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Stefan Nissen – 50 Jahre SG-Fan

Stefan Nissen

Im Keller lagern etliche Schals und Trikots der letzten Jahrzehnte. Und wenn Stefan Nissen eine Kiste die Treppe hochträgt, kann man sich sicher sein, dass er einige höchstinteressante Exponate anschleppt, die die nächsten Stunden für Gesprächsstoff sorgen werden – sofern das Herz für die SG Flensburg-Handewitt schlägt. Ein solches hat der 61-Jährige Flensburger, den man in der „Hölle Nord“ eigentlich nur als „Sherlock“ kennt. Er verfolgt seit fünf Dekaden das hiesige Handball-Geschehen, geht mit „seiner“ SG durch Dick und Dünn und kann bei den Spielen aus einem riesigen Repertoire aussuchen. Als der Fan-Club „Hölle Nord“ vor einigen Wochen für die Hamburg-Tour ein Retro-Motto ausgerufen hatte, dachte er zunächst daran, mal wieder seine alte Kutte anzuziehen. Dann entschied er sich für das Trikot, das Jan Fegter in der Saison 1995/96 getragen hatte. Stefan Nissen war schon als Junge sportbegeistert. Zunächst gab der Fußball den Ton an. Flensburg 08 war in den 70er Jahren zwei Mal Landesmeister und lockte bis zu 9000 Zuschauer ins Stadion. 1974, vor 50 Jahren, sah er als Elfjähriger das erste Handball-Spiel seines Lebens: Regionalliga, TSB Flensburg. Er ist sich nicht mehr ganz sicher, wer der Gegner war. Aber vor den Augen zwirbelt TSB-Legende Hans-Joachim Krüger dem TV Grambke noch immer die Bälle ins Netz. Und auch die Begleitperson – war es ein Freund oder doch der Vater? – ist im Laufe der Zeit verschwommen. Die Route von der Marienallee über die Goerdelerstraße und die Westerallee in die Moltkestraße zur Idraetshalle hat sich aber festgebrannt. Die dänische Minderheit verfügte über die einzige Halle in der Fördestadt, die mehr als 1000 Zuschauer fasste. Und als Jugendlicher stand man ganz hinten an der Wand – hinter der letzten Sitzplatzreihe.

Stefan Nissen – 50 Jahre SG-Fan
Ein besonderer Ball

Auf dem Weg zur „Super-SG“

Die Wege wurden bald etwas weiter. Der TSB spielte in der KGS Adelby – und erlebte 1979/80 ein einjähriges Bundesliga-Intermezzo. „Sherlock“ Nissen kann die Namen der damaligen Aufstiegshelden noch immer herunterbeten. Aus jener Zeit kramt er einen „Torwurf“, das kleine Hallenheft, hervor. Es stammt von einem Derby: TSB gegen SG Weiche-Handewitt. Mit Kugelschreiber notierte der Teenager das Ergebnis: 16:12. „Damals war ich für den TSB, und habe gegen die SG geschrien“, verrät er. Als dann aber die Handballer vom Dorf die Flensburger überflügelten und 1984 erstklassig wurden, war „Sherlock“ Nissen neugierig und besuchte die Spiele in der Handewitter Wikinghalle. Er hat noch ein kleines Prospekt mit dem Spielplan von 1988/89. Die Saison seiner ersten SG-Dauerkarte. Begeistert war er, als 1990 die „Super-SG“ entstand und es TSB Flensburg und Handewitter SV gemeinsam versuchten.

Stefan präsentiert seine alte Fan-Kutte

Eine neue Rivalität entflammte. „Sherlock“ Nissen zeigt ein Kieler Hallenheft von 1989 und einen Leserbrief, in dem er sich an einem Klub aus der „verbotenen Stadt“ abarbeitete. Zeitweise entwickelte er ein Ostseehallen-Trauma. „Ich bin da seit den 80er Jahren 18 Mal hingefahren – und das Beste war ein 18:18“, erzählt die treue SG-Seele. „Aber dann kam 2003.“ Die SG siegte in der Höhle des Löwen tatsächlich mit 31:29. Stefan Nissen hatte ein Zeitungsfoto aufgehoben, das ihn und einen anderen Fan zeigt, wie sie auf Knien dem Spielfeld huldigen. Und nur einige Monate später der zweite Streich in Kiel. Stefan Nissen hatte damals eine Tapetenrolle mit einem Spruch verziert: „Euer Albtraum kommt wieder, wir sind wieder da!“ Auf dem Tisch steht ein kleiner Pokal, den einzigen in einer illustren Sammlung. Den gab es einst für einen neunten Platz bei einem Fan-Turnier in Lemgo. „Im entscheidenden Spiel haben wir die THW-Fans geschlagen – mit 8:7 im Siebenmeterwerfen“, schmunzelt „Sherlock“ Nissen.

Erinnerung an einen Derby-Sieg

Seit 1990 viele Auswärtsfahrten

Er öffnet einen durchsichtigen Umschlag. In ihm stecken etliche Tickets von Auswärtsspielen in grauer Vorzeit. Demnach war er erstmals am 28. April 1990 im Fan-Bus in die Fremde gereist. Das Ziel: die Düsseldorfer Sporthalle in der Graf-Recke-Straße. „Nur zwei Wochen später war ich ja erneut los“, staunt Stefan Nissen selbst, als er eine Eintrittskarte vom VfL Fredenbeck sichtet.

Damals träumte der gelernte Einzelhandelskaufmann davon, im Radio über die SG-Spiele zu berichten – so wie es in jener Zeit RSH-Moderator Carsten Köthe pflegte. „Deinen Job mache ich, wenn du aufhörst“, scherzte Stefan Nissen bisweilen. Heute erzählt er mit einem Lächeln: „Wir verstanden uns gut und sahen auch fast so aus wie Brüder.“ Dann hatte der Radio-Reporter in Theo Lenz aber einen anderen Nachfolger. Dessen Worte vom 22. April 1992 zu später Stunde hat Stefan Nissen noch immer im Ohr: „Das langt dicke!“ Die SG war in die Bundesliga aufgestiegen. Die Fan-Szene organisierte sich stärker. „Sherlock“ Nissen gehörte zu den ersten „Wikingern“ und saß ein paar Jahre später in der „Hansen´s Brauerei“ am Nordermarkt, als sich die Vereinigung „Hölle Nord“ zusammenfand. „Wir waren sieben oder acht Leute“, erzählt er und zaubert einen Brief vom Gründungsvorsitzenden Detlef Drescher hervor.

Eintrittskarten aus ganz Europa

Von Spanien bis Slowenien

In einer anderen durchsichtigen Tüte hat der Handball-Enthusiast internationale Eintrittskarten aufbewahrt. Er war im spanischen Granollers, im französischen Dünkirchen oder im slowenischen Celje – stets mit dem Bus. Lediglich nach Barcelona wählte Stefan Nissen 2007 ein anderes Verkehrsmittel. „Da bin ich das einzige Mal geflogen“, verrät er. „In Palau Blaugrana haben wir dann die gesamten 60 Minuten gesungen.“ Vor ihm liegt eine größere Zeitungsveröffentlichung vom 31:21-Kantersieg im Hinspiel – inklusive einem Foto von ihm. Keine Frage: „Sherlock“ Nissen ist beim Anpeitschen, Singen, Zittern und Jubeln fotogen.

Und er ist findig, wenn es darum geht, besondere Utensilien abzustauben. Von der Meisterschaft 2004 hat er tatsächlich das Shirt von Trainer Kent-Harry Andersson. Und das Trikot von Glenn Solberg aus der Serie 2005/6 erforderte eine lange Vorbereitung. „Er hatte es mir schon Monate vorher – bei einer Tour nach Paris – versprochen“, plaudert der Edel-Fan, der über einen guten Draht zu den Handball-Stars verfügt. Ein anderes Souvenir hängt an der Stuhllehne. Ein Trikot mit der Nummer sieben und dem Namenszug von Anders Eggert. „Unser zukünftiger Co-Trainer“, grinst er.

„Schatzkiste“ aus dem Keller

Ein kleines Köln-Trauma

Etwas verlegen blickt „Sherlock“ Nissen allerdings auf einen Ball, den er 2014 bei einer Tombola gewonnen hatte und den er sich von allen Spielern signieren ließ. Als Erinnerung an den großen Triumph von Köln in der Champions League. Er selbst war allerdings nicht vor Ort gewesen. Stefan Nissen hatte damals keinen Pfifferling auf die SG gesetzt und verpasste eine Titelsause. „Das soll mir nicht noch einmal passieren“, hat er sich fest versprochen.

Retro-Modus: Trikot von 1996, Hallenheft von 1977, Spielplan von 1988

Mitte April war er beim Final Four in Köln. Freitagmorgen los, Samstagabend das Halbfinale, in der Nacht zu Montag zurück – ein knackiges Programm. Und kostspielig war es. Für Bus-Transfer, Ticket im Oberrang und zwei Übernachtungen musste der Fan 420 Euro berappen. Ohne Bierchen oder etwas zum Essen. „Viele, die sonst immer mit waren, fahren nicht mehr, weil es ihnen zu teuer geworden ist“, hat Stefan Nissen beobachtet. Ernüchternd das sportliche Abschneiden, das gewiss nicht zu den Höhepunkten in 50 Jahren Fan-Dasein zählt. „Ich habe schon viele kommen und gehen sehen“, sagt er. Damit meint er nicht nur Spieler und Trainer, sondern auch Fans, die irgendwann andere Interessen und Vorlieben entdeckten. Stefan „Sherlock“ Nissen ist immer noch dabei.

Text und Fotos: Jan Kirschner

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