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Die Beate Uhse Chronik – Folge 4

„Versandhaus für Ehehygiene Beate Uhse“

Anfangs feilte Beate Rotermund alle paar Monate an ihrer Firmierung, setzte dabei voll auf den Familiennamen aus ihrer ersten Ehe und griff aus der Presse den Begriff „Ehehygiene“ auf. Am 22. Februar 1952 meldete sie das „Versandhaus für Ehehygiene Beate Uhse“ beim Flensburger Handelsregister an. Da befand sich die Geschäftsfrau bereits auf Expansionskurs. Der doppelte Büroraum im vierten Stock der Nikolaistraße 19, direkt gegenüber der damaligen Zentrale des „Flensburger Tageblatts“, war schnell zu klein geworden. Der Komplex einer ehemaligen Eisengießerei in der Wilhelmstraße 1a bot da mehr Potenzial. In der direkten Nachbarschaft von Grundstückseigentümer-Verein, Arbeitgeber-Verband und Milchuntersuchungsstelle wuchs in den 50er Jahren ein Erotik-Versand. Die Durchwahl: 7934.

Hauptsitz der 50er Jahre: Wilhelmstraße 1a
Foto: FZH Hamburg 18-9.2.6.Bd.4

Die ersten Angestellten waren ein Packer, eine Schreibkraft und eine Mitarbeiterin für die Adressen-Erfassung. Die Telefonbücher entpuppten sich als Quelle für Anschriften und fütterten bundesweite Werbe-Aktionen im Postversand. Ehemann Ernst-Walter „Ewe“ Rotermund brachte seine Erfahrungen aus einem zeitweise praktizierten Haarwasser-Versandgeschäft mit ein. Erstaunlich: Schon sehr früh stellte das Unternehmen einen jungen Mediziner ein, der unter dem Pseudonym „Dr. Rath“ in die Beratung der Kunden einstieg. Es trafen Fragen ein wie „Kriegt man vom Küssen Kinder?“ oder „Kommen die Kinder aus dem Bauchnabel?“ Unwissenheit sowie eine strenge Sexualmoral dominierten die unmittelbare Nachkriegszeit, in der schon ein Film wie „Die Sünderin“ mit einer kurzen Nackt-Sequenz zum Skandal ausuferte.
Beate Rotermund war im Kino und keineswegs geschockt. Sie war eine fortschrittliche Frau und hatte 1953 eine deutschsprachige Zusammenfassung vom Sexual-Report des US-amerikanischen Forschers Alfred Charles Kinsey im Sortiment. Sie war anders als ihre männliche Konkurrenz, stellte die „Ehehygiene“ in den Vordergrund: „Für zwei Menschen, die sich für ein ganzes Leben verbinden, sollte es auch in sexuellen Fragen keine Geheimnisse und Unaufrichtigkeiten, sondern Vertrauen und Anvertrauen geben.“ In den Werbe-Texten – damals ungewohnt – nahm „Beate Uhse“ die Männer in die Pflicht: „Sollte es nicht eigentlich jeder Ehemann wissen, dass es auch für die Frau bei der körperlichen Vereinigung einen Höhepunkt gibt?“
Ein persönliches Auftreten und eine solide Erscheinung zählten zu den erfolgreichsten Verkaufsargumenten. Nicht abstrakte Bezeichnungen wie „Eros“ oder „Takt“ prägten den Firmennamen, sondern „Beate Uhse“ – ganz persönlich. Es dauerte nicht lange, bis die Chefin selbst zur Titel-Ikone ihrer Kataloge avancierte und so Kundennähe signalisierte. Eine Wochenzeitung charakterisierte Beate Rotermund als „eine junge, burschikose Frau, Mutter eines kleinen Sohnes, mit kurz geschnittenen Haaren und adretter Kleidung. Alles andere als ein Sexsymbol, vielmehr eine Marketing-Spezialistin, die sich gut artikulieren konnte und genauso eloquent Dachziegel hätte verkaufen können.“
1952 erschien der erste Katalog. Auf 32 Seiten wurden 50 Produkte angeworben. Der Durchbruch: Mehr als 200.000 Kunden orderten. Kondome und biedere Aufklärungswerke wie „Helga und Bernd“ entwickelten sich zum Renner. Mit dem Modell „Anette“ fand sich ein erstes Reizwäschestück. Ein Apotheker war nun an Bord des Unternehmens. Ein Labor für Potenz-, Dämpfungs- und Anregungsmittel wurde in das „Versandhaus für Ehehygiene“ eingegliedert.

Auch im Margarethenhof (Johannisstraße 78e) hatte „Beate Uhse“ ein Lager

Die 50er Jahre waren für „Beate Uhse“ eine ausgesprochene Erfolgsstory, eingebettet in das „deutsche Wirtschaftswunder“. Bereits 1956 knackte der Umsatz die Millionen-Grenze. Nur vier Jahre später waren es 5,5 Millionen D-Mark, zu denen sich die Bestellungen von 650.000 Kunden summierten. Beate Rotermund hatte 1959 bereits 55 Angestellte und 45 Heimarbeiter unter ihren Fittichen. Noch hatte „Die Chefin“ für alle Mitarbeiter ein persönliches Wort über und erzeugte eine familiäre Atmosphäre. Langjährige Weggefährten beschrieben sie als hartnäckigen, aber auch ausgeglichenen und positiven Menschen.
Der Mietvertrag für die Wilhelmstraße 1a musste im Zuge der Expansion immer weiter ergänzt werden. Zum Juni 1956 gesellten sich Büroräume in der zweiten Etage dazu. Auch ein zusätzlicher Lagerraum in der Johannisstraße 78e (Margarethenhof) gehörte zum Paket. Im Dezember 1959 startete in der Wilhelmstraße der Betrieb des Modellwäsche-Ateliers „Frau Cotelli“. Beate Rotermund hatte die häufigen Lieferschwierigkeiten von Fremdartikeln satt und ließ nun in Eigenregie Dessous wie „Marilyn“ und „Paola“ oder das „Tanzkostümchen Charleston“ nähen. Das Unternehmen war inzwischen so breit aufgestellt, dass nicht genug Platz unter einem Dach war. Auch auf dem Sandberg und am Hafermarkt befanden sich Räumlichkeiten. Das Labor saß nun in der Mürwiker Straße 70, und eine kleine Druckerei hatte ihre Betriebsstätte unter der Adresse Neumarkt 8.
Beate Rotermund kalkulierte vorsichtig, sparte Kosten, wo es nur ging. Anfangs gab sie nie Anzeigen auf, sondern gewann ihre Kunden durch Werbebriefe. Mit einem Kleintransporter („Opel Blitz“) steuerte sie selbst die Postämter der Städte an, für die sie mindestens 1000 Adressen ermittelt hatte. So musste sie nur das Ortsporto von 10 Pfennig zahlen – anstatt der 20 Pfennige für einen Fernbrief. Die Nächte zeltete sie, bei Regen legte sie sich im Ladebereich auf eine Luftmatratze. Das Bargeld für das Porto kettete sich die Unternehmerin in einer schweinsledernen Tasche an ihren Körper.

Viel Kreativität erforderte der Umgang mit den Gesetzen. Die Juristen sowie eher konservative Institutionen und Mitmenschen hatten die Aktivitäten von „Beate Uhse“ immer wieder im Visier. Ab 1953 saß deshalb ein juristischer Berater im Haus, der sich auf den bis 1975 gültigen „Unzuchts-Paragraphen“ spezialisiert hatte. Der außereheliche Geschlechtsverkehr, die Beihilfe dazu sowie die Verbreitung unzüchtiger Schriften waren ein heißes Eisen, konfrontierte die Rechtsgelehrten aber auch immer wieder mit einer Ermessensfrage: Was ist Unzucht?
Ein harter Verfechter der öffentlichen Sittlichkeit war der Volkswartbund, eine der römisch-katholischen Kirche angeschlossenen Vereinigung. Er zeigte mehrfach Artikel von „Beate Uhse“ an und ging auch gegen Postwurfsendungen vor. Als ein Gericht feststellte, dass sich derjenige „in seinem Persönlichkeitsrecht getroffen fühlen“ durfte, der Werbematerial unaufgefordert in seinem Briefkasten vorfand, hatte der Volkswartbund genug Feuer, um etliche Gläubige zu einer Beleidigungsklage zu ermutigen.
Beate Rotermund wurde zu vielen Prozessen im gesamten Bundesgebiet vorgeladen. Ihr Anwalt riet ihr zur persönlichen Präsenz, da die Kläger dann mündlich ihre Anschuldigungen wiederholen müssten. Das war natürlich ein Riesenaufwand, aber in den Verhandlungen – so schildert es die Autobiographie – schoben die Prozessgegner oft die Kirche oder die Ehefrau vor, sodass der Grund der persönlichen Beleidigung entfiel. Oft stellte sich heraus, dass die Kläger schon Kunden waren oder den Katalog sogleich entsorgt hätten. Es folgten stets Freisprüche. Und als die Polizei im Februar 1951 etliche Adressen von Kondom-Bestellern auflistete, konnte der Anwalt nachweisen, dass alle verheiratet waren. In diesem Fall zerplatzte der Vorwurf der Beihilfe zum unehelichen Sex.
Ohne blaue Flecken kam Beate Rotermund allerdings nicht davon. Am 28. Juni 1951 verhandelte das Flensburger Schöffengericht. Der Staatsanwalt hatte die Prospekte „Rund um die Zauberwelt der Erotik“ und „Stimmt in unserer Ehe alles?“ sowie einige „Gegenstände zum unzüchtigen Gebrauch“ (Spezial-Kondome) eingezogen. „Das Anpreisen so heikler Dinge muss in einer diskreten und zurückhaltenden Art geschehen“, führte der Jurist aus. „Einem normal empfindenden Menschen kann nicht zugemutet werden, sich eine derartige Zusammenstellung ungebeten als Drucksache in sein Haus schicken zu lassen.“
In der Verhandlung nahm der Staatsanwalt die Aufklärungsbroschüre „Stimmt in unserer Ehe alles?“ in die Hand und polterte über ein „verabscheuungswürdiges Pamphlet“. Dann blickte er zu Beate Rotermund: „Die Höhe der Geldstrafe muss fühlbar sein, da sich die Angeklagte als gebildete Frau besonders schamlos benommen, ihren Versand in großem Umfange und mit erheblicher Uneinsichtigkeit und Hartnäckigkeit betrieben hat.“ Das Schöffengericht brummte der Angeklagten 600 D-Mark auf.
Die „Hexenjagd“ ging weiter. Gleich zum Jahresbeginn 1952 kreuzte die Polizei binnen zehn Tagen sechs Mal bei „Beate Uhse“ auf und beschlagnahmte rund 5000 Kataloge und Sexualaufklärungsschriften. Beate Rotermund wehrte sich mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Flensburger Staatsanwaltschaft und schrieb am 28. Januar 1952 an den Generalstaatsanwalt in Schleswig: „Ich bin eine geborene Köstlin und stamme aus einer im württembergischen Land bekannten Juristen-Familie. Ich wurde so erzogen, dass der Glaube an das Recht tief in mir verankert ist.“ Angeblich hatte der Flensburger Staatsanwalt behauptet, dass sie ihr schmutziges Geschäft aufgeben und mit dem Stricken von Pullovern den Unterhalt für die Familie verdienen solle.
Wie dem auch sei: Die Berufung fruchtete. Das Oberlandesgericht Schleswig hob das Urteil vom Juni 1951 auf und schickte es zurück an das Landgericht Flensburg. Dort reduzierte man das Strafmaß am 29. September 1953 auf 100 D-Mark wegen „Verbreitung unzüchtiger Schriften“. Die Kammer zeigte sich angetan von Abänderungen an einer Werbeschrift und lobte Beate Rotermund: „Sie tritt frei und offen auf, beschönigt nichts.“

Sie musste aber weiterhin mit juristischen Wendungen und Überraschungen leben und benötigte ein dickes Fell – und Ausdauer. Ihre Gegner schreckten selbst vor der höchsten Instanz nicht zurück. Im Juli 1955 sprach der Bundesgerichtshof in Karlsruhe „Beate Uhse“ frei, da jeder Empfänger die Möglichkeit habe, Postwurfsendungen und Broschüren, die im Briefkasten gelandet seien, einfach wegzuwerfen. Damit waren alle Verfahren, die wegen Beleidigung und Jugendgefährdung geführt wurden, gescheitert. Doch im November 1957 erhielten die Gegner neues Futter – ein neues Grundsatzurteil aus Karlsruhe: „Durch den Versand ihrer Werbeschrift hat sich die Angeklagte allen Adressaten als ungebetene Ratgeberin in Sexualfragen aufgedrängt.“
Beate Rotermund und ihre Berater reagierten mit Kreativität, um ihre Geschäftsidee den juristischen Hindernissen anzupassen. Als Antwort auf den Jugendschutz ließ sie auf das Werbematerial den Hinweis „Bitte Jugendlichen nicht zugänglich machen“ drucken. Den Werbe-Versand an Erwachsene zierten bald ein rotes Siegel und der Satz „Diese kleine Schrift geht Ihnen unverlangt zu!“ Und als der Bundesgerichtshof 1959 befand, dass „eingehende Ausführungen über Sexualität“ nicht mehr per Postwurfsendung versandt werden durften, erfand die Flensburger Unternehmerin die Gutscheinbriefe: So mussten sich Interessierte die Kataloge selbst bestellen. Am Firmensitz verfestigte sich das Motto: „Wir müssen schneller sein als der Staatsanwalt!“ Wenn es Befürchtungen gab, dass ein Produkt rechtliche Probleme verursachen könnte, wurde schon mal eine Nachtschicht eingelegt, um alle Kataloge rechtzeitig zu verschicken. Dann konnten die Juristen protestieren, aber die Kunden waren versorgt.
Ob die vielen rechtlichen Auseinandersetzungen am Gemüt nagten? Oder ob sie – wie sie in ihrer Autobiografie skizzierte – wirklich an eine schnelle Sättigung des Marktes glaubte? Zumindest suchte Beate Rotermund nach einem zweiten Standbein und beteiligte sich an einem medizinischen Projekt am Starnberger See. Ein gewisser Dr. Fritz Wiedemann hatte in Ambach ein Kurheim eröffnet und propagierte eine Frischzellen-Therapie. Aus heutiger Sicht eine pseudomedizinische Methode. Die Aussicht auf beschleunigte Heilungen von Knochenbrüchen und ein „Anti-Aging-Effekt“ lockten aber sogar einige Prominente an. Beate Rotermund war 1953 und 1954 über mehrere Monate am Starnberger See und war verantwortlich für das Personal, die Küche und die Kommunikation mit den Gästen.
Letztendlich entpuppten sich die Abstecher an die Alpen nicht als wirtschaftlicher Husarenstreich, öffneten aber eine Flanke im privaten Bereich. „Ewe“ Rotermund entdeckte die Liebe zum Hausmädchen Helga, die rund 15 Jahre jünger war als seine Gattin Beate. Als diese zurückgekehrt war, stellte sie ihn zur Rede. Der Ehemann verließ das Haus. Es drohte die Scheidung. Der Anwalt verwies auf die damals gültigen Gesetze und setzte ein offizielles Schreiben auf – mit der Aufforderung an „Ewe“ Rotermund, innerhalb von 14 Tagen die eheliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen. Kurz vor Ablauf der Frist tauchte er wieder im Marienkirchhof auf.

„Die Chefin“: Ab Ende der 50er Jahre führte sie die Firma ohne ihren Mann
Foto: FZH Hamburg 18-9.2.6.Bd.2

Laut Autobiografie war die Eiszeit damit nicht beendet. Erst „komplizierte Probleme im Geschäft“ sollen die Ehe wieder zusammengeschweißt haben. Der Starnberger See blieb eine Episode, Helga allerdings war weiterhin die Geliebte von „Ewe“ Rotermund. Die betrogene Ehefrau drückte jahrelang beide Augen zu, wollte ihren „Ewe“ nicht verlieren. Später meinte sie: „Da waren die Kinder, da war das Geschäft – das wollte ich alles erhalten.“
Allerdings zog sich Ernst-Walter Rotermund bereits am 1. August 1957 aus dem Tagesgeschäft von „Beate Uhse“ zurück – aus Rücksicht auf seine Gesundheit. Er galt als „Hypochonder“, tolerierte nur noch Rohkost. Häufiger bereitete Beate Rotermund für die Kinder heimlich Schinken, Eier, Würstchen oder Gulasch zu. Der Familienvater reiste viel, während sich seine Frau um den Fortbestand des Unternehmens sorgte. Erleichtert stellte sie schließlich fest: „Erstaunlicherweise entstanden bei der Arbeit ohne Ewe viel weniger Reibungsverluste.“
Die Familie konnte sich einen für damalige Verhältnisse hohen Lebensstandard erlauben. Urlaub war keine Rarität mehr. Im Winter ging es häufiger zum Skilaufen in die Alpen. Von Mitte Mai bis September zelteten die Rotermunds sehr oft in Glücksburg und kehrten nur zum Duschen in die Wohnung im Flensburger Marienkirchhof zurück, wo die Familie sich inzwischen eine Etage höher weitere Zimmer angemietet hatte. Beliebte Ziele waren die FKK-Strände von Sylt oder Röm. Auch Montalivet (Frankreich), das größte FKK-Gelände der Welt, war eine Reise wert. „Unsere Kinder sollten nicht verklemmt, sondern freizügig aufwachsen“, erklärte die Mutter.

Familie Rotermund fuhr gerne nach Röm

Die Söhne Klaus und Ulrich waren im Marienkirchhof gemeldet. Dirk und Bärbel, die Kinder aus der ersten Ehe von Ernst-Walter Rotermund, waren im Sommer viel zu Besuch, lebten sonst bei ihrer Mutter in Frankfurt. Als diese mit ihrem zweiten Ehemann ins afrikanische Mogadishu verzog, kam der schulpflichtige Dirk ab Mai 1959 dauerhaft nach Flensburg zurück. Die Behörden intervenierten nicht wie noch eine Dekade zuvor. Beate Rotermund musste zwar oft vor Gericht und war in bestimmten Kreisen höchst umstritten, sie war aber verheiratet und wirtschaftlich eine Erfolgsfrau. Nun konnte sie sich sogar ein eigenes Flugzeug leisten: eine Cessna 172.

Text: Jan Kirschner
Fotos: Privat

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