kreis geschlossen. Der Junge von einst, der auf „Dicker Willis Koppel“ mit Hurra und kindlicher Freude den Hang runterschlidderte, und später als „großer Junge“ weltweit so manchen etwas höheren „Hügel“ bestieg, hat wieder nach Hause gefunden. Sein jetziges Leben hat allerdings wenig mit dem Begriff „Ruhestand“ gemein. Er hat noch heute ein Büro in Potsdam, fährt gelegentlich dort hin, schreibt Artikel für Fachblätter, werkelt gern in Haus und Garten, genießt den Umstand, nur noch ausgewählte und selbstbestimmte Reisen anzutreten, pflegt das Familienleben, mittlerweile machen fünf Enkelkinder viel Freude … und segelt nach Lust und Laune in hiesigen Gewässern auf seinem Boot! Wir drücken ihm die Daumen, dass er auch künftig in jeder Hinsicht immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel haben möge! Das Flensburg Journal bedankt sich für tolle Gespräche!
Birger Lühr stand Peter Feuerschütz Rede und Antwort
Fotos: Benjamin Nolte, privat