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Der „Tante-Emma-Laden“ auf dem Sandberg!

In unserer Serie „Flensburger Straßen und Stadtteile“ In unserer Serie „Flensburger Straßen und Stadtteile“ bitten wir Zeitzeugen, uns von ihren ganz persönlichen Erinnerungen zu berichten. In dieser Ausgabe kommt Theodor Hermannsen zu Wort.
Auf die Frage, ob er denn aus Flensburg stamme, antwortet Theodor Hermannsen verschmitzt: „Ick bünn een echten „Rucksack“-Flensburger!“ Schon erstaunlich, welche verschlungenen Wege in einem beinahe 90(!)jährigen Leben so gegangen werden. Tatsächlich, unser Chronist wird in wenigen Wochen 90 Jahre alt, und im Gespräch wirkt er durchaus wesentlich jünger – das Geburtsjahr 1929 sieht man ihm überhaupt nicht an. Seine Eltern betrieben einen Bauernhof in Nordfriesland, in Risum-Lindholm, mit rund 10 Hektar Ackerfläche. Es war ein sogenannter Nebenerwerbshof, der Vater arbeitete im Hauptberuf als Zimmermann, als Kleinbauer hat er nebenbei noch den eigenen Hof bestellt. Theo und seine vier Geschwister – immerhin 20 Jahre auseinander geboren – wuchsen allesamt „friesisch“ auf, es wurde überall nur friesisches Platt geschnackt, und Theo hieß für alle anderen einfach nur „Tetsche“, er ging in Risum zur Schule, wuchs dort auf und wurde natürlich auch in Risum konfirmiert. Nach beendeter Schulzeit stellte sich alsbald die Frage: „Welchen Beruf kann/soll/möchte ich eigentlich ergreifen?“ Das „möchte“ war für Theo bereits klar: „Ich möchte Elektriker werden!“
Berufswahl in Kriegszeiten
Um diesen Punkt zu klären, musste Theo ins ferne Flensburg und beim dortigen Arbeitsamt vorstellig werden. Sein zuständiger Sachbearbeiter (man schrieb das Jahr 1943, der zweite Weltkrieg war voll im Gange) war wohl ein strammer Parteigänger, und stellte nach einem kurzen Blick auf Theos Zeugnisse lapidar fest: „Für einen Elektriker bist du zu doof!“ Dabei war Theos Schulzeugnis eigentlich recht ordentlich, sein eigentliches Problem: Sein Vater war nicht in der Partei, Theo hatte zum Termin keine Räucherwurst oder Schinken dabei, oder ähnliche schmackhafte Produkte vom heimischen Bauernhof. Alternativ schlug man ihm vor, doch vielleicht als Flugzeugmechaniker in die damals von der Wehrmacht besetzte Ukraine zu gehen … das konnte Theo überhaupt nicht nachvollziehen: „Zum Elektriker zu doof, dafür aber Flugzeugmechaniker lernen? Wie passt das zusammen?“ Als er schließlich beim Verlassen des Büros erst nach Aufforderung den damals üblichen Gruß entbot („Heil Hitler!“), hatte sich die ersehnte Berufswahl für ihn praktisch erledigt.
Theo lernte schließlich den ehrbaren Beruf eines Bäckers, hat nach erfolgreich abgeschlossener Lehre eine berufliche Rundreise durch den gesamten Landkreis Nordfriesland als Bäckergeselle gemacht, war sogar einige Zeit auf Sylt tätig, daneben auch in Medelby, selbst in Satrup hat er in einer Kellerbäckerei gearbeitet. In Klixbüll hat er gemeinsam mit seiner späteren Frau zusammengearbeitet – seinerzeit war es noch üblich, dass die Gesellen bei ihrem Arbeitgeber über oder neben der Backstube gewohnt haben, also „in Lohn und Brot“ waren. Seine spätere Ehefrau Dora war, wie Theo es charmant umschreibt, eine „Pommeranze“, geboren 1931 in Paatzig im Kreis Regenwalde in Pommern, und kurz vor Kriegsende gen Westen geflohen, und hat schließlich in Berlin Schlachtereiverkäuferin gelernt.
Die Hermannsens werden sesshaft
Die Wanderjahre durch Nordfriesland nahmen ein Ende, als Theodor und Dora nach Flensburg gingen. Schließlich wurde 1955 geheiratet, die Hochzeitsfeier fand natürlich in Risum auf dem elterlichen Hof statt, und die beiden fanden schließlich eine Wohnung in der Apenrader Straße im Norden Flensburgs. Ab 1956 fand Theo Arbeit bei der Brotfabrik Rerup, die alsbald fusionierte mit Christiansen, und war insgesamt 16 Jahre lang bei der C. A. Christiansen Brotfabrik als Bäcker auf der Rude beschäftigt.
1964 geriet er einmal mit seinem Auto in Flensburg in der Eckernförder Landstraße in eine Polizeikontrolle, musste rechts ran fahren, und schließlich seinen Führerschein vorzeigen. Die Beamten staunten nicht schlecht, als sie als Führerschein ein einseitiges graues Dokument gezeigt bekamen, und nicht den früher üblichen doppelseitigen „Lappen“. Der Leitende der Polizeikontrolle, ein schon älterer und erfahrener Beamter, wurde zur Klärung herangezogen, und rief bei der Inaugenscheinnahme des Papiers lachend aus: „Männer, das ist ein Führerschein aus Niebüll – die stellen dort auf dem Amt immer nur einseitige Führerschein-Dokumente aus, die Angaben der zweiten Seite findet ihr auf der Rückseite vor!“ Was soll uns das wohl sagen? Die Nordfriesen waren schon immer etwas eigenwillig …
Theo hatte schon länger ein Auge auf einen Lebensmittelladen auf dem Sandberg geworfen, doch wollte die damalige Eigentümerin, Frau Happe, von einer Geschäftsübergabe vorerst nichts wissen. Im Jahre 1966 spielte jedoch der Zufall mit: Eine gute Freundin der Ladenbesitzerin war eine Nachbarin der Hermannsens aus der Apenrader Straße, und die Damen besuchten sich häufig gegenseitig. Eines schönen Tages – Theo war gerade vor dem Haus in der Apenrader Straße damit beschäftigt, seinen Wagen (einen Fiat 600) zu waschen, als die beiden Freundinnen auf ihn zukamen, sich vor ihm aufbauten, und Frau Happe plötzlich zu ihm sagte: „Wenn ihr den Laden immer noch haben wollt, müsst ihr nachher mal bei mir vorbeikommen!“ Gesagt, getan – Theo und Dora fuhren zur Ladenbesitzerin Frau Happe, und im Handumdrehen war der Übernahmevertrag abgeschlossen. Theos Frau arbeitete damals bereits seit gut zehn Jahren als Verkäuferin bei Schlachter Ziemens in der Norderstraße. Ihr Chef war anfangs schwer beleidigt, dass sie ihn (beruflich) verlassen wollte. Ziemens‘ Lieblingsspruch in der Schlachterei war: „Ick bün hier de Chef, aber Dora ist de Chefin!“ Als er allerdings mitbekam, dass sich die Hermannsens selbstständig machen wollten, unterstützte er sie tatkräftig bei ihren ersten Schritten in die Selbstständigkeit.
Der „Tante-Emma-Laden“
Ecke Schreiberstraße und Kanzleistraße
Die Hermannsens sind gleich nach Ladenübernahme von der Apenrader Straße in die Schreiberstraße gezogen, haben allerdings erst noch kurzzeitig in der Nummer 9 gewohnt, sind aber bei der ersten Gelegenheit, die sich bot, in die Nummer 1 über den Laden gezogen. In den 60er und 70er Jahren gab es zwar hierzulande schon erste Supermärkte, doch steckten die Discounter wie etwa ALDI noch in den Kinderschuhen, die Leute kauften gewöhnlich zu Fuß um die Ecke ein, es ging beim Einkaufen noch sehr familiär zu, man kannte sich und duzte sich vielfach, ließ oft und gern anschreiben – doch stets wurde alles bezahlt, wenn es die Lohntüte gab. Im Laden fand man praktisch alles an Lebensmitteln für den täglichen Bedarf, die Lieferanten waren ebenfalls aus der Region. So war jahrelang der Käselieferant nur unter dem Namen „Jan Käs“ bekannt, der eine breite Angebotspalette sein Eigen nannte, stets günstigen und schmackhaften Käse auf Lager hatte, der auch immer gut verkauft wurde. Der Laden war man gerade 33 Quadratmeter „groß“ – etwa so groß wie in den heutigen Supermärkten der Eingangsbereich. Auf engstem Raum wurde dort alles gelagert, die Einkaufsgänge waren eben viel schmaler als heutzutage, doch gab es auch damals schon Selbstbedienung, die Kunden waren mit dem Einkaufskorb im Laden unterwegs. Fast alle Kunden waren Stammkunden aus der Nachbarschaft, man kannte sich, wurde mit den Kunden gemeinsam älter, sah die Kinder heranwachsen, selbst heute werden Theo und Dora noch von längst erwachsenen Leuten mit dem Spitznamen „Hemer“ angesprochen – die konnten als Kinder den Namen Hermannsen noch nicht aussprechen. In den 26 Jahren, in denen die beiden den Laden betrieben, waren Theo und Dora nicht nur die Kaufleute, sondern auch Seelsorger, Tröster, Psychologen, Lebensberater und Schlichter für den Stadtteil. Theo erinnert sich noch gut an eine 17jährige, die eines Tages heulend in den Laden kam und ihm beichtete, dass sie schwanger sei. Theo und Dora nahmen sie in den Arm, trösteten sie und versprachen ihr, das Problem im Gespräch mit den Eltern zu regeln – so kam es schließlich auch. Regelmäßig trafen sich am Sonnabend kurz vor Ladenschluss einige Nachbarn, die dann gemeinsam das (damals noch recht kurze) Wochenende einläuteten. Bei einer Flasche Bier, gelegentlich auch mal einen „Kurzen“ dazu, wurde die alte Woche nochmal besprochen, der übliche Klatsch und Tratsch gehörte ebenso dazu wie das selbständige Bedienen im Sortiment – doch stets wurde alles Verzehrte anschließend korrekt und ordentlich bezahlt.
Der Lebensabschnitt
„Ruhestand“ und/oder
„Freizeit“
Nach 26 guten und ereignisreichen Jahren war Schluss; die Hermannsens gingen in den verdienten Ruhestand. Einige Jahre hat er noch für ein ortsansässiges Wochenblatt gearbeitet, war dort unter anderem für die Verteiler und Verteiltourenplanung verantwortlich.
Die Familie kam zwar nicht zu kurz in diesem arbeitsreichen Vierteljahrhundert, doch hatte man jetzt auch mal richtig Zeit für die Tochter und die Enkelkinder. Jetzt konnte endlich einmal ein längerer Urlaub geplant werden und auch gemacht werden, so reisten die Eheleute gern gemeinsam mit seiner Schwester und Schwager durch Bayern, man besuchte noch vor der Wende das wunderschöne Prag, damals die Hauptstadt der Tschechoslowakei. Schon in jungen Jahren waren die Hermannsens unter die Camper gegangen, immerhin 26 Jahre lang hatten sie ihren Stammstandplatz in Neukirchen bei Peter Ernst, später wechselten sie den Campingplatz und waren noch 18 Jahre lang Dauercamper in Wackerballig und Gelting. In den vielen Jahren auf den Campingplätzen entlang unserer Ostseeküste bildeten sich viele Freundschaften, so freundeten sie sich auch mit einer Norwegerin an, die sie wiederum auf zahlreichen Gegenbesuchen durch ihre sehenswerte Heimat Norwegen begleitete. Theo zog es beim Campen auch häufig hinaus aufs Wasser; er war viel mit Booten unterwegs, und unterstützte zahlreiche junge Leute beim Ablegen des Bootsführerscheins.
Eine Zeitlang waren Theo, Dora und ihre Campingclique als die „Säuferfamilie“ in Verruf geraten, hatten ständig auf ihren Tischen Flaschen mit hochprozentigen Schnäpsen stehen, die sie vor, während, und nach dem Grillen und den Mahlzeiten draußen genüsslich süffelten, und dann sogar danach noch Auto fuhren – das regte einige Nachbarn tierisch auf!
Was aber der Clou bei der Sache war, und die neidischen Nachbarn auch nicht wussten: Die Flaschen stammten allesamt aus dem Leergutcontainer der nahe gelegenen Kneipe, wurden erst sorgsam ausgespült, und anschließend mit Tee(!) gefüllt, den die „Säufer“ dann gnadenlos „weg­soffen“. Dieses Geheimnis wurde übrigens nie gelüftet …
Der Lebensabend
Seit mehreren Jahren leben Theo und Dora jetzt – allerdings nicht zusammen – im AWO-Seniorenheim auf dem Sandberg; leider leidet Dora an Demenz und bedarf ständiger Betreuung. Theo kümmert sich dennoch täglich um sie, wäre aber mit einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung völlig überfordert. Er selbst ist erstaunlich fit, fährt noch regelmäßig Auto, besucht die Kinder, Tochter und Schwiegersohn, am Stadtrand, spielt gern und regelmäßig Skat, immer mittwochs in Handewitt, je einmal monatlich in Ellund und Haurup. Mittlerweile hat er drei Enkel und sogar zwei Urenkel, wobei eine Enkelin seit nun schon zehn Jahren in England lebt. So kommt in seinem Leben keine Langeweile auf, man besucht sich gegenseitig, er hat noch immer zahlreiche Kontakte auf dem Sandberg, und im AWO-Haus ist auch immer etwas los. Wir wünschen ihm, dass er noch recht lange seinen Lebensabend bei bester Gesundheit genießen kann!
Das Gespräch mit Theo Hermannsen führte Peter Feuerschütz,
Fotos: privat

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