Smartphones sterben nicht. Zumindest könnte jedes fünfte der jährlich 1,5 Milliarden verkauften Geräte ein langes Leben haben. In unserer Ex- und Hoppgesellschaft jedoch werden Millionen von Geräten bestellt, wieder zurückgegeben, vorzeitig entsorgt oder landen unbenutzt in der Schublade. Nicht nur ein ökonomischer sondern ein ökologischer Verlust. Wertvolle Rohstoffe gehen verloren, die Umwelt mit Elektroschrott belastet. Vom Wertverlust in Euro und Dollar ganz abgesehen.
Die Industrie hat sich längst dieses Phänomens angenommen, bietet Lösungen an, um Rückläufer und Reparaturgeräte dem Markt wieder zugänglich zu machen. Doch kann der Kunde sicher sein, dass ein Versandrückläufer oder ein repariertes Gerät wirklich voll funktionsfähig ist, möglichst „so gut wie neu“ seinen Dienst leistet? Bisher wurden Geräte oft manuell auf ihre Funktionen getestet, die Tasten gedrückt, die Kamera ausgelöst, der Speicher geprüft und die wesentlichen der oft verschachtelt angeordneten Funktionen getestet. Doch manuelle Prüfung durch Menschenhand ist immer subjektiv, die Ergebnisse nicht mit absoluter Sicherheit wiederholbar, sind also weder verlässlich und zuverlässig.
Erst ein Standardverfahren mit immer gleichen Abläufen ohne Abweichungen und menschliche Subjektivität kann Abhilfe schaffen. Flensburger Ingenieure arbeiten seit fünf Jahren an einer Lösung, die all diese Einschränkungen aufhebt, die geforderten Kriterien erfüllt und der Industrie eine Lösung bietet, die nicht nur ökonomisch ist, sondern auch der Umwelt zugute kommen. Jetzt ist die Marktreife erreicht, die Lösung bereit für die kommerzielle Anwendung.
Know-how, made in Flensburg
Die vier Entwickler des grauen Kastens, in dem die Anwendung verborgen ist, kommen aus der Flensburger Hochschul- und Technologieszene.
Uwe Andersen hat an der Flensburger FH Elektronik und Informatik studiert. Er ist auf das Testen von Audio-Funktionen spezialisiert, Mikrofon und Lautsprecher des Smartphones, weiß, was in dem Gerät mit den akustischen Daten geschieht, welche Lautstärke, welchen Klirrfaktor das Gerät haben darf, muss und kann.
Axel Schneider, mit 51 Jahren der Senior von XIXLAB, hat seine Sporen bis 2012 bei Motorola verdient. Dort hat er Testsysteme für die damals hier produzierten Handys entwickelt, war weltweit für den Konzern tätig und hat an der Quelle erlebt, wie Mobiltelefone und später Smartphones entwickelt und getestet wurden. „Die Anforderungen der Hersteller an Testumgebungen sind völlig anders als die der Unternehmen, die wir jetzt mit unserer Lösung bedienen“, sagt er und ergänzt: „Die kennen ihre Geräte und können im Produktionsprozess das testen, das sie selbst entwickelt haben.“
Die Testanordnung, die XIXLAB entwickelt hat, muss und kann sich dagegen an so gut wie jedes auf dem Markt befindliche Gerät anpassen, testet ein SAMSUNG ebenso wie ein I-Phone, ein HTC ebenso wie ein HUAWEI. Die große Herausforderung, die sich den Flensburger Entwicklern stellte, war es, auch ohne tiefgehende Unterlagen der Hersteller, eine Testumgebung aufzubauen, die alle äußeren wie inneren Funktionen eines Gerätes auf Herz und Nieren prüfen kann.
Geheimnis hinter schalldichten Türen
Der graue, kühlschrankgroße Kasten verrät zunächst nicht sein komplexes und intelligentes Innenleben. Nur das tabletgroße Display lässt ahnen, was sich in den nächsten Minuten im Inneren der Box abspielen wird. Um das zu beobachten, bleiben die Klappen in den nächsten Minuten für den Beobachter geöffnet, nicht ohne Folgen bei der Fehleranalyse. Das zu testende Gerät ist in einem Metallrahmen eingespannt. Über ihm eine Kamera, ein Mikrofon und mechanische Taster, bereit, dem Smartphone „zu Leibe zu rücken“. Das darf man wörtlich nehmen. Denn neben Testläufen, die das elektronische Innere prüfen, die SIM-Karte, die Batterie, die Temperatur, WLAN, Bluetooth-Funktion und vieles andere, gehen mechanische Sensoren auf das Gerät los, drücken Tasten, wischen über den Bildschirm, feuern Geräuschsalven ab, horchen auf Klingel- und Funktionstöne, fotografieren Testbilder auf dem Display, lösen die Kamera des Gerätes aus, lassen es eine Testbildtafel fotografieren, testen den Annäherungssensor, den Lichtsensor und erstellen schließlich aus etwa 25-40 Testläufen einen Befund, der Auskunft über den „Gesundheitszustand“ des Gerätes liefert.
Bei unserem Testlauf sind rund 10 der Testfunktionen rot markiert, Fehler! Fehler? Axel Schneider klärt uns auf. Die Fehlermeldungen sind Ergebnis unserer „offenen“ Einsicht in den Testablauf. Durch die geöffneten Klappen drangen Störgeräusche ein, verfälschte Lichteinfall die optischen Tests. Ein Beweis, dass die Anordnung sensibel auf jeder Veränderung reagiert.
Aus Flensburg in die ganze Welt
Bis der graue Kasten die Marktreife erhalten hat, war ein fünfjähriger Entwicklungsprozess nötig, der jetzt zum Abschluss kommt. Am Anfang stand ein Pflichtenheft. Der Aufwand beim Testen von Rückläufer- und Reparaturgeräten sollte verringert werden. Wichtiger jedoch, der „human factor“, die subjektive Beurteilung sollte durch eine objektive Anordnung, ein zuverlässiges, wiederholbares Verfahren ersetzt werden. Nicht zuletzt sollte vermieden werden, dass noch brauchbare oder reparaturfähige Geräte auf dem Müll landen. Für den Anwender, den Reparatur- oder Recyclingbetrieb sollte eine klare Entscheidungshilfe geliefert werden. Müll oder Wiederverwertung?
Nicht nur die absolute Menge jährlich eineinhalb Milliarden verkaufter Geräte, sondern die zunehmende Vielfalt der Produkte schafft für die Flensburger einen fast unermesslichen Markt weltweit. Nur wenige Mitbewerber teilen sich diesen Kuchen. Eine Chance, die Axel Schneider und seine Crew jetzt nutzen wollen. Zu Hilfe kommt ein bestehendes Netzwerk, auf das vor allem der Firmenchef durch seine langjährige Erfahrung zurückgreifen kann. Demnächst stehen Messen und Konferenzen an, auf denen das Produkt vorgestellt wird.
Die nächste Phase, so Axel Schneider, wird die Bereitstellung von Testgeräten für die Unternehmen sein. „Keiner kauft die Katze im Sack“, sagt er und ergänzt, dass die Unternehmen seine Lösung „live“ erleben wollen, in der täglichen Anwendung. Wenn diese Vermarktungsstrategie aufgeht, werden nicht ein oder zwei, sondern ganze Straßen von Geräten in den Auftragsbüchern stehen, sich die jahrelangen Investitionen auszahlen.
Axel Schneider lobt das Zusammenspiel in Flensburg von Hochschule, Technologiezentrum, Fördereinrichtungen und WIREG, ohne das eine solche Entwicklung nicht möglich wäre.
Text: Dieter Wilhelmy
Fotos: Benjamin Nolte